Hanna Schygulla

Freude am Unter­wegs­sein

von Gabrielle Pinkert

21. Juni 2023

Die Grande Dame des deutschen Films Hanna Schygulla feiert dieses Jahr ihren 80. Geburtstag.

ist das Gesicht des Neuen Deut­schen Films. Und die Nische des Autoren­films ist nach wie vor ihr Zuhause. Unter der Regie von Fran­çois Ozon ist sie in Peter von Kant zu sehen. Der Film basiert auf Fass­bin­ders Die bitteren Tränen der Petra von Kant, in dem Schy­gulla die junge, eigen­nüt­zige Geliebte einer narziss­ti­schen Mode­schöp­ferin spielt. Die Neuver­fil­mung zielt auf das exzes­sive Leben von Fass­binder, mit dem Schy­gulla bis zu seinem Tod 1984 eng verbunden war. Ohne ihn „hätte es die Schau­spie­lerin Hanna Schy­gulla nie gegeben“, bekennt sie. Ein knappes Jahr­zehnt stand sie nicht nur in den Insze­nie­rungen seines umstrit­tenen Action-Thea­ters und danach in dem von ihr mitge­grün­deten Anti­theater auf der Bühne. Er besetzte Schy­gulla auch in zahl­rei­chen Filmen, wodurch sie bereits Ende der 1960er-Jahre einem schmalen, aber inter­es­sierten Film­kreis auffiel.

Hanna Schy­gulla in Lili Marleen (1981)

Dem breiten Publikum wurde sie 1980 in der TV-Verfil­mung von Alfred Döblins Roman Berlin Alex­an­der­platz bekannt. Es folgten Produk­tionen unter anderem mit Rosa von Praun­heim, , , , Ettore Scola und Marco Ferreri. Über die Rolle der Lale Anderson in Fass­bin­ders Lili Marleen öffneten sich für Schy­gulla die Pforten zur inter­na­tio­nalen Bühnen- und Film­welt. Als eine der wenigen deut­schen Schau­spie­le­rinnen konnte sie auch das ameri­ka­ni­sche Film­pu­blikum faszi­nieren, sodass ihr 2005 das Museum of Modern Art in New York eine Retro­spek­tive widmete. In dieser waren auch eigen­pro­du­zierte Video­ar­beiten zu sehen.

Seit Jahr­zehnten scheint Hanna Schy­gulla leicht­füßig von einem zum nächsten Ort zu wech­seln, pendelt in jüngster Zeit wieder zwischen Frank­reich und Berlin, nachdem sie längere Zeit in Latein­ame­rika verbracht hat. Im Dezember 2023 wird sie 80 Jahre alt – und hat noch viel vor. Geplant ist unter anderem ein Projekt in Leipzig. Und für den Regis­seur Ameer Fakher Eldin steht sie im Früh­jahr 2023 an der Nordsee vor der Kamera, wenn er den zweiten Teil seiner Trilogie Yunan dreht. Und auch das Ausland lockt wieder.

Frau Schy­gulla, wie war es für Sie, in Fran­çois Ozons Film Peter von Kant mitzu­wirken, der auf Rainer Werner Fass­bin­ders Die bitteren Tränen der Petra von Kant fußt, in dem Sie bereits als Prot­ago­nistin agierten?

Das war ein Besuch in der Vergan­gen­heit über die Gegen­wart. Es ist zwar ein anderer Film, aber ein Blick zurück konnte nicht ausbleiben, weil der Haupt­dar­steller Fass­binder sehr ähnlich sah oder er ihm so ähnlich in seiner Rolle geworden ist.

Hanna Schy­gulla und Denis Méno­chet in Peter von Kant

War es merk­würdig für Sie, die zu Fass­binder eine inten­sive Bezie­hung hatte, ihm 40 Jahre nach seinem Tod „wieder­zu­be­gegnen“, dann auch noch dessen Mutter zu spielen?

Nein. Es ist ja „nur“ ein Film. Und der beruht zudem auf einem typi­schen Fass­binder-Thema: Es geht um Abhän­gig­keiten und deshalb schei­ternde Liebes­be­zie­hungen, weil sich alle gegen­seitig nur benutzen. Solche Rollen hatte ich bei Fass­binder sehr viel gespielt und bat ihn eines Tages, mich bitte nicht mehr für solche Charak­tere zu besetzen. Als Mutter konnte ich zwar in diesem Remake eine kleine Wärme­pa­ckung drauf­legen, aber im Grunde reden alle – auch die Mutter – eigent­lich am Thema des anderen vorbei. Keiner hört zu, jeder befasst sich mit sich selbst. Dieses Unei­gent­liche schafft Distanz, weshalb ich die Rolle mit einem gewissen Abstand spielen konnte.

Wie verliefen die Dreh­ar­beiten?

Es war viel leichter als damals. Fran­çois Ozon ist mir nicht so nah. Mit Fass­binder war es ja immer so intensiv – wir waren zwar frei in unserem Tun als Schau­spieler, und oft wurde schon der erste Take genommen. Dennoch waren wir alle am Set immer unter Span­nung. Fass­binder erzeugte als Schöpfer seiner Werke Abhän­gig­keiten bei denen, mit denen er arbei­tete. Und das ist anstren­gend, denn das geht dann doch an der Liebe vorbei. Er hatte eine fatale Meinung von der Liebe, nämlich, dass auch sie letzt­lich nur auf einen Macht­kampf hinaus­läuft. So hat er nicht nur seine Geschichten erzählt, sondern seine eigene auch gelebt. Er hat beispiels­weise nicht daran geglaubt, dass er um seinet­willen geliebt wird, sondern nur weil er gebraucht wird. Und er war zum Beispiel furchtbar belei­digt, wenn ich zwischen den Dreh­ar­beiten – wir haben ja sehr viel gedreht – mal ein biss­chen Abstand gebraucht habe und mich für eine Weile verab­schieden wollte. Das war für ihn Untreue.

»Unsere Bezie­hung hatte einen magi­schen Touch.«

Konnten Sie mit ihm darüber spre­chen?

Nein, wir haben nur über die Arbeit gespro­chen und nie geplau­dert, schon gar nicht disku­tiert.

Sie führten keine private Bezie­hung?

Es war ein sehr selt­sames Verhältnis. Unsere Bezie­hung hatte einen magi­schen Touch. Viel­leicht hatten wir beide auch Angst, weil wir das erhalten wollten. Aber die Liebe wurde nie ausge­lebt, sondern nur über seine Werke in die Welt gelassen. Hätte Rainer länger gelebt, hätte sich das geän­dert. Ich bin mir sicher, wir hätten uns – je älter wir geworden wären – immer mehr zu geben gehabt. Ich dachte auch, diese Bezie­hung würde ein Leben lang dauern. Älter geworden bin jedoch nur ich.

Rainer Maria Fass­binder und Hanna Schy­gulla in Liebe ist kälter als der Tod.

Sie haben in zahl­rei­chen Autoren­filmen mitge­wirkt, der Neue Deut­sche Film wäre ohne Ihr Gesicht kaum denkbar. Gehörte damals Mut dazu, diese andere Art von Film zu machen und sich für das Anti­theater zu enga­gieren?

Es war schon ein beson­ders aufge­la­denes Spiel. Aber mir war nicht bewusst, dass da etwas Welt­be­we­gendes daraus wird. Wir waren schlichtweg Nest­flüchter und Neuzeit­pio­niere, Anfänger. Wir wollten uns von den Nazis distan­zieren und damit weg von allem Auto­ri­tären und falschen Wert­vor­stel­lungen. Ich fand es span­nend, da mitzu­ma­chen.

Sie spre­chen mit einer inneren Ruhe und Über­zeugt­heit, als wäre immer alles richtig, was gerade ist.

Ich glaube, dass alles geschieht, was geschehen soll. Und das auch zum rich­tigen Zeit­punkt. Der Zufall ist alles andere als blind. Und das eine ergibt das andere, wenn man moti­viert ist.

»Gesell­schafts­po­li­tisch müssen wir aufwa­chen!«

Nun, wo Sie bald 80 sind: Gibt es etwas, das Sie inzwi­schen anders als früher erleben?

Tatsäch­lich erfahre ich derzeit sehr viel Begeg­nung auf der Straße, wenn Menschen auf mich zukommen und mich anspre­chen oder gar umarmen, weil sie etwas von oder über mich gesehen haben. Das wäre mir früher nie passiert, da war ich zu abge­hoben. Jetzt kann ich die Nähe zulassen und genieße es.

Im Jahr 2013 haben Sie Ihre Auto­bio­grafie mit dem Titel Wach auf und träume heraus­ge­bracht. Würde denn das Buch heute einen anderen Titel tragen?

Heute würde ich umti­teln: Wach auf! Wach auf! Wach auf! Denn es ist zwar so, dass wir unsere großen Ziele, die wir vor uns hertragen, erst einmal erträumen können müssen. Aber gesell­schafts­po­li­tisch müssen wir aufwa­chen, sonst gibt es bald nichts mehr zu träumen. Jetzt gilt es, die ganz Jungen, die Bewe­gung Fridays for Future zu unter­stützen. Wir Alten müssen doch zugeben: Ihr habt so recht, macht weiter! Und wir sollten diese neuen Kräfte unter­stützen.

Hanna Schy­gulla in Paris (2022)

Sie haben viel Zeit in Latein­ame­rika verbracht, leben nun schon lange in Paris, zwischen­durch wieder in Berlin, arbeiten an Film­pro­jekten, haben Chanson-Abende gegeben und planen noch Weiteres – sind Sie immer auf der Reise?

Man wird alt, wenn nichts Neues mehr kommt. Denn wenn man nur noch die Gewohn­heit lebt, wird einem auch etwas von der Fähig­keit zur Freude genommen. Dann ist da zwar viel­leicht mehr Behag­lich­keit. Aber man wird sehr klein darin, wenn es ein dauernder Zustand ist. Ich habe diese Freude am Unter­wegs­sein – auch mehr und mehr im Geist. Und solange man die hat, atmet man mit allen Poren seines Wesens zur Welt hin.

»Wenn man nur die Gewohn­heit lebt, wird einem etwas von der Fähig­keit zur Freude genommen.«

Was haben Sie als Nächstes vor?

Nach einer Hüft­ope­ra­tion werde ich endlich wieder reisen können – zum Beispiel nach Indien. Oder nach Buenos Aires, wo mir ein großes Theater die Regie zu einem von mir entwor­fenen Stück anbietet. In Berlin plane ich eine Anschluss­ar­beit an eine bereits von mir gedrehte Doku­men­ta­tion. Und ein Film­pro­jekt in und über Leipzig ist schon am Laufen, da möchte ich auch gern weiter­ma­chen. Außerdem freue ich mich auf die Dreh­ar­beiten mit dem jungen Syrer Ameer Fakher Eldin.

Fotos: Anna Frandsen, Dirk von Nayhauß, Carole Bethuel