Gisela Ehrensperger und Maximilian Mayer
Ohrwürmer, CanCan und Wiener Schmäh
von Maria Goeth
1. Dezember 2017
Im Oktober 2017 öffnete das Münchner Gärtnerplatztheater nach fünfjährigem Umbau wieder seine Pforten. Wir sprachen mit der Grande Dame des Hauses, Gisela Ehrensperger und dem Newcomer Maximilian Mayer.
CRESCENDO: Wie kamen Sie zur Operette?
Gisela Ehrensperger: Indem ich immer am Gärtnerplatztheater war. Wo die Ziege angebunden ist, muss sie ihr Gras fressen! Ich bin nun 50 Jahre hier, und es wird eben alles gespielt, neben Oper und Musical auch Operette. Es war keine bewusste Entscheidung, aber es war eine bewusste Entscheidung, dass ich Sängerin werden und zum Theater gehen will – was man dort machen musste, hat man gemacht! Aber ich wäre wohl nicht am Theater geblieben, wenn ich ständig diese letalen Rollen hätte singen müssen, sterbende Mimis und so weiter, da wird man verrückt! Das ist zwischendurch mal ganz schön, aber nicht immer!
Maximilian Mayer: Auch ich habe mich nicht bewusst für die Operette entschieden. Ich habe in Österreich studiert, wo die Operette noch mehr Tradition, mehr Stellenwert hat als in Deutschland. Deshalb waren meine ersten Engagements in Operetten. An der Universität selbst wurde das gar nicht gemacht, ein bisschen belächelt. Aber sobald man aus der Uni rausgeht und ins Berufsleben eintritt, merkt man vor allem in Österreich, dass Operette sehr präsent ist. Mein Vorteil war, dass ich Muttersprachler bin. Das hatte ich meinen ausländische Kollegen voraus, weil zur Operette eben der Dialog und ein gewisser Schmäh gehören, den man als Muttersprachler noch besser rüberbringen kann.
»Es ist leichter, die Leute zum Weinen zu bringen als zum Lachen«
Sie machen beides, Oper und Operette. Was ist für Sie als Darsteller anspruchsvoller?
Gisela Ehrensperger: Operette ist schwerer! Weil eben Schauspiel, Sprache und auch Tanz dazukommen. Oper ist oft sehr statisch, das reicht mir nicht. Man muss eine Figur fühlen, spielen – nicht nur gucken, dass das hohe C wunderbar kommt!
Maximilian Mayer: … und es muss in der Operette genauso gut kommen! Es kommt vielleicht sogar schwerer, weil man davor einen langen Dialog oder einen Tanz hatte. Außerdem sind in der Oper die Themen oft dramatisch, in der Operette eher komödiantisch. Ich glaube, dass es schwieriger ist, Komödie glaubhaft, berührend zu präsentieren. Es ist leichter, die Leute zum Weinen zu bringen als zum Lachen. Zur Komödie braucht es echtes Handwerk: Timing, klare Abläufe – was für die Arbeit alles andere als lustig ist. Aber nur so funktioniert Humor.
Die Operette hat ein Image-Problem. Was macht sie trotzdem attraktiv?
Gisela Ehrensperger: Bis auf das Finale zweiter Akt, das meistens dramatisch ist – das Pärchen wird getrennt, im dritten Akt versöhnen sie sich wieder – ist sie in der Regel unterhaltsam. Und die Leute haben doch sehr viele Probleme mit sich, mit dem Leben und mit allem. Sie möchten im Theater gerne unterhalten werden und nicht so sehr belehrt. Sie wollen keine unlogischen Dinge sehen oder sich für teures Geld für blöd verkaufen lassen, sondern eine Geschichte mit Hand und Fuß, aber auch sich verzaubern lassen.
Maximilian Mayer: Operette ist gerade in unserer Zeit, wo alles immer mehr zu wanken beginnt, noch ein Stückchen heile Welt. Für ein paar Stunden kann man hier Erholung finden.
»Viele Ausgrabungen wären besser in Vergessenheit geblieben«
Was sagen Sie zum Repertoire?
Gisela Ehrensperger: So wahnsinnig viele Stücke gibt es ja nicht. Klar, dass es sich wiederholt und trotzdem nie dasselbe ist: andere Bühnenbilder, andere Regisseure, andere Darsteller …
Na ja, es gäbe da noch viele vergessene Werke zu entdecken…
Gisela Ehrensperger: Viele Ausgrabungen wären tatsächlich besser in Vergessenheit geblieben…
Maximilian Mayer: Es hat schon einen Grund, warum immer Die Fledermaus, Die Csárdásfürstin und Die lustige Witwe gespielt werden. Das sind einfach unglaubliche Ohrwürmer! Wenn man im Sommer eine Fledermaus macht, bringt man sicher bis Weihnachten die Musik nicht aus dem Kopf.
Entscheidet auch der Text, nicht die Musik über die Popularität?
Gisela Ehrensperger: Ich kenne keine Operette, wo das so ist!
Maximilian Mayer: Im Gegenteil! Zum Beispiel der Gerichtsdiener Frosch in der Fledermaus lebt ja davon, aktuelle, oft politische Witze zu machen. Über die Witze von vor 100 Jahren würde keiner lachen. Das macht es aus: Die Verbindung von historischer Musik und aktuellen Texten! Ich glaube, dass die Texte im Ursprung nicht für den großen Erfolg der Operette verantwortlich sind, sondern die Musik. Und die aktualisierten Texte sind dafür verantwortlich, dass Operette heute noch funktioniert! Meine Verantwortung als ganz junger Sänger ist, frischen Wind in die Operette zu bringen, sie zu entstauben und Leute in meinem Alter wieder dafür zu begeistern.
»Ich würde mich immer als Opernsänger bezeichnen und nicht als Operettensänger«
Wird man als Operettensänger als Opernsänger zweiter Klasse behandelt?
Gisela Ehrensperger: Ich habe nie als seriöse Sängerin gegolten, weil ich jedes Genre bedient habe. Zumindest damals hatte man damit große Schwierigkeiten, ein Kirchen- oder anderes Konzert zu bekommen. Das hat mich gestört, ich wollte alles machen! Eine Messe singen ist Balsam für die Stimme! Wenn ich das nur selten konnte, hat mir und meiner Stimme etwas gefehlt.
Maximilian Mayer: Ich kann es noch nicht so einschätzen, weil es bei mir ja jetzt erst losgeht. Aber ich glaube, dass es nach wie vor ein Problem ist. Ich würde mich selbst immer als Opernsänger bezeichnen und nicht als Operettensänger. Der Begriff Operettentenor schließt die Oper irgendwie aus. Opernsänger ist der Überbegriff, der wiederum die Operette nicht ausschließt. Das Interessante ist, dass das Vorurteil, dass Sänger, die auch Operette und Musial machen, weniger seriöse Opernsänger sind, nicht vom Publikum kommt, sondern von den Kritikern, Intendanten und Agenten. Das Problem sind also die Macher!
Dass das Publikum anders denkt, spiegelt sich auch darin wieder, dass sich die CRESCENDO-Leser das Dossier Operette explizit gewünscht haben! Ein besonders unvergessliches Erlebnis aus Ihrem Operettenleben?
Gisela Ehrensperger: Lustige Witwe in St. Gallen. Ich spielte die Valencienne und tanzte Cancan. Ich schlug Rad und blieb mit einem Absatz in der Schleppe hängen. Ich habe mich platt auf meinen Allerwertesten gesetzt. Die Leute haben applaudiert, fanden es toll, dachten, es wäre inszeniert. Der angeknackste Steiß hat wochenlang wehgetan. Ungefähr 45 Jahre habe ich nichts mehr gemerkt, aber seit ein paar Jahren kann ich leider nicht mehr lange sitzen.
Maximilian Mayer: Vergangenen Sommer sang ich bei den weltweit wohl größten Operettenfestspielen, den Seefestspielen Mörbisch. Bei ungefähr 6.000 Sitzplätzen geht das nur mit Mikrofon. Bei einer Kostümprobe gab es Uneinigkeit über meine Maskenzeit. Erst sollte ich ohne Maske spielen, dann mit – es sollte abgebrochen werden, und ich war sozusagen der „Dumme“. Ich habe mich über das Hin und Her beschwert und darüber, dass wir als Sänger immer die „Blöden“ sind. Mein Mikrofon war nicht abgedreht und alles kam für das komplette Team hörbar über die große Anlage. Ich habe mich schon im Intendantenbüro gesehen und gefürchtet, dass ich am nächsten Tag nicht mehr besetzt bin, aber plötzlich waren alle zuckersüß und freundlich. Manchmal muss man vielleicht doch auch auf den Tisch klopfen und ein wenig Diva sein!