KlassikWoche 36/2019

Fetter Shit­s­torm und der schlanke Fuß der Staats­ka­pelle

von Axel Brüggemann

2. September 2019

Heute mitten aus einem klas­si­schen Shit­s­torm, mit der Frage nach dem „Wie weiter in Salz­burg?“ und großem Applaus für Chris­toph Eschen­bachs Einstand in Berlin.

Will­kommen zur neuen Klassik-Woche,

heute mitten aus einem klas­si­schen Shit­s­torm, mit der Frage nach dem „Wie weiter in Salz­burg?“ und großem Applaus für Chris­toph Eschen­bachs Einstand in Berlin.

WAS IST

FAT SHIT­S­TORM

Es ist viel­leicht nicht klug, dass ich mich hier in einen fetten Shit­s­torm begebe und meinen astral-schlanken Kritiker-Körper wenigs­tens ein biss­chen vor den opulenten Kritiker-Korpus des Kollegen Manuel Brug schiebe, der an dieser Stelle wegen seines Face­­book-Profil­­bildes immerhin schon einige Male sein Fett als Raupe Nimmer­satt wegbe­kommen hat. Folgendes ist passiert: Die Sängerin der Salz­burger Eury­dike, Kathryn Lewek, hat Brug in zahl­rei­chen Posts unter dem Hashtag #body­s­ha­ming ange­griffen, da sie seine Kritik in der Welt als persön­li­chen Angriff auf ihren Körper verstanden hat. Sie fühlte sich gede­mü­tigt, postete prompt Bilder mit dem unver­pi­xelten (auch frag­würdig!) Gesicht ihres Kindes und echauf­fierte sich über die über­grif­fige Kritik! In den letzten Tagen wuchs daraus – und durch den ätzenden Brand­be­schleu­niger Norman Lebrecht – ein Shit­s­torm zu Orkan­stärke, und Brug-Feinde posteten mit Inbrunst unvor­teil­hafte Bilder des Kriti­kers. Ich befürchte aller­dings, dass es sich in dieser aufge­heizten Stim­mung eher um einen klas­si­schen Internet-Auto­­ma­­tismus handelt, an dessen Ende keiner mehr so genau weiß, worum es eigent­lich ging – bezie­hungs­weise niemand die Original-Kritik gelesen hat, bevor er in die #body­­s­ha­­ming-Schreie einstimmte.

Fakt ist, dass Brug in einem Endlos-Text über die Salz­burger Fest­spiele Barrie Koskys Orpheus-Auffüh­rung in einem eher schlanken Satz abhan­delte. Und der ging so: „… leider läuft der gut geölte Mario­­netten-Mecha­­nismus schnell leer, immer wieder machen dicke Frauen in engen Korsetten in diversen Sepa­rees die Beine breit.“ Äh – ja, genau das war auf der Bühne zu sehen, und, ja, die Regie spielte bewusst mit dem Aussehen der Sänge­rinnen, thema­ti­sierte ihre Körper­lich­keit slap­stick­artig wie einst bei Stan & Ollie, die in Deutsch­land bekannt­lich als Dick und Doof Karriere machten. Die Frage ist, wie man all das anders ausdrü­cken solle. Es ging hier eben nicht um eine „Fat man can’t sing“-Über­schrift (so titelte einst die  Times über Luciano Pava­rotti), sondern um eine in der Insze­nie­rung ange­legte Körper-Debatte. 

Okay, dass Brug in einem Tweet auf die erste Welle des Shit­s­torms mit einem selbst­ge­fäl­ligen „Haha“ antwor­tete – das war nicht wirk­lich klug. Smarter dagegen Mezzo Nadine Weiss­mann, die den Cupido der Insze­nie­rung sang, und vor der letzten Salz­­burg-Auffüh­rung mit einem Schmun­zeln auf Face­book postete: „It ain’t over till the fat lady in a corset sings!“ Voll­kommen pein­lich dagegen das offi­zi­elle State­ment von Fest­­spiel-Präsi­­dentin Helga Rabl-Stadler: „Ein ziem­lich einfluss­rei­cher deut­scher Kritiker, dessen Aussehen ich nicht kommen­tiere, um mich nicht auf seine respekt­lose Stufe zu stellen, hat Kathryn vorge­worfen, sie wäre zu dick als Eury­dice in Orphée aux enfers…“ Abge­sehen davon, dass das so nicht stimmte, wie soll das alles denn nun weiter­gehen? In der Fest­stel­lung, dass die Fest­­spiel-Präsi­­dentin, über deren Aussehen wir hier nicht berichten, um das Niveau eines Kriti­kers, über dessen Aussehen wir hier eben­falls nicht berichten, um sein Niveau, als er über eine Sängerin schrieb, über deren Aussehen er nicht in der Form berichtet hatte, wie es die Fest­­spiel-Präsi­­dentin ihm unter­stellte, nicht zu unter­schreiten? Leute, ist all das nicht alles etwas zu dick aufge­tragen?

STAATS­KA­PELLE OHNE THIE­LE­MANN?

Seit Monaten begleiten wir an dieser Stelle den Zoff um die Salz­burger Oster­fest­spiele. Nachdem wir letzte Woche bereits über Meinungs­ver­schie­den­heiten zwischen der Säch­si­schen Staats­ka­pelle und Chris­tian Thie­le­mann berichtet hatten (es ging um die vom Diri­genten geplanten Premieren), wurde der Zwist nun auch offi­ziell: In einer Pres­se­mit­tei­lung stellte das Orchester klar, dass es auch ohne seinen Chef­di­ri­genten in Salz­burg bleiben wolle. Wenn es die Rech­nung dabei mal nicht ohne den Wirt gemacht hat. Sowohl Thie­­le­­mann-Rivale und desi­gnierter Inten­dant Niko­laus Bachler, als auch Landes­haupt­mann Wilfried Haslauer schweigen irri­tie­rend beharr­lich – haben sie etwa längst einen Plan ohne Orchester und Diri­genten in der Schreib­tisch­schub­lade? In öster­rei­chi­schen Zeitungen wird über eine Rück­kehr der Berliner Phil­har­mo­niker nach Salz­burg speku­liert – ich tippe eher auf ein Festival mit jähr­lich wech­selnden Orches­tern. Für Thie­le­mann ist der Zoff in Salz­burg aller­dings nur eine Baustelle: Das hat ihn und die Staats­ka­pelle gerade aus dem Silves­ter­kon­zert geworfen (das über­nimmt bereits 2019 ), und im Oktober steht auch die Verlän­ge­rung seiner Musik­di­rek­to­ren­stelle in an. Den Ring hat Katha­rina Wagner bekannt­lich an  vergeben; disku­tiert wird derzeit wohl über ein Parsifal-Dirigat 2022 – aber ob seine Stelle als Musik­di­rektor verlän­gert wird, ist offen. Auch in Bayreuth wird am Ende die Politik entscheiden. 

WAS WAR

VLADIMIR JUROWSKI WILL REDEN

Der zukünf­tige Diri­gent der Baye­ri­schen Staats­oper und Nach­folger von Kirill Petrenko, der Russe , hat Ekate­rina Kel von der SZ ein span­nendes Inter­view gegeben, in dem er sich auch von seinem Vorgänger absetzt. Anders als Petrenko hält Jurowski das Reden mit dem Publikum und den Medien für exis­ten­ziell: „Ich liebe es, mich mit Menschen auszu­tau­schen. Das mag aus meinem Mund etwas seltsam klingen. In meinem Beruf werden viele zu Misan­thropen. Erstens begegnet man als Diri­gent täglich Hunderten von Menschen. Danach möchte man sich lieber zurück­ziehen. Zwei­tens übt man als Diri­gent ständig die Rolle des Bestim­mers aus, und irgend­wann vereinsamt man daran. Das hat mich früher oft abge­schreckt.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Von Mailand nach – kein Aufstieg, eher eine Notlö­sung. Aber immerhin, es geht weiter für den Scala-Inten­­danten Alex­ander Pereira. Er profi­tiert vom Abgang des Musik­di­rek­tors  und des Inten­danten Cris­tiano Chiarot in Florenz und springt kurz­fristig ein. +++ Alex­ander Stein­beis gibt seinen Posten als Orches­ter­di­rektor des Deut­schen Symphonie-Orches­­ters Berlin auf – wohin es ihn nach 13 erfolg­rei­chen Jahren treibt, verrät er nicht. +++ Die Kiewer Sopra­nistin Tetiana Zhur­avel macht gerade Karriere im Westen, setzt sich aber auch für Demo­­kratie-Projekte in der Ostukraine ein. Kirsten Holm berichtet in der FAZ über das span­nende Projekt „Music and Dialogue“. +++ Können Sie dieses Wort lesen? CONCERT­GE­BOU­WOR­KEST – so und nicht anders, müssen Festi­vals und Veran­stalter neuer­dings werben, wenn sie das Orchester aus verkaufen wollen. Vorbei mit dem klin­genden Namen Royal Concert­ge­bouw Orchestra. Hat das diri­­genten- und führungs­lose Ensemble keine anderen Probleme? 

Fotos: Wiki Commons