Mittendrin in der Musik
von Holger Biermann
8. September 2020
Das 3D-Surroundverfahren Dolby Atmos soll den Zuhörer so nahe an das musikalische Geschehen bringen, wie nur der Musiker selbst es erlebt.
Ein Ortstermin mit Glamour bei den MSM Studios in München. Prominenz ist da: Unter anderem die Geigerin Anne-Sophie Mutter, Clemens Trautmann, der Präsident der Deutschen Grammophon-Gesellschaft und Andreas Ehret, Geschäftsführer von Dolby Deutschland. Grund für das illustre Treffen ist die Präsentation der beiden Konzerte der Wiener Philharmoniker unter der Leitung des Komponisten John Williams Mitte Januar 2020 im Wiener Musikverein, die – und das ist der Clou – auch im 3D-Surroundverfahren Dolby Atmos aufgenommen und in den MSM Studios abgemischt wurden. Übrigens war es das erste Konzert, das Williams je außerhalb der Staaten gegeben hat.
Dolby Atmos kennen die meisten aus den Kinos, dafür wurde es auch erdacht. Anders als sein Vorgänger, Dolby Digital (DD), arbeitet Dolby Atmos (DA) mit wenigen fixen Kanälen und vielen virtuellen. Dadurch wird der Raumeindruck deutlich präziser, einzelne Klangereignisse können plastisch im Raum dargestellt werden. Im Vergleich zum Vorgänger-Format DD ist das ein riesiger Schritt nach vorn. Und noch einen Vorteil gibt es: Dolby Atmos passt sich dem Wiedergabegerät an. Verfügt eine Anlage über viele Lautsprecher, werden die genutzt, hat eine Anlage wenige Lautsprecher – etwa kleine Soundbars –, wird der Klang auf diese Möglichkeiten zurechtgerechnet.
So nahe wie möglich am Geschehen
Seit einigen Jahren hat die Musikindustrie die Vorzüge von 3D-Sound und im speziellen von Dolby Atmos entdeckt. Anne-Sophie Mutter sagt dazu: „Dolby Atmos bringt mich als Zuhörer so nah wie möglich an das Geschehen, was ich sonst nur in einer Gruppe von Musikern erlebe.“ Sie ist mit diesem Eindruck nicht allein. Dutzende Musiker waren schon in den MSM-Studios und sind von den neuen Möglichkeiten begeistert. Kürzlich erst hatte Herbert Grönemeyer sein „Mensch“-Album in München in 3D-Sound mastern lassen und war ebenfalls schier aus dem Häuschen.
Die Intensität des Hörens
Auch die CRESCENDO Redaktion konnte sich bei der Präsentation im kleinen MSM-Kino der Intensität und dem hohen Erlebnisgefühl der beiden John-Williams-Einspielungen nicht entziehen. Ist das die Art und Weise, wie man zukünftig Musik noch packender, noch schöner erlebt? Ja, bestätigt Clemens Trautmann. Man setze auf Dolby Atmos und habe schon über 50 Titel – neue Produktionen und einige aus dem Back-Katalog – abgemischt. Aberhunderte sollen folgen.
Die Hürde in den Wohnzimmern
Die Hürde liegt anderswo – nämlich in den Wohnzimmern der Musikhörer. Während in modernen Autos immer mehr Dolby-Atmos-Anlagen verbaut werden und sogar schon Smartphones über Kopfhörer zumindest eingeschränkt Dolby-Atmos-fähig sind, ist eine hochwertige Wiedergabe zu Hause immer noch mit enormem Aufwand verbunden und deshalb derzeit nur begrenzt erlebbar. Doch Andreas Ehret ist optimistisch.
Die Endgeräte sind schon da
CRESCENDO: Herr Ehret, die meisten Menschen kennen Dolby Atmos aus dem Kino oder vom Abspann der Filme, die sie zu Hause im Fernsehen anschauen. Nun aber finden wir mehr und mehr auch das Dolby-Atmos-Logo auf reinen Musik-Produktionen. Was ist geschehen?
Andreas Ehret: Dolby Atmos kommt aus dem Kino. Doch wir haben gemerkt, dass es sich auch für die Wiedergabe von Musik hervorragend eignet. Vor drei Jahren hat Dolby deshalb die Entscheidung getroffen, die Musik stärker in den Atmos-Fokus zu rücken. Daraus ergab sich unter anderem die strategische Partnerschaft mit der Deutschen Grammophon-Gesellschaft und Warner.
Hat Dolby dabei spezielle Musikrichtungen im Blick? Die Präsentationen fanden meist mit Künstlern aus dem Bereich klassischer Musik, jetzt aktuell mit Anne-Sophie Mutter, statt.
Nein. Unser Interesse gilt allen Arten von Musik. Da wird teilweise der Backkatalog ausgewertet, aber auch neue Musik aufgenommen.
Nun gibt es das Format Dolby Atmos schon seit 2012. Drei Jahre ist dagegen eine vergleichsweise kurze Zeitspanne. Sind Sie mit den Fortschritten in Bezug auf die Musikaufnahmen in Dolby Atmos zufrieden?
Nun, die Einführung neuer Formate dauert immer eine Weile, weil alle Teile des Puzzles zusammenpassen müssen. Aber bei Dolby Atmos sind wir schon weiter, als damals bei der Einführung von Dolby Surround, bei dem wir von den Anwendern ein aufwändiges 5.1‑Lautsprecherset gefordert haben. Dolby Atmos funktioniert dagegen auch mit Smart Speakers (Lautsprechern, die mit dem Internet verbunden sind, Anm.d.Red.), ja sogar mit modernen Smartphones. Die Endgeräte sind schon da; das Henne-Ei Problem löst sich schneller auf.
Dennoch hat man noch nicht den Eindruck, dass die Idee von Dolby Atmos Musikaufnahmen bislang in der Breite angenommen wurde. Wie wollen Sie die Anwendung vorantreiben?
Wie gesagt, auf dem deutschen Markt haben wir Partnerschaften wie etwa mit der Deutschen Grammophon-Gesellschaft. Die haben eine feste Anzahl von Dolby-Atmos-Titeln zugesagt. Nach und nach werden die Studios ausgebaut und die Grundlagen für die Technik geschaffen. Auch das Thema „Medium“ hat weniger Hürden als früher. Die Aufnahmen sind entweder auf Blu-ray Discs oder – immer wichtiger – Streaming Diensten. Bislang streamen TIDAL und Amazon Music HD unser Dolby Atmos.