Anna Lucia Richter

Anna Lucia Richter

Vom Heim- und Hinausweh

von Verena Fischer-Zernin

24. Februar 2019

stammt aus und lebt jetzt in . Ihr neues Album: „Heimweh“. Die Sopra­nistin über die Lyrik von Schu­bert-Liedern, ihr persön­li­ches Heim- und Hinausweh und die Span­nung, in verschie­dene Rollen zu schlüpfen.

CRESCENDO: Sie geben einen Lieder­abend lang den Engel mit der glocken­reinen Stimme. Und dann kehren Sie zur Zugabe die Kölnerin heraus und singen das freche „Och Moder isch will en Ding han“ aus den Brahms’schen Volks­lie­dern. Wer ist denn nun die echte Anna Lucia Richter? 

Anna Lucia Richter: Ich glaube, von allem etwas. In zwischen­mensch­li­chen Bezie­hungen verhalten wir uns ja auch unter­schied­lich in Wech­sel­wir­kung mit dem Gegen­über: Je nachdem, was ich singe, belichte ich unter­schied­liche Teile meiner selbst. 

Fühlen Sie sich „kölsch“? 

Das Geer­dete, Prag­ma­ti­sche, das habe ich auf jeden Fall. Et kütt, wie et kütt. 

Sie leben mitt­ler­weile in Wien. Spüren Sie denn selbst manchmal dieses Heimweh, dem Sie Ihr neues Album mit Schu­bert-Liedern gewidmet haben? 

Es gibt solche Momente. Freunde, Familie, die ich vermisse. Und wenn ich mit dem Auto über den Rhein fahre und den Dom sehe, dann weiß ich, ich bin zu Hause. Aber ich könnte nach vier Jahren auch Heimweh nach Wien haben. 

Mit dem Begriff „Heimweh“ zielen Sie ins Herz der Romantik, das ist hart am Klischee. 

Das Wort eröffnet Asso­zia­ti­ons­räume. Im Heimweh schwingt die Sehn­sucht nach der Kind­heit mit. Dieses abso­lute Aufge­ho­ben­sein kann man nie wieder­erlangen, es nimmt immer weiter ab. Die Suche nach Gebor­gen­heit ist ein großer Teil des Heim­wehs. Aber wenn man dann daheim ist, setzt das Fernweh ein, das Hinausweh. 

„Die Suche nach Gebor­gen­heit ist ein großer Teil des Heim­wehs“

Im Kern geht es in den Liedern um die eine oder andere Art von Getrennt­sein … 

… und viel um Abschied. Der Hirt auf dem Felsen, eins der letzten Werke Schu­berts, ist ein großer Abschied, aber der letzte Satz ist schon fast schwe­relos. Er erin­nert mich an die Arie Ich freue mich auf meinen Tod von Bach. Trauer kann glück­lich machen. Dieser kleine Schmerz kann sehr befreiend sein. 

„Trauer kann glück­lich machen“

Kann sich auf dem kleinen Platz, den ein Lied bietet, eigent­lich eine Drama­turgie entfalten? 

Nehmen Sie den Zwerg. Das Lied nimmt unglaub­lich an Fahrt auf. Jeder Charakter hat eine Farbe. Der erste Verlust dagegen ist ein kleines Gemälde, die Atmo­sphäre ändert sich inner­halb des Stückes nicht. 

Schu­bert war längst nicht so wähle­risch mit den Gedichten wie etwa Schu­mann. Wie finden Sie die Qualität der Lyrik?

Er hat nicht ausschließ­lich Goethe und die Großen vertont, trotzdem: gar nicht so schlecht. Das ist wahr­schein­lich das -Syndrom, weil man sich so intensiv damit befasst. Aber ich habe es bislang immer nach­voll­ziehen können, warum Schu­bert einen Text ausge­wählt hat. Natür­lich sind da welche dabei, die ohne die Verto­nung niemand mehr kennen würde.

Eine Lied­ver­to­nung ist ja selbst schon eine Inter­pre­ta­tion. 

Mich inter­es­siert, wie Schu­bert an die Verto­nung geht. Er nimmt einfach den Affekt, manchmal scheinbar ohne Analyse. Das Span­nende bei ihm ist, man baut eine persön­liche Bezie­hung zu den Figuren auf.

Was lieben Sie über­haupt am Lied?

Oh! (holt Luft) Dass man inner­halb eines Lieder­abends in so viele verschie­dene Rollen schlüpft. Diese Gegen­sätze: Ich bin ein Toten­gräber, ein zwölf­jäh­riges Mädchen, eine junge Liebende. Was für eine Fall­höhe! Dann das Kammer­mu­si­ka­li­sche. Wir können selbst bestimmen, wie lange wir proben, können disku­tieren. Das ist eine große Frei­heit. 

„Ich bin ein Toten­gräber, ein zwölf­jäh­riges Mädchen, eine junge Liebende. Was für eine Fall­höhe!“

… also das Gegen­teil einer Opern­pro­duk­tion. Wie viel Oper singen Sie? 

So ein, zwei Produk­tionen pro Jahr. Es ist schön, mit den Kollegen länger zusam­men­zu­ar­beiten. Sechs Wochen mal an einem Ort zu sein. Auf der Bühne zu spielen, mit Maske, mit der Regie etwas zu entwi­ckeln.

Ihr Stimm­vo­lumen ist nicht riesig. Kommen Sie über den Graben?

Ich würde jetzt keinen Wagner oder Verdi singen. Aber in der letzten Zeit singe ich beispiels­weise oft Mahlers Wunder­horn-Lieder, das geht wunderbar, sowohl mit Haitink als auch Curr­entzis. Meine Stimme ist glück­li­cher­weise sehr ober­ton­reich und trägt gut. Ich komme aus der Mädchen­chor-Tradi­tion. Da habe ich gelernt, sehr gerade und sehr sauber zu singen. Da muss man lernen zu unter­scheiden, wie viel davon ist gemacht, und wie viel gehört wirk­lich zu meiner Stimme? Meine Stimme gewinnt momentan an Tiefe, die wieder anders an die Höhe ange­bunden ist. 

Wenn die Stimme sich lebens­lang verän­dert, ändern sich auch die Partien. Was würden Sie denn gerne mal singen?

Ich wollte immer die schönste Musik machen, ohne limi­tiert zu sein. Aber das war nie aufs Reper­toire bezogen. Wobei – Susanna! Susanna möchte ich gern singen. Oder Cheru­bino? Mittel­lage und Tiefe machen viel Spaß. Das wäre neues Terrain. 

„Ich wollte immer die schönste Musik machen, ohne limi­tiert zu sein“

Da wech­seln Sie ja munter die Fächer, wenn Sie beides machen. 

Dieses Schub­la­den­denken geht mir auf die Nerven: „Du darfst keinen Cheru­bino singen, sonst wirst du nie wieder für Pamina gefragt!“ Für manche Veran­stalter ist das natür­lich einfa­cher. Früher war es durchaus üblich, an einem Abend Carmen und am nächsten Abend eine lyri­sche Mozart-Sopran-Rolle zu singen. 

Sie müssen bestimmt immer wieder Über­zeu­gungs­ar­beit leisten, Sie sind ja die Inkar­na­tion des jugend­lich-lyri­schen Soprans. Stört Sie das Etikett „die junge Anna Lucia Richter“?

Besser als „die alte …“! (lacht) Durch das Reper­toire ergibt sich ein Image. Vieles hat man nicht in der Hand. Wenn Sie meine Fotos nehmen: Eines ist zehn Jahre alt, das wird ständig gedruckt, und da sehe ich halt äthe­risch drauf aus. Ich mache das, was gerade zu mir passt. Es ist die Sache der anderen, ihr Bild von mir zu ändern. Ich habe genug mit dem Singen zu tun. Die Zeit, auch noch bewusst mit Haar­farbe und Klei­dern Images zu basteln, habe ich nicht. 

„Es ist die Sache der anderen, ihr Bild von mir zu ändern. Ich habe genug mit dem Singen zu tun“

Schon mal Stimm­krisen gehabt? 

Es gibt immer wieder Momente. Aber meine Amster­damer Lehrerin Margreet Honig kann oft sogar am Telefon helfen. 

Dann singen Sie ins Telefon? 

(lacht) Das nicht. Aber, wie mal eine Sopra­nistin im Inter­view gesagt hat, stellen Sie sich vor, Sie sind Geiger. Und Sie müssen mit Ihrer Geige staub­saugen und abspülen. Wir Sänger müssen mit unserem Instru­ment eben auch noch den Alltag bewäl­tigen. Da muss man es sich mal gönnen zu sagen, heute geht es mir emotional eben nicht so gut. Natür­lich kann man solche Dellen mit Technik glätten. Aber es ist wichtig, sie sich selbst einzu­ge­stehen. Je mehr man mit seiner Stimme schimpft, desto belei­digter ist sie.

Fotos: JULIA WESELY