Piotr Anderszewski

Der Perfek­tio­nist

von Dorothea Walchshäusl

15. März 2018

Kaum etwas ist schwerer zu überwinden als der eigene Anspruch. Pianist Piotr Anderszewski ist ein genialer Selbstzweifler. Dabei ist sein Spiel über alle Skepsis erhaben.

Pianist Piotr Ander­szewski ist ein genialer Selbst­zweifler. Dabei ist sein Spiel über alle Skepsis erhaben.

Kaum etwas ist schwerer zu über­winden als der eigene Anspruch. arbeitet seit über 25 Jahren daran. „Man muss akzep­tieren, dass man eben nur ein Mensch ist und auch mal Fehler macht. Einfach ist das nicht. Ich übe noch immer“, so Ander­szewski. Der polnisch-unga­ri­sche Pianist ist längst dort ange­kommen, wovon andere nur träumen. Er spielt mit führenden Orches­tern, gastiert auf großen Bühnen und hat diverse Preise gewonnen. Und doch: Der ewige Zweifel bleibt. „Ich bin kein Skep­tiker“, sagt Ander­szewski, und er habe auch kein fixes Klang­ideal im Kopf. Er wisse nur ziem­lich genau, was er nicht wolle, und das versucht er durch Üben so weit wie möglich zu redu­zieren.

Der 48-Jährige mit den kurzen grauen Haaren und den braunen Augen ist das Gegen­teil eines hoch polierten Shoo­ting­stars. Selbst­kri­tisch und reflek­tiert wirft er einen faszi­nie­rend anderen Blick auf das Dasein als profes­sio­neller Musiker und den inter­na­tio­nalen Konzert­be­trieb.

„Man muss akzep­tieren, dass man eben nur ein Mensch ist“

Ander­szewski kam am 4. April 1969 in auf die Welt. Sein Vater war Pole, seine Mutter unga­risch-jüdi­scher Abstam­mung, beide waren sie keine profes­sio­nellen Musiker, aber Lieb­haber von Musik. Als Kind hörte er Beet­ho­vens 5. Klavier­kon­zert und Mozarts Kleine Nacht­musik, mit sechs Jahren fing er an, Klavier zu spielen. Als er sieben Jahre alt war, zog seine Familie nach . Die Liebe zum Klavier blieb, und Ander­szewski entschied sich zum Klavier­stu­dium, erst in Warschau und Frank­reich, später in Kali­for­nien. Noch mitten im Studium, nahm er 1990 in Leeds am Klavier­wett­be­werb teil. Er hatte sich keine Chancen ausge­rechnet, wollte einfach nur in die zweite Runde gelangen, erzählt er heute. Doch es kam anders. Er war erfolg­reich, sehr erfolg­reich sogar. Schließ­lich landete er im Semi­fi­nale und wurde als heißer Kandidat für den Sieg gehan­delt. Bis er mitten­drin aufstand und die Bühne verließ. Er hatte Beet­ho­vens Diabelli-Varia­tionen gespielt, gefolgt wären Weberns Varia­tionen op. 27, doch Ander­szewski war mit seinem eigenen Spiel so unzu­frieden, dass er sich selbst disqua­li­fi­zierte.

Piotr Anderszewski
Foto: Simon Fowler

Spricht man ihn heute auf diese Episode an, winkt er genervt ab. Schon so viele Male habe er erklären sollen, was damals los war, dabei sei das doch so lange her. Die Jahre direkt nach dem Wett­be­werb waren nicht einfach, so Ander­szewski, auch wenn 1991 sein gefei­ertes Debüt in der Londoner Wigmore Hall folgte. Schließ­lich sei er immer dieser selt­same Typ gewesen, der den Wett­be­werb abge­bro­chen habe – ein Ruf, den es zu korri­gieren galt. „In den Jahren nach Leeds wurde ich mit der Realität konfron­tiert“, sagt Ander­szewski. „Und die bedeutet: Wenn man Pianist ist und davon leben will, dann muss man Konzerte spielen. Perfek­tio­nismus ist dabei eine gefähr­liche Sache, die man manchmal bewusst stoppen muss.“ Leichter gesagt als getan. Schließ­lich hat man als Künstler oft mona­te­lang an jeder Nuance eines Stücks gefeilt. „Und dann ist es irgend­wann acht Uhr abends und du musst raus auf die Bühne, ob du gerade willst oder nicht.“ Es ist diese Diskre­panz zwischen Ideal und Wirk­lich­keit, die ihm zu schaffen macht, ebenso wie die eigent­liche Unver­ein­bar­keit zwischen der Härte und Profes­sio­na­lität des Konzert­be­triebs und der gleich­zei­tigen Inti­mität einer Inter­pre­ta­tion. Ist das zu lösen? „Ich habe keine Ahnung“, sagt Ander­szewski. „Manchmal gelingt es mir besser, manchmal schlechter.“

„Du musst raus auf die Bühne, ob du gerade willst oder nicht“

2016 hat er sich deshalb für einein­halb Jahre zurück­ge­zogen und ein Sabba­tical genommen. Er wollte dem Hams­terrad entkommen, sich ganz der Musik widmen können, ohne ein konkretes Projekt vor Augen zu haben. „Not to kill the music“ – das war sein Ziel. Längst ist der Musiker auf den Bühnen zurück und begeis­tert aller­orts mit seinem sensi­blen, geist­vollen und warm tönenden Spiel. Ander­szewski verfügt über eine feine Anschlags­kultur und durch­dringt die jewei­ligen Werke kompro­misslos. Seine Inter­pre­ta­tionen strahlen eine packende Konzen­tra­tion und Inten­sität aus, die tief berührt und auch bei oft gespielten Werken neue Perspek­tiven aufzeigt. „Im besten Fall soll eine Inter­pre­ta­tion so sein, dass es für den Hörer wirkt, als würde die Musik im Moment des Spiels neu erschaffen“, sagt Ander­szewski. Das gelingt ihm sehr oft.

Ende Januar ist nun ein Album mit Mozarts Klavier­kon­zerten Nr. 25 und Nr. 27 erschienen. Zusammen mit dem , das Ander­szewski vom Flügel aus auch diri­giert, bringt der Pianist die beiden Werke mit kammer­mu­si­ka­li­scher Innig­keit, singender Melodik und erzäh­le­ri­scher Weite zum Erblühen. „Mozart war mir schon immer am nächsten“, bekundet der Pianist. Während Bach eher seinen Intel­lekt anspricht, berühre Mozart ihn direkt im Herzen. Für Piotr Ander­szewski, den ewig Suchenden, ist Mozart aber noch weit mehr. So sagt der Pianist: „Seit 25 Jahren suche ich zwischen all den Städten, in denen ich lebe und spiele, nach einem Zuhause. Ich habe es bis heute nicht gefunden. Aber Mozart ist meine innere Heimat.“

Fotos: Ari Rossner / Warner Classics