Désirée Nosbusch

»Ich hatte keinen Plan«

von Rüdiger Sturm

8. September 2021

Sie taucht in die Abgründe eines beklemmenden Justizdramas. Dabei ist sie lieber in einer anderen Welt unterwegs: Desirée Nosbusch lauscht der Sprache der Engel.

CRESCENDO: Sie geben dieses virtu­elle Inter­view von Ihrem Zuhause aus. Ist das Ihr aktu­eller Lebens­mit­tel­punkt?

: Leider verbringe ich momentan sehr wenig Zeit zu Hause. Ich drehe jetzt die ganzen Projekte, die sich wegen der Pandemie aus dem letzten Jahr in dieses verschoben haben. Gerade komme ich aus Rumä­nien. Und da musste man trotz Impfung noch einmal einen PCR-Test machen und darf erst drehen, wenn der negativ ist. Da fliegt man nicht schnell nach Hause, wenn man vier dreh­freie Tage hat. Aber ich bin faszi­niert, dass das alles so gut geht. Im letzten Jahr war gar nichts möglich. 2020 war der Mehr­teiler – Glauben mein einziger Job.

Der aber dreht sich um sehr düstere Themen – Kindes­miss­brauch, Mani­pu­la­tion der Justiz, Mord. Schluckt man da kurz, wenn man sich in so schwie­rigen Zeiten auf so etwas einlässt?

So eine Entschei­dung mache ich nicht von der Zeit abhängig, in der ich mich befinde. Ich versuche grund­sätz­lich, aus den Ange­boten etwas auszu­su­chen, das ich in der Form noch nicht gemacht habe. Ich will mich nicht wieder­holen. Abge­sehen davon gehöre ich zu den Fans von Ferdi­nand von Schi­rach. Ich hätte nie gedacht, dass mein Name mit seinem mal in einem Satz genannt wird. Und ich bin seit Langem begeis­tert von Peter Kurth. Da kam also alles zusammen, und da fragt man sich nicht mehr, ob die Rolle groß oder klein ist, sondern sagt „bin dabei“.

Désirée Nosbusch

»Musik kann mich in gren­zen­lose Gefühls­si­tua­tionen kata­pul­tieren.«

Sie sind indes nicht nur Schau­spie­lerin, sondern begleiten seit Ihrer Jugend die Musik­welt als Mode­ra­torin. Welche Bedeu­tung hat Musik für Sie?

Musik ist so etwas wie die Sprache der Engel. Ich bin weiß Gott kein Fach­mann, aber ich kann mir ein Leben ohne Musik nicht vorstellen. Schon als ich ein kleines Mädchen war, meinte meine Mutter immer, sie könne nicht verstehen, wie man bei lauter Musik seine Haus­auf­gaben machen könne.

Können Sie die Wirkung, die Musik auf Sie hat, beschreiben?

Musik kann mich in gren­zen­lose Gefühls­si­tua­tionen kata­pul­tieren. Deshalb muss es das Ulti­ma­tive sein, wenn man als Musiker auf der Bühne steht und 50.000 Menschen singen deinen Song mit. Meine Kinder sind selbst Musiker, und wenn die mit ihren Kollegen jammen, dann sitze ich meist still in der Ecke, höre einfach zu und spüre diese ganze Ausdrucks­kraft.

Bei welchen Inter­preten hören Sie die Engel beson­ders laut?

Ich war mein Leben lang großer Beatles-Fan. Mein Sohn heißt Lennon – muss ich mehr sagen? Ich liebe auch Prince und David Bowie, nach dem mein Hund benannt ist. Yesterday: eine Hymne für mich! Give Peace a Chance auch! Sätze wie „There is no country worth dying for“ haben sich für immer einge­prägt. Natür­lich habe ich auch Gute-Laune-Songs wie Yellow Subma­rine, zu denen ich herum­hüpfe. Noch zwei Hymnen: Purple Rain oder Hotel Cali­fornia. Es gibt aber so unend­lich viel, ich kann keines raus­pi­cken.

Wie ist es mit klas­si­schen Kompo­nisten?

Wenn ich mich für einen entscheiden müsste, wäre das Bach. Der berührt meine Seele am meisten. Bei der Matthä­us­pas­sion kriege ich eine Gänse­haut. Auch das Wohl­tem­pe­rierte Klavier ist für mich sehr wichtig, denn ich liebe Klavier­musik. Natür­lich gibt es noch wunder­bare Stücke von anderen Kompo­nisten – Beet­hoven, Mozart, Rach­ma­ninow… Doch letzt­lich habe ich keine feste Rich­tung. Ich höre auch Jacques Brel, Edith Piaf, bin mit Pink Floyd und Super­tramp groß geworden. Musik zu hören ist, als würde man Gott am linken Zeh berühren. Sie löst ein Lebens­ge­fühl aus.

Désirée Nosbusch

»Wir sind auf dieser Welt, um heraus­zu­finden, was unsere Lebens­träume sind.«

Was für ein Lebens­ge­fühl suchen Sie?

Früher habe ich zu meinen Eltern gesagt: „Ich möchte Musik hören, einen Parka tragen und mit einem Blumen­kranz im Haar in Paris an der Seine sitzen.“ Sie meinten dann: „Und was machst du dann da?“ „Weiß ich nicht, einfach sitzen.“ Ich hatte keinen Plan. Es ging immer nur ums Lebens­ge­fühl. Das ist heute noch so.

Ihre Kinder sind ja Musiker geworden, wie Sie erwähnten. Haben Sie Ihnen diesen Lebensweg vermit­telt?

Ich glaube, meine Schwin­gungen haben sie immer darin bestärkt, dass sie ihre Träume verwirk­li­chen sollen. Ein Spruch bei uns zu Hause war: „Hey, solange ich Blowin‘ in the Wind auf der Gitarre spielen kann, wird keiner bei uns verhun­gern.“ Das heißt, wir sind nicht hier auf dieser Welt, um Sachen anzu­schaffen, sondern um heraus­zu­finden, was unsere Lebens­träume sind, und um dann zu versu­chen, denen nahe­zu­kommen. Mein Sohn stand mit fünf vor mir und sagte, er wolle nicht in die Schule. „Aber du musst doch lesen und schreiben lernen.“ „Nein, ich werde Musiker.“ „Aber du musst auch als Musiker schreiben und lesen. Du musst Musik lesen können.“ „Nein, ich empfinde Musik.“ Da war mir klar, das steckt in ihm drin. Einmal hat er ein Inter­view für einen Sender gegeben. Man fragte ihn, wer sein größter Mentor war. Ich war mir sicher, er würde seinen Vater nennen, denn der ist Film­kom­po­nist. Aber er meinte: „Meine Mama, denn die hat immer an mich geglaubt.“ Wahr­schein­lich habe ich ihm dieses Gefühl mitge­geben, dass einfach nichts schief­gehen kann. Wenn man unzäh­lige Male seinen Beruf wech­selt, dann ist man nicht asozial, sondern in sehr viele Rich­tungen begabt.

Désirée Nosbusch

»Wenn man das Gefühl hat, seine Zeit nicht richtig zu nutzen, sollte man aufhören.«

Aber gab es auch Phasen, wo Sie Zweifel an den Lebens­ent­schei­dungen Ihrer Kinder hatten?

Sagen wir es so: Meine Kinder haben es auf die begehr­testen Unis dieser Welt geschafft, das Tisch Program der New York Univer­sity und das Berklee College of Music in Boston, aber sie haben beide abge­bro­chen, weil sie meinten, sie würden lieber aktiv Musik machen, als Lesungen darüber zu besu­chen. Natür­lich denke ich, ich hätte sie viel­leicht mehr unter­stützen müssen, dass sie zu Ende studieren. Meine Eltern hätten mir gesagt: „Bist du wahn­sinnig? Mach zu Ende.“ Ich für meinen Teil meinte: „Überleg dir’s noch mal.“ Ja, es war schade, aber ich habe sie nicht gedrängt. Und das war richtig so. Wenn man das Gefühl hat, man nutzt seine Zeit nicht richtig, dann sollte man aufhören.

Sie spra­chen vorhin von der Suche nach einem Lebens­ge­fühl. Wie sieht dieses bei Ihnen aktuell aus?

Bei strah­lendem Sonnen­schein über eine Blumen­wiese hüpfen und den Ball nach meinem Hund werfen. Ich weiß, das ist ein biss­chen viel auf einmal. (lacht)

Fotos: Sina Goertz