David Fray

Das fünfte Element

von Dorothea Walchshäusl

30. November 2018

Der französische Pianist David Fray ist für sein neues Album zu Johann Sebastian Bach zurückgekehrt. Ein Gespräch über diese ganz besondere Art der Magie.

Der fran­zö­si­sche Pianist David Fray ist für sein neues Album zu Johann Sebas­tian Bach zurück­ge­kehrt. Ein Gespräch über diese ganz beson­dere Art der Magie.

CRESCENDO: Sie haben eine große Affi­nität zur deut­schen Kultur, zum deut­schen Reper­toire speziell. Wie kommt das?

: Die meisten Stücke, die wir in meiner Kind­heit gehört haben, waren von deut­schen Kompo­nisten – Bach, Beet­hoven, Schu­bert … Diese erste Musik hat mich sehr geprägt, und bis heute fühle ich mich dem deut­schen Reper­toire sehr nahe. Ich habe das Gefühl, dort verbindet sich die struk­tu­relle und ratio­nale Seite der Musik perfekt mit der poeti­schen und emotio­nalen. Eine gute Kopf-­Herz-, wie ich sie auch bei großen deut­schen Pianisten wieder­finde, etwa bei Wilhelm Kempf, den ich sehr bewun­dere.

Das heißt für Ihr eigenes Spiel …

Es geht genau um diese Fähig­keit, Kopf und Herz in Einklang zu bringen. Sie war immer das, was ich selbst in meinem Leben und als Musiker errei­chen wollte. Und genau das gilt doch für die Musik: dass sie hoch emotional und expressiv sein kann und zugleich ein intel­lek­tu­elles Erlebnis.

Sie haben das Konzert einmal als „magi­schen Raum in unserer modernen Welt“ beschrieben. Wie erleben Sie diesen Raum, wenn Sie selbst auf der Bühne sind?

Die Konzert­si­tua­tion ist sehr heraus­for­dernd und oft wirk­lich hart. Man muss stark sein, um hier zu bestehen. Doch ist das Konzert auch der Platz, an dem die Musik wirk­lich lebt. Ein Album ist nicht das echte Leben. Es ist nur ein kleines Geschenk für Leute, die zu Hause Musik hören wollen. Der echte Ort, an dem sich Musik entwi­ckeln kann, ist die Bühne, nicht das Studio. Musik braucht ein Publikum. Das ist viel wich­tiger, als das Publikum selbst oft weiß.

„Bei vielen Studio­ein­spie­lungen geht vor lauter Streben nach ­Per­fektion die Leben­dig­keit verloren“

Wie nehmen Sie das Publikum wahr, wenn Sie spielen?

Die Menschen im Publikum sind extrem wichtig, und ganz ehrlich: Die Art, wie sie zuhören, die Stille, die Präsenz, hat starken Einfluss darauf, ob man als Künstler besser oder weniger gut ist. Auf der Bühne ist man sehr sensibel. Wann man merkt, dass das Publikum nicht folgt, frus­triert das extrem und blockiert die Krea­ti­vität. Spürt man aber, dass die Zuhörer bereit sind, mit einem über­allhin zu gehen, dann ist das ein unglaub­li­ches Gefühl.

Umso schwie­riger muss die Situa­tion im Studio sein.

Ja, eine Studio­auf­nahme ist eine kompli­zierte Sache. Früher hatte ich den Anspruch, dass ein Album die ideale Inter­pre­ta­tion für die Ewig­keit fest­halten soll. Heute sehe ich das anders. Ich habe mitt­ler­weile akzep­tiert, dass eine CD immer nur ein Abbild eines bestimmten Moments in meinem Leben ist und versuche umso mehr, dass man auf dem Album dieses Leben auch wahr­nimmt. Bei vielen Studio­ein­spie­lungen geht vor lauter Streben nach ­Per­fektion die Leben­dig­keit verloren. Doch wer ist schon perfekt? Welches Konzert ist schon perfekt? Darum geht es doch gar nicht!

„Keinen bewun­dere ich so wie Bach. Ohne Bach wäre ich kein Musiker geworden.“

Für Ihr neues Album haben Sie Bach-Konzerte für zwei, drei und vier Klaviere einge­spielt – eine unge­wöhn­liche Instru­men­tie­rung. Was hat es damit auf sich?

Die Werke waren nicht für diese Beset­zung geschrieben, aber Bach selbst hat ja vieles für verschie­denste Instru­mente tran­skri­biert. Ich habe mich natür­lich intensiv mit der histo­ri­schen Auffüh­rungs­praxis beschäf­tigt. Aber gerade bei Bach gibt es so viele verschie­dene Möglich­keiten. Die Stücke auf dem Album sind das beste Beispiel dafür, und das moderne Klavier bringt eine faszi­nie­rende Klar­heit und Struktur in die verschie­denen Stimmen. Letzt­lich finde ich die Instru­men­tie­rung aber gar nicht entschei­dend, denn Bachs Musik ist univer­sell, sie steht über allem.

Was bedeutet Ihnen die Musik von Johann Sebas­tian Bach?

Bach ist ein wesent­li­cher Teil meines musi­ka­li­schen Lebens. Es gibt keinen Kompo­nisten, der mich mehr inspi­riert. Ich liebe ihn so sehr, dass ich mein Leben lang auch nur Bach spielen könnte. Am nächsten ist mir viel­leicht Franz Schu­bert. Aber keinen bewun­dere ich so wie Bach. Ohne Bach wäre ich kein Musiker geworden.

„Bei Bach ist alles am rich­tigen Platz. Das ist ein Gefühl, das man im rich­tigen Leben selten hat“

Hat sich Bachs Bedeu­tung im Lauf Ihres Lebens verän­dert?

Je mehr Bach ich spiele, umso mehr beein­druckt mich die unend­liche Viel­falt der Möglich­keiten in seinem Werk. Bin ich glück­lich – höre ich am liebsten Bach. Möchte ich weinen – höre ich Bach. Will ich mit mysti­schen Dimen­sionen verbunden sein – höre ich Bach. Bei Bach ist alles da: jedes Gefühl, jede Stim­mung. Für mich ist er wie ein weiteres Element unseres Lebens. Feuer, Erde, Luft, Wasser – und dann ist da Bach! So funda­mental ist seine Musik.

Max Reger hat gesagt, Bach sei der Anfang und das Ende aller Musik. Wie erleben Sie die beson­dere Magie von Bachs Musik?

Da genügt ein Blick in die Partitur. Schon wenn man sich einfach nur die Noten anschaut, ist da ein Gefühl von Perfek­tion. Das ist, als würde man eine wunder­schöne Kirche betrachten – es ist einfach alles perfekt und jede einzelne Stimme für sich ist voll­endet. Bei Bach ist alles am rich­tigen Platz. Das ist ein Gefühl, das man im rich­tigen Leben selten hat. Deshalb ist Bach so groß­artig! (lacht)