Woher kommt eigentlich ...
Der Begriff »Mendelssohns Auge«?
von Stefan Sell
4. Juni 2019
Donna Gißmunda Rosenlaub, die weltberühmte Putzmacherin par excellence hat sich angesichts der Berühmtheit von Felix Mendelssohn Bartholdy etwas Besonderes einfallen lassen.
Ein hervorwachsendes Indiz auf dem Barometer von Mode und Musik sind die „Antennen der Seele“ – unsere Haare. Dazu gehört nicht nur die jeweilige Frisur, sondern auch die jeweils bevorzugte Kopfbedeckung bzw. der Kopfschmuck. In den Anfängen, als noch ausschließlich auf Knochenflöten, Tierpanzern, Felltrommeln und Musikbögen musiziert wurde, war die Haarmode ganzkörperlich. Später, als das meiste davon sich auf die Kopfregion zurückzog, wurde – ob lang oder kurz, gewellt oder gelockt, zerzaust oder verlaust – aus Haaren Frisur. So konnte das Haar von Frauen sich lust- und kunstvoll getürmt zu Schiffsmasthöhe aufschwingen, um samt Takelage und gesetzten Segeln durch die Salons des Rokoko zu ziehen. Im Barock waren Perücken en vogue.
40 Perückenmacher
Bach kennen wir gar nicht ohne, und allein für den Sonnenkönig in Versailles arbeiteten 40 Perückenmacher. Glaubte Mann im Mittelalter, Frauen mit rotem Haar müssten Hexen sein, demonstrierte der Bubikopf in den 20ern emanzipierte Frauen. Es kamen der Rock ’n« Roll und die Schmalztolle, die Beatles boten Pilzköpfe, und die Flower-Power-Zeit ließ Haare wieder wachsen und gedeihen.
1968 widmete sich das Musical Hair ausschließlich den Kopfsprösslingen. Es hieß: „Ich will mein Haar nicht vom Stahlhelm frisieren lassen.“ Und die Musik wurde zur Rebellion gegen Bürgertum und Führungsschicht in Zeiten des Vietnamkriegs. Soul und Disco erklärten den Afro-Look zur Mode. Der Punk brachte den vielfarbigen Irokesenschnitt, die 80er Föhnfrisur und Poppertolle. Neben Dauerwelle und Rasta-Locken präsentierten Musiker wie Limahl den „Vokuhila“ (vorne kurz, hinten lang). Und immer wieder gab es modische Kopfbedeckungen wie die Baseballkappe beim Hip-Hop.
Die weltberühmte Putzmacherin par excellence
Welch vieltriebige Zweige und Blüten das modische Suchen und Finden, die Haarpracht zu schmücken, hervorbringen konnte, erzählt folgende Begebenheit – und sie muss eine ganz besondere Frau gewesen sein: „Donna Gißmunda Rosenlaub, die weltberühmte Putzmacherin par excellence“, wie die Leipzigerin seinerzeit gerühmt wurde, war sie doch modische Trendsetterin insbesondere im Bereich des Musiklebens. Unter der Rubrik „Amüsantes Kaleidoscop“ wurde am 5. Januar 1841 mit der Überschrift „Mendelssohns Auge, eine Haube“ in Adolph Friedrich Richters Pannonia annonciert: „Der berühmte Compositeur Felix Mendelssohn-Bartholdy ist in Leipzig in der Mode und so beliebt, daß eine Putzmacherin Namens Gißmunda Rosenlaub (sehr romantisch) neue Concert-Barets unter dem Titel Mendelssohns Auge ankündigt, die auch wie Lyser in ‚Ost und West‘ berichtet, bei den Leipziger Damen vielen Beifall finden.“ Es handelte sich dabei um einen extravaganten Kopfschmuck, der Konzertbesucherinnen einen zweifelsfrei eleganten Auftritt ermöglichte.
Bei den Damen in Gunst
Johann Peter Lyser, der hier als Garant für den Beifall der Leipziger Damen genannt wurde, war Dichter, Maler und Musiker. Bereits mit 18 ertaubt, widmete er sich der Schriftstellerei und veröffentlichte 1830 seinen unvollendet gebliebenen Roman Benjamin. Ein Roman aus der Mappe eines tauben Malers. Er war mit Heine befreundet, und Mendelssohn stand ihm wohl so nah, dass der Lyser sogar von dessen Schuldenlast und aus der Schuldenhaft befreite. Verständlich, dass er sich nicht nehmen ließ, gleich nach Mendelssohn Tod einen biografischen Nachruf zu verfassen, worin eben auch benannte Haube auftaucht: „Er (Mendelssohn) war der Liebling in den höheren Kreisen, besonders bei den Damen so sehr in Gunst, daß die bekannte fantastische Leipziger Putzhändlerin Gißmunda Rosenlaub einen neuen Kopfputz in den Zeitungen unter der Benennung ‚Mendelssohn’s Auge‘ ankündigte, und damit die glänzendsten Geschäfte machte. Mendelssohn war der Erste, der mit uns über solche Starrheiten lachte …“ (5.12.1847, „Wiener Sonntagsblätter“). Man könnte meinen, Mendelssohn hätte mit seinem Elias-Terzett Hebe deine Augen auf Vorsorge treffen wollen, falls mal ein Wind den Damen die „Concert-Barets“ vom Haupte fegen sollte.
Lyser war in Hinsicht dessen, was man damals trug, ein zuverlässiger Chronist, hinterließ er uns doch Zeichnungen von „Beethoven in Straßenkleidung“, „Paganini der Hexenmeister“ beim Violinspiel, „Wie Franz Liszt sich in Wien zum Festessen hergeben muss“, skizzierte einen „Jüngling à la mode“ oder karikierte einen schmucken Soldaten unter dem Titel „Mein treues Bildt seh ich im Spiegel“, dem dort ein Esel gegenübertritt. Interessant ist, dass dieser Lyser in Robert Schumanns Neue Zeitschrift für Musik als Musikkritiker wirkte. Wie er das bei seiner Taubheit bewerkstelligte, bleibt wohl für immer ein Geheimnis der Musikgeschichte.