Duo Igudesman und Joo

Spaghetti aus dem Klavier

von Maria Goeth

24. Juni 2017

Durch Musik und Humor haben Menschen sogar den Holocaust überlebt. Das Duo Igudesman & Joo erschafft mithilfe dieser beiden Komponenten neue Klang- und Konzertuniversen.

CRESCENDO: Sie sind die eine Hälfte von Igudesman & Joo, des wohl bekann­testen Humor­duos in der klas­si­schen Musik. Wie kam es dazu?

: Mit zwölf Jahren begeg­neten und ich einander in der School. Schon kurz darauf spra­chen wir darüber, dass irgendwas an den normalen Konzerten „falsch“ war. Diese steife, hoch­ge­sto­chene Stim­mung fühlte sich einfach nicht richtig an. Alles war ernst, zere­mo­niell, begräb­nis­artig – das schien die Musik regel­recht zu ersti­cken. Auch wenn die Auffüh­rung selbst frisch war, wirkte sie in dem Rahmen wie einge­schweißt. Das passte nicht zur Leiden­schaft, die klas­si­sche Musik braucht. Die Welt von Mozart, Beet­hoven und Liszt war viel offener, viel­fäl­tiger. Es gibt tonnen­weise Doku­mente, die beweisen, wie viel Frei­heit es damals in den Konzerten gab: Bei der Première von Beet­ho­vens Violin­kon­zert zeigte der Solist sogar zwischen den Sätzen Kunst­stücke, spielte seine Geige verkehrt herum, alberte mit dem Bogen herum, so wie Aleksey heute. Oder der berühmte Brief von Mozart an seinen Vater, in dem er stolz davon berichtet, wie die Leute schon nach 16 Takten seines neuen Klavier­kon­zerts zu klat­schen begonnen hatten und sie von vorne beginnen mussten. Wenn man heute bei einer Urauf­füh­rung nach 16 Takten klat­schen würde, wäre das ein Skandal und der Kompo­nist wäre außer sich! Sogar der ehrwür­dige , quasi der Erfinder des Klavier­abends, ging während der Auffüh­rung ins Publikum, sprach mit den Leuten, trank einen Schluck Wein, ging zurück und spielte weiter. Sehr cool!

Warum hat sich das geän­dert?

Sicher sind Wagner und Mahler mit ihrer Über­ernst­haf­tig­keit zwei der Gründe, auch wenn ich die Musik der beiden sehr liebe. Und diese ganze Haltung der Romantik, das stili­sierte Leiden, der Schmerz – auch in der Lite­ratur und Malerei. Da gab es plötz­lich weniger Raum für Witz und Humor, auch für das Absurde, das Groteske. Im Barock und in der Klassik war das anders. Ich will ja nicht, dass man beim lang­samen Satz einer Mahler­sin­fonie oder eines Beet­hoven-Streich­quar­tetts isst, trinkt und plau­dert, aber es gibt eine Form von natür­li­cher Stille, die eintritt, ohne dass man den Leuten sagen muss, dass sie still sein sollen. Kinder sind dafür ein gutes Test­pu­blikum. Die wollen nicht still sitzen, und wenn man ihnen sagt, sie sollen es tun, haben sie keinen Spaß oder rebel­lieren. Aber wenn man eine Verbin­dung zu ihnen aufbaut, sie abholt und in die Musik rein­holt, dann machen sie das auto­ma­tisch. Das ist das Grund­pro­blem: Wir haben das Publikum immer weiter wegge­schoben, als seien sie nur Sklaven der heiligen Musik, statt es rein­zu­holen, wie das Liszt und viele andere taten.

Igudesman und Joo Duo
Igudesman und Joo: „Wir wollten Konzerte veran­stalten, die wir selbst gerne besu­chen würden.“

Und Aleksey Igudesman und Sie wollten das schon als Jugend­liche ändern?

Wir haben uns nicht hinge­setzt und ein Dekret verfasst, wir wussten einfach nur, dass unsere Konzerte anders sein sollten. Wir wollten Konzerte veran­stalten, die wir selbst gerne besu­chen würden. Auch die Programme sind heute fast überall unkreativ. Viele Kompo­nisten werden komplett igno­riert. Schneide heute aus einer belie­bigen Konzert­vor­schau welt­weit den Standort aus, und du könn­test nicht sagen, zu welchem Haus sie gehört. Es würde reichen, eine einzige Konzert­vor­schau für alle zu drucken.

Sie wollten also das Reper­toire erwei­tern?
Ja, und wir wollten, dass Konzerte noch mehr Spaß machen. Natür­lich sollen die Musiker selbst ernst­haft und enga­giert sein. Aber wenn Musiker schon mit so einer Ich-bin-euch-über­legen-Haltung auf die Bühne kommen, ist das ärger­lich und beängs­ti­gend. Wir stellen uns immer vor, was Außer­ir­di­sche denken würden, die in einem klas­si­schen Konzert landen: Diese selt­samen Pinguine, die nicht mitein­ander kommu­ni­zieren, nicht einmal „hallo“ sagen, das zere­mo­niell gedämpfte Licht … Absurd!

Igudesman und Joo Duo
Igudesman und Joo: „Wir haben alles zusam­men­ge­wür­felt: Ernste und komi­sche Musik, Theater und Neue Musik.“

Was war Ihre Humor­kon­zert-Première?

Defi­nitiv ein Weih­nachts­kon­zert noch in der Yehudi Menuhin School, ich glaube 1988. Zusammen mit zwei anderen machten wir einen kurzen Sketch. Wir parodierten ein paar bekannte Lieder, zogen Spaghetti aus dem Klavier … Es war ein Riesen­er­folg! Und ich persön­lich fühlte mich wie der coolste Typ der Welt! Ich war bis dahin in der Schule nicht so beliebt gewesen, aber nun spielte ich mit ein paar der ange­sag­testen Typen in einem Quar­tett und brachte die Leute zum Lachen. Natür­lich war das der Kontext einer Weih­nachts­feier, und wir waren jung, also kapierte wahr­schein­lich niemand, dass das genau das war, was wir machen wollten.

Hatten Sie beide es verstanden?

Ja, wir haben das sehr bewusst gemacht und wurden schnell immer profes­sio­neller. Beein­flusst wurden wir auch vom Musik­theater. Wir haben einfach alles zusam­men­ge­wür­felt: Ernste und komi­sche Musik, Theater und auch Neue Musik, wir kompo­nieren ja auch beide. Wir waren 17 oder 18, wollten unsere eigene, moderne Klang­sprache finden, auch im perfor­ma­tiven Bereich. Einmal drückten wir zum Beispiel jedem Konzert­be­su­cher am Eingang einen Zahn­sto­cher in die Hand, ohne Kommentar. Ganz am Ende des Konzerts warfen wir Luft­bal­lons ins Publikum – wiederum ohne Anlei­tung, aber es braucht ja nur einen schlauen Menschen, der es versteht und anfängt, die Luft­bal­lons zu zerste­chen, und die anderen machen mit. Es war wie ein Feuer­werk und auch visuell ästhe­tisch und natür­lich humo­ris­tisch.

Igudesman und Joo Duo
Igudesman und Joo: „Unstim­mig­keiten machen uns stärker. Das ist der Luxus an einem Duo.“

Sie arbeiten mit Aleksey Igudesman jetzt also seit 26 Jahren zusammen. Waren Sie immer über alles einig?

Absolut nicht. Wir haben dieselben Wurzeln, befinden uns aber oft auf entge­gen­ge­setzten Seiten der Medaille. Aber Unstim­mig­keiten machen uns stärker. Das ist der Luxus an einem Duo. Als Ein-Mann-Show hat man wirk­lich nur sich selbst. Aber wenn zwei starke, unter­schied­liche Persön­lich­keiten mitein­ander konfron­tiert werden, führt das oft zu einer dritten Perspek­tive, die span­nender ist als die ursprüng­li­chen zwei. Wir haben eine Ping-Pong-Bezie­hung: Der eine spielt eine Idee, der andere spielt sie in anderer Farbe zurück.

Ähneln Ihre Bühnen­per­sön­lich­keiten den privaten?

Im Gegen­satz zu einigen Come­dians tun wir auf der Bühne grund­sätz­lich dasselbe wie privat, nur leicht über­trieben. Wir sind sehr authen­tisch. Ich glaube, dass Humor die Grund­vor­aus­set­zung ist, um ein gesundes und langes Leben zu führen. Die Welt ist nicht perfekt, und genau deshalb ist sie so fantas­tisch. Niemand will Krieg, niemand will Natur­ka­ta­stro­phen, aber schreck­liche Ereig­nisse stärken den Zusam­men­halt. Wir brau­chen Tag und Nacht. Es kann nicht immer nur Sonne sein! Aber wenn wir bei Kata­stro­phen keinen Humor mitbringen, wird es schlicht grau­en­voll. Wenn man Holo­caust-Über­le­bende fragt, was sie am Leben gehalten hat, nennen sie meis­tens zwei Dinge: Musik und Humor.

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Auftrittstermine und weitere Informationen zum Duo Igudesman & Joo auf: igudesmanandjoo.com

Fotos: Julia Wesely