Hanna Schygulla
Freude am Unterwegssein
21. Juni 2023
Die Grande Dame des deutschen Films Hanna Schygulla feiert dieses Jahr ihren 80. Geburtstag.
Hanna Schygulla ist das Gesicht des Neuen Deutschen Films. Und die Nische des Autorenfilms ist nach wie vor ihr Zuhause. Unter der Regie von François Ozon ist sie in Peter von Kant zu sehen. Der Film basiert auf Fassbinders Die bitteren Tränen der Petra von Kant, in dem Schygulla die junge, eigennützige Geliebte einer narzisstischen Modeschöpferin spielt. Die Neuverfilmung zielt auf das exzessive Leben von Fassbinder, mit dem Schygulla bis zu seinem Tod 1984 eng verbunden war. Ohne ihn „hätte es die Schauspielerin Hanna Schygulla nie gegeben“, bekennt sie. Ein knappes Jahrzehnt stand sie nicht nur in den Inszenierungen seines umstrittenen Action-Theaters und danach in dem von ihr mitgegründeten Antitheater auf der Bühne. Er besetzte Schygulla auch in zahlreichen Filmen, wodurch sie bereits Ende der 1960er-Jahre einem schmalen, aber interessierten Filmkreis auffiel.
Dem breiten Publikum wurde sie 1980 in der TV-Verfilmung von Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz bekannt. Es folgten Produktionen unter anderem mit Rosa von Praunheim, Margarethe von Trotta, Wim Wenders, Volker Schlöndorff, Ettore Scola und Marco Ferreri. Über die Rolle der Lale Anderson in Fassbinders Lili Marleen öffneten sich für Schygulla die Pforten zur internationalen Bühnen- und Filmwelt. Als eine der wenigen deutschen Schauspielerinnen konnte sie auch das amerikanische Filmpublikum faszinieren, sodass ihr 2005 das Museum of Modern Art in New York eine Retrospektive widmete. In dieser waren auch eigenproduzierte Videoarbeiten zu sehen.
Seit Jahrzehnten scheint Hanna Schygulla leichtfüßig von einem zum nächsten Ort zu wechseln, pendelt in jüngster Zeit wieder zwischen Frankreich und Berlin, nachdem sie längere Zeit in Lateinamerika verbracht hat. Im Dezember 2023 wird sie 80 Jahre alt – und hat noch viel vor. Geplant ist unter anderem ein Projekt in Leipzig. Und für den Regisseur Ameer Fakher Eldin steht sie im Frühjahr 2023 an der Nordsee vor der Kamera, wenn er den zweiten Teil seiner Trilogie Yunan dreht. Und auch das Ausland lockt wieder.
Frau Schygulla, wie war es für Sie, in François Ozons Film Peter von Kant mitzuwirken, der auf Rainer Werner Fassbinders Die bitteren Tränen der Petra von Kant fußt, in dem Sie bereits als Protagonistin agierten?
Das war ein Besuch in der Vergangenheit über die Gegenwart. Es ist zwar ein anderer Film, aber ein Blick zurück konnte nicht ausbleiben, weil der Hauptdarsteller Fassbinder sehr ähnlich sah oder er ihm so ähnlich in seiner Rolle geworden ist.
War es merkwürdig für Sie, die zu Fassbinder eine intensive Beziehung hatte, ihm 40 Jahre nach seinem Tod „wiederzubegegnen“, dann auch noch dessen Mutter zu spielen?
Nein. Es ist ja „nur“ ein Film. Und der beruht zudem auf einem typischen Fassbinder-Thema: Es geht um Abhängigkeiten und deshalb scheiternde Liebesbeziehungen, weil sich alle gegenseitig nur benutzen. Solche Rollen hatte ich bei Fassbinder sehr viel gespielt und bat ihn eines Tages, mich bitte nicht mehr für solche Charaktere zu besetzen. Als Mutter konnte ich zwar in diesem Remake eine kleine Wärmepackung drauflegen, aber im Grunde reden alle – auch die Mutter – eigentlich am Thema des anderen vorbei. Keiner hört zu, jeder befasst sich mit sich selbst. Dieses Uneigentliche schafft Distanz, weshalb ich die Rolle mit einem gewissen Abstand spielen konnte.
Wie verliefen die Dreharbeiten?
Es war viel leichter als damals. François Ozon ist mir nicht so nah. Mit Fassbinder war es ja immer so intensiv – wir waren zwar frei in unserem Tun als Schauspieler, und oft wurde schon der erste Take genommen. Dennoch waren wir alle am Set immer unter Spannung. Fassbinder erzeugte als Schöpfer seiner Werke Abhängigkeiten bei denen, mit denen er arbeitete. Und das ist anstrengend, denn das geht dann doch an der Liebe vorbei. Er hatte eine fatale Meinung von der Liebe, nämlich, dass auch sie letztlich nur auf einen Machtkampf hinausläuft. So hat er nicht nur seine Geschichten erzählt, sondern seine eigene auch gelebt. Er hat beispielsweise nicht daran geglaubt, dass er um seinetwillen geliebt wird, sondern nur weil er gebraucht wird. Und er war zum Beispiel furchtbar beleidigt, wenn ich zwischen den Dreharbeiten – wir haben ja sehr viel gedreht – mal ein bisschen Abstand gebraucht habe und mich für eine Weile verabschieden wollte. Das war für ihn Untreue.
»Unsere Beziehung hatte einen magischen Touch.«
Konnten Sie mit ihm darüber sprechen?
Nein, wir haben nur über die Arbeit gesprochen und nie geplaudert, schon gar nicht diskutiert.
Sie führten keine private Beziehung?
Es war ein sehr seltsames Verhältnis. Unsere Beziehung hatte einen magischen Touch. Vielleicht hatten wir beide auch Angst, weil wir das erhalten wollten. Aber die Liebe wurde nie ausgelebt, sondern nur über seine Werke in die Welt gelassen. Hätte Rainer länger gelebt, hätte sich das geändert. Ich bin mir sicher, wir hätten uns – je älter wir geworden wären – immer mehr zu geben gehabt. Ich dachte auch, diese Beziehung würde ein Leben lang dauern. Älter geworden bin jedoch nur ich.
Sie haben in zahlreichen Autorenfilmen mitgewirkt, der Neue Deutsche Film wäre ohne Ihr Gesicht kaum denkbar. Gehörte damals Mut dazu, diese andere Art von Film zu machen und sich für das Antitheater zu engagieren?
Es war schon ein besonders aufgeladenes Spiel. Aber mir war nicht bewusst, dass da etwas Weltbewegendes daraus wird. Wir waren schlichtweg Nestflüchter und Neuzeitpioniere, Anfänger. Wir wollten uns von den Nazis distanzieren und damit weg von allem Autoritären und falschen Wertvorstellungen. Ich fand es spannend, da mitzumachen.
Sie sprechen mit einer inneren Ruhe und Überzeugtheit, als wäre immer alles richtig, was gerade ist.
Ich glaube, dass alles geschieht, was geschehen soll. Und das auch zum richtigen Zeitpunkt. Der Zufall ist alles andere als blind. Und das eine ergibt das andere, wenn man motiviert ist.
»Gesellschaftspolitisch müssen wir aufwachen!«
Nun, wo Sie bald 80 sind: Gibt es etwas, das Sie inzwischen anders als früher erleben?
Tatsächlich erfahre ich derzeit sehr viel Begegnung auf der Straße, wenn Menschen auf mich zukommen und mich ansprechen oder gar umarmen, weil sie etwas von oder über mich gesehen haben. Das wäre mir früher nie passiert, da war ich zu abgehoben. Jetzt kann ich die Nähe zulassen und genieße es.
Im Jahr 2013 haben Sie Ihre Autobiografie mit dem Titel Wach auf und träume herausgebracht. Würde denn das Buch heute einen anderen Titel tragen?
Heute würde ich umtiteln: Wach auf! Wach auf! Wach auf! Denn es ist zwar so, dass wir unsere großen Ziele, die wir vor uns hertragen, erst einmal erträumen können müssen. Aber gesellschaftspolitisch müssen wir aufwachen, sonst gibt es bald nichts mehr zu träumen. Jetzt gilt es, die ganz Jungen, die Bewegung Fridays for Future zu unterstützen. Wir Alten müssen doch zugeben: Ihr habt so recht, macht weiter! Und wir sollten diese neuen Kräfte unterstützen.
Sie haben viel Zeit in Lateinamerika verbracht, leben nun schon lange in Paris, zwischendurch wieder in Berlin, arbeiten an Filmprojekten, haben Chanson-Abende gegeben und planen noch Weiteres – sind Sie immer auf der Reise?
Man wird alt, wenn nichts Neues mehr kommt. Denn wenn man nur noch die Gewohnheit lebt, wird einem auch etwas von der Fähigkeit zur Freude genommen. Dann ist da zwar vielleicht mehr Behaglichkeit. Aber man wird sehr klein darin, wenn es ein dauernder Zustand ist. Ich habe diese Freude am Unterwegssein – auch mehr und mehr im Geist. Und solange man die hat, atmet man mit allen Poren seines Wesens zur Welt hin.
»Wenn man nur die Gewohnheit lebt, wird einem etwas von der Fähigkeit zur Freude genommen.«
Was haben Sie als Nächstes vor?
Nach einer Hüftoperation werde ich endlich wieder reisen können – zum Beispiel nach Indien. Oder nach Buenos Aires, wo mir ein großes Theater die Regie zu einem von mir entworfenen Stück anbietet. In Berlin plane ich eine Anschlussarbeit an eine bereits von mir gedrehte Dokumentation. Und ein Filmprojekt in und über Leipzig ist schon am Laufen, da möchte ich auch gern weitermachen. Außerdem freue ich mich auf die Dreharbeiten mit dem jungen Syrer Ameer Fakher Eldin.