Elbphilharmonie

Elbphilharmonie u.a.

Schuh­schachtel oder Wein­berg

von Klaus Härtel

26. Mai 2018

Perfekte Fassade oder innere Klangschönheit? Die Frage nach der Priorität wird bei jedem Neubau eines Konzerthauses heftig diskutiert.

Die hat neue Maßstäbe gesetzt. In jeder Hinsicht. Optisch, akus­tisch und finan­ziell. Sie wurde mit dem Ziel geplant, ein neues Wahr­zei­chen der Stadt und ein „Kultur­denkmal für alle“ zu schaffen. Zumin­dest die Sache mit dem Wahr­zei­chen ist voll aufge­gangen. Man muss sich tatsäch­lich nicht für Musik inter­es­sieren, um die „Elphi“ – fast 800 Millionen Euro schwer – beein­dru­ckend zu finden. 110 Meter ragt sie in die Höhe. Der Unterbau aus Ziegel, Resten eines alten Kaispei­chers, der Oberbau ein Kunst­werk aus Glas, Stahl und Beton. Und doch lässt dieses Prunk­stück auch Raum für Diskus­sionen. Denn qua defi­ni­tionem ist ein Konzert­saal dafür da, dass die Musik gut klingt. Er soll den Schall verstärken und verbes­sern – wie ein begeh­barer Reso­nanz­raum.

Dresdner Kulturpalast
Über­zeugt akus­tisch: der 1969 erbaute und reno­vierte Konzert­saal im Dresdner Kultur­pa­last

Schauen wir nach : Akus­tisch über­zeugen konnte der 1969 gebaute Dresdner Kultur­pa­last eigent­lich nie. Jetzt aber, fast 50 Jahre später, hält man ihn sogar für „die bessere Elbphil­har­monie“. Fünf Jahre lang wurde saniert, der Konzert­saal völlig neu gestaltet und im April 2017 wieder einge­weiht. Etwa 100 Millionen Euro hat man sich die Neuge­stal­tung des Kultur­pa­lasts am Altmarkt kosten lassen, laut Eigen­wer­bung „ein Haus der Künste und des Wissens: Der neue Dresdner Kultur­pa­last weist in die Zukunft“. Ob er auch ein Touris­ten­ma­gnet wird wie die Elbphil­har­monie? Wenn, dann eher nicht, weil er optisch über­zeugt. Der als sozia­­lis­tisch-klas­si­zis­ti­scher Ensem­blebau geplante Quader wirkt im Stil der inter­na­tio­nalen Moderne fast schon schmucklos. Der Konzert­saal aber wurde, was die Akustik betrifft, zur großen Über­ra­schung. Schon erste Orches­ter­proben stimmten die Verant­wort­li­chen eupho­risch. Der ange­strebte „warme Dresdner Klang“ war von dem nieder­län­disch-deut­schen Akus­tik­büro Peutz erzielt worden.

Als zurzeit führender Fach­mann für Konzert­saal-Akustik gilt der Japaner . Jüngere Groß­pro­jekte waren die Konzert­säle in Katowice (2014), Paris (2015) und eben Hamburg (2016). Toyota war auch der verant­wort­liche Akus­tiker für die Suntory Hall in (1986), die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles (2003) oder das Konzert­haus in (2009).

Münchner Konzertsaal
Entwurf des Münchner Konzert­hauses der Archi­tekten Andreas Cukro­wicz und Anton Nach­baur-Sturm

In wird seit Jahren über die Notwen­dig­keit eines neuen Konzert­saals gestritten. So ein Konzertbau ist ja keine Klei­nig­keit, sondern eine millio­nen­teure und städ­te­bau­lich oft einschnei­dende Entschei­dung. Siehe Hamburg. Über­haupt hat man den Eindruck, das äußere Erschei­nungs­bild sei der wich­ti­gere Aspekt – was für den Groß­teil der Bevöl­ke­rung vermut­lich auch stimmt, denn dieser wird den neuen Bau eher von außen denn von innen erleben. Die Frage muss erlaubt sein: Wie stark kann die Fassade auch über mindere akus­ti­sche Qualität „hinweg­schönen“? Denn die Saala­kustik bildet ein heikles Thema, zumal die oft neuar­tige und gewagte Archi­tektur immer wieder andere Heraus­for­de­rungen stellt.

Konzerthaus Dortmund
Folgt dem „Schuh­schachtel-Prinzip“ nach dem Vorbild des Goldenen Saals: das Konzert­haus

Im 19. Jahr­hun­dert war das alles noch einfa­cher. Der für seine Akustik viel­fach bewun­derte Goldene Saal des Wiener Musik­ver­eins entstand 1870 ohne jede akus­ti­sche Exper­tise. Man folgte einfach dem tradi­tio­nellen Modell der „Schuh­schachtel“ oder „Zigar­ren­kiste“: Der Saal ist ein läng­li­cher Quader mit der Bühne am schmalen Ende. Viele Konzert­säle jener Zeit, die bis heute für ihre gute Akustik bekannt sind, beher­zigen dasselbe Prinzip: das Concert­ge­bouw in (1887), die Tonhalle in (1895), die Symphony Hall in Boston (1900). Auch bei Neubauten dient der Goldene Saal noch immer als Vorbild, etwa beim Konzert­haus am Gendar­men­markt (1984), beim Konzert­saal im KKL (1998) und beim (2002). Physiker aus haben aktuell nach­ge­wiesen, dass die „Schuhschachtel“-Bauweise eine beson­dere akus­ti­sche Dynamik besitzt – vor allem dank der Schall­re­fle­xion der Seiten­wände. Der Nach­teil dieser Bauform ist ein opti­scher: Man mag in der 40. Reihe noch gut hören, aber die Musiker schrumpfen zum Ameisen­theater. Da kann man gleich vor einer HiFi-Anlage sitzen.
Und die „Schuh­schachtel“ hat ernst­hafte Konkur­renz bekommen – erst­mals durch die Berliner Phil­har­monie (1963), im Volks­mund einst „Zirkus Kara­jani“ genannt. In Berlin hat man versucht, alle Zuhö­rer­plätze möglichst nahe an die Bühne zu rücken, indem man die Reihen rundum terras­sen­artig nach oben zog und die Bühne Rich­tung Saal­mitte verlegte. Diese Bauform wurde als „Weinberg“-Prinzip bekannt. Sie liegt heute vielen Neubauten von Konzert­sälen zugrunde, auch den aktu­ellen Phil­har­monie-Projekten in Dresden und Hamburg.

Der Trend geht dabei zu immer stei­leren Rängen, als wolle man die konven­tio­nelle „Schuh­schachtel“ hoch­kant stellen, aber auch zu immer volu­mi­nö­seren, „runderen“ Sälen. Das lässt an die modernen Fußball­arenen denken: Auch dort sind die Besu­cher recht steil und relativ nahe überm Spiel­feld plat­ziert. Nun kann man zwar ein Fußball­spiel aus jeder Rich­tung betrachten, aber Orches­ter­mu­siker spielen nur in eine Rich­tung: zum Diri­genten hin. Daher hat auch der Rundum-„Weinberg“ seine opti­schen Grenzen – denn wer will den Musi­kern zwei Stunden lang von oben auf den Hinter­kopf schauen? Optik und Akustik sollten also Hand in Hand gehen. Und Archi­tekten ziehen beim Neubau eines Konzert­saals profes­sio­nelle Akus­tiker hinzu. Schließ­lich ist, wie der der Physiker Donald E. Hall schreibt, „akus­ti­sche Planung mindes­tens ebenso sehr Kunst wie Wissen­schaft“.

Fotos: Iwan Baan, Markenfotografie, Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm , Mark Wohlrab