Judith Jáuregui

Was Menschen verbindet

von Barbara Schulz

5. März 2025

Die spanische Pianistin Judith Jáuregui stellt auf ihrem Album Homeland zwei Komponisten mehr nebeneinander als gegenüber, die – vermeintlich – unterschiedlicher nicht sein können: den Norweger Edvard Grieg und den Spanier Manuel de Falla.

Hoch­schwanger betritt eine große, sehr schmale Frau die Lounge des Augs­burger Hotels, in dem sie ein Inter­view geben wird zu ihrem letzten Album: Edvard Griegs Klavier­kon­zert und Manuel de Fallas Noches en los Jardines de España. Es spielt Judith Jáuregui: Spanierin, Pianistin, Ehefrau und Mutter, wobei die Reihen­folge derzeit vermut­lich auf den Kopf gestellt ist. Am Abend wird sie ein Haydn-Konzert in Augs­burg im Kleinen goldenen Saal spielen. Es geht auf Ende Januar 2025 zu, knappe vier Wochen später wird sie ihr zweites Kind zur Welt bringen.

Frau Jáuregui, Sie selbst sagen, dass die Konzerte, die Sie gerade geben, körper­lich ziem­lich am Limit sind …

Ja, ich bin jetzt bald in der 37. Woche schwanger, mein Baby kommt in circa drei Wochen.

Auf die Gefahr der Roman­ti­sie­rung: Was macht Ihr Baby während des Konzerts?

Ach, die meisten Menschen denken ja: „Ooooh, was wird wohl das Baby machen?“ Es macht nichts! Er – es wird ein Junge – lässt mich wie Gabriel, mein erster Sohn damals, einfach spielen. Babys wissen wohl, dass sich die Mama konzen­trieren muss. Und es ist doch so: Wenn man spielt, ist man in einer anderen Welt, die nichts mit dem Körper zu tun hat. Und wenn es sie gibt, dann ist das die Magie: Dein Geist, dein Herz und die Musik sind nicht im Körper. Viel­leicht in der Seele. Und das spürt mein Sohn auch und ist da irgendwo.

Nun aber zu Ihrem Album: Was war die Idee? Und wer war zuerst da? oder ?

De Falla! Das kam so: Ich hatte mit dem Orquesta Sinfó­nica de Castilla y León de Falla gespielt und sofort kam die Anfrage des Orches­ters, ob wir das nicht aufnehmen sollten. Was wir im Januar 2023 dann auch getan haben. Die Nächte im spani­schen Garten gehören zu den größten Stücken der spani­schen Musik über­haupt, und es ist das einzige für Klavier und Orchester, das inter­na­tio­nale Bedeu­tung hat. Natür­lich wollte ich es aufnehmen. Und da sitzt nun eines der besten Orchester Spaniens und lädt mich dazu ein – was für eine Riesen­chance.

Und wie hat sich Grieg ergeben?

Das war meine Frei­heit: zu wählen, was wir dazu nehmen. Mit de Falla hätte man natür­lich auch machen können. Ich komme ja aus San Sebas­tian, also Nord­spa­nien, und Ravel war in Ciboure, kurz vor der nord­spa­ni­schen Grenze, geboren. Auch ist er mir fami­liär nahe: Mein Vater ist in Mexiko geboren, aber in Biar­ritz aufge­wachsen, er spricht auch spanisch mit fran­zö­si­schem Akzent. Und so waren wir im Sommer jedes Wochen­ende in Frank­reich, 20 Kilo­meter von San Sebas­tián entfernt. Eine meiner schönsten Kind­heits­er­in­ne­rungen ist die Zeit mit meinem Vater in Frank­reich.
Aber ich fand die Idee origi­nell, Grieg und de Falla kommu­ni­zieren zu lassen – Ravel mit de Falla gibt es oft. Und ich wollte schon immer einmal Grieg spielen. Und mein letztes Album war Schu­mann – der Bogen zu Grieg liegt so auf der Hand.

Die roman­ti­sche Seele hieß das Schu­mann-Album. Das trifft Sie auf Sie persön­lich zu?

Ja! Die Verbin­dung zur deut­schen Kultur und vor allem zur deut­schen Musik war immer da. Ich bin die jüngste von drei Schwes­tern, und wir sind alle bilin­gual aufge­wachsen. Als ich fünf Jahre alt war und begann, Klavier zu spielen, war mein erstes Stück Schu­mann, die Kinder­szenen. Mit Schu­mann habe ich die Musik entdeckt. Und auch mit den Profes­so­rInnen, Lauren­tino Gómez und Cris­tina Navajas, bestand eine starke Bezie­hung zu Schu­mann. Die waren halb roman­tisch, halb fran­zö­sisch. Navajas kam aus Paris von der fran­zö­si­schen Schule. Sie hatte die Fein­heiten des fran­zö­si­schen Klangs immer geför­dert – das war ein Stein auf meinem Weg. Sehr, sehr wichtig war auch Claudio Martínez Mehner, der dama­lige Assis­tent von Dmitri Basch­kirow, der jetzt in Basel ist. Ich war zu dieser Zeit wie ein kleiner Vulkan, 16 Jahre alt. Und jede bzw. jeder von ihnen hat mir etwas mit auf den Weg gegeben, aber es war Claudio, der mich Struktur gelehrt hat. Claudio war sehr ratio­nell, ich aber eben sehr emotional.

Und dann kam Vadim Suchanov …

Oh ja, ich habe so viel gelernt von ihm! Schu­bert, Schu­mann, Skrjabin … Es war wie eine Blase, ein Kokon, in dem ich mich befunden habe. Und das alles ist die Essenz, die heute in meinem Herzen steckt.

Spüren Sie zu de Falla mehr nähe als zum Norweger Grieg, weil er ihnen von der Kultur her näher­steht?

Ich kann nicht einfach Ja sagen, weil de Falla immer da war. Aber die roman­ti­sche Musik war ja auch immer da. Inso­fern ist es ein Album, auf dem meine zwei Herzen zusam­men­kommen. Und wie gesagt: Ich komme aus dem Norden Spaniens, das ist ein großer Unter­schied zum rest­li­chen Spanien. Denn natür­lich bin ich mit diesen arabi­schen und anda­lu­si­schen Klängen vertraut, weil ich damit aufge­wachsen bin. Aber mit Schu­mann, Brahms, Chopin, Liszt eben auch. Inso­fern fühle ich mich bei beiden Kompo­nisten und beiden Stilen zu Hause.

Auch was die folk­lo­ris­ti­schen Elemente betrifft?

Da gibt es natür­lich einen Unter­schied. Die norwe­gi­sche Volks­musik kann mir nicht so nah sein wie die spani­sche, mit ihr bin ich sozia­li­siert. Aber – und viel­leicht ist der Ansatz ja ein biss­chen zu philo­so­phisch: Es gibt letzt­lich eine Bindung mit jeder Art von Volks­musik, weil es die Seele von jedem Ort ist. Und die Seele eines Ortes, das sind auch die Menschen. Und so sind wir über die Mensch­lich­keit alle verbunden.

Wie wird das in der Musik spürbar?

Denken Sie nur an die Rhythmik. Beide, de Falla und Grieg sind sehr „tänze­risch“. Dadurch entsteht eine ganz natür­liche Verbin­dung. Und obwohl sie verschie­dene Iden­ti­täten haben, sind sie Menschen und inso­fern auch seelen­ver­wandt. Deshalb ist mir zwar die spani­sche Folkore näher, aber auch Grieg ist nicht unna­tür­lich für mich – für niemanden. Denn es ist das innerste Wesen der Menschen. Es berührt uns, und wir können das erkennen.

Also gibt es zwischen diesen beiden grund­ver­schie­denen Kompo­nisten doch viel Gemein­sam­keiten?

Ja, und das liegt an der Liebe zu ihren Wurzeln und ihrer Heimat. Bei beiden spürt man das, und auch den Respekt ihren Profes­soren gegen­über. Tatsäch­lich hat Grieg die norwe­gi­sche Musik entdeckt, als er Rikard Nord­raak, den großen Professor für die Volks­musik Norwe­gens kennen­lernte. Sie spra­chen dieselbe Sprache, denn Nord­raak beein­flusste ihn mit seiner Idee von einer eigen­ständen norwe­gi­schen Musik. Und er hat, als er in Leipzig studierte, die großen roman­ti­schen Kompo­nis­tInnen getroffen – , … –, was ihn deut­lich beein­flusst und geprägt hat. Es ist also eine deut­sche roman­ti­sche Sprache, die er mit nach Norwegen gebracht hat.
Bei de Falla ist es so, dass er ja schon von der Epoche her eine roman­ti­sche Seite hat. Darüber hinaus fand ein für sein Leben sehr wich­tiges Treffen mit dem großen Professor der spani­schen Musik statt, mit Felipe Pedrell, der auch der Lehrer von Albéniz und Turina war. Er war es, der de Falla die spani­sche Folk­lore lehrte – und er sog sie bis ins Innerste auf. Danach ging er dann nach Paris – eine Zeit, die ihn vor allem wegen seiner Begeg­nung bzw. Bezie­hung und Nähe mit Debussy tief beein­flusste. Und so wurde seine Musik eine perfekte Mischung aus spani­scher Folk­lore und fran­zö­si­schem Impres­sio­nismus.

Bei Grieg spüren Sie keinen Impres­sio­nismus?

Nein, eher Moder­nität. Viel­leicht im zweiten Satz bei Grieg, ja, mögli­cher­weise die Stim­mung. In jedem Fall war für beide Inspi­ra­tion und oberstes Prinzip die Natur. De Falla malt die Musik wie Debussy. Denken Sie nur an die Estampes von Debussy.

Gab es denn bei Grieg oder Falla tech­ni­sche Heraus­for­de­rungen für Sie? Beides ist sehr anspruchs­voll.

Oh ja, Technik ist Technik! Wir müssen Sport machen, bei jedem Stück. Selbst bei Frederic Mompou, einem meiner spani­schen Lieb­lings­kom­po­nisten. Seine Stücke sind nicht sehr schnell und haben nicht dieses tech­ni­sche Feuer, aber bei ihm im Pianis­simo eine Phrase zu machen, die Sinn hat und einen Saal von 2000 Leuten bis zum Ende über­zeugt, auch dafür ist Technik nötig. Bei Grieg und de Falla ist es natür­lich extro­ver­tierter. Am Ende aber ist die Technik immer nur wichtig für die Vermitt­lung einer musi­ka­li­schen Message, einer emotio­nalen Idee. Ohne Technik gibt es nichts! Ohne Wörter kann man kein Buch schreiben. Es ist einfach die erste Stufe einer Arbeit.

Bei Griegs Klavier­kon­zert steckt bereits in den ersten Takten so viel Kraft, dann diese unglaub­li­chen Kaskaden. Was sehen bzw. fühlen Sie?

Ich sehe die Berge, die Fjorde, und auch Griegs Willens­stärke! Er hat Leipzig einfach zurück­ge­lassen und ist wieder in seine Heimat zurück­ge­kehrt. Das zeugt von einer starken Persön­lich­keit.

Sie haben sich viel mit dem Leben von Grieg beschäf­tigt?

Oh ja, ich liebe das, weil ich so eine Verbin­dung mit dem Herzen dieses Menschen herstellen kann. Natür­lich sind die großen Kompo­nisten Helden und Genies, weil sie so unglaub­lich geschrieben haben. Aber sie sind auch Menschen. Sie haben gelitten, geliebt, viel­leicht auch gehasst, und das kann man hören. Man lernt vom Leben – es ist eine Inspi­ra­tion. Man lernt in jedem Moment, und jede Erfah­rung, auch eine nega­tive, macht klüger.

Tatsäch­lich steckt auch viel Trau­rig­keit in diesem Konzert.

Es heißt ja, er sei ein biss­chen depressiv gewesen. Ich spüre es fast mehr in seiner Klavier­so­nate als im Klavier­kon­zert. Aber mehr als das spüre eine Nost­algie, in der ich mich selbst wieder­finde. Eine nicht sehr konkrete Nost­algie, eher ein roman­ti­sches Gefühl für das Leben, und wie schön es hier ist. Es sind die Farben, die nost­al­gisch machen, aber es ist auch dieses Grau – man kann es spüren, aber nicht benennen … Romantik, Nost­algie, inner­lich sehr intim.

Auch Sehn­sucht?

Ja. Man hat einen unglaub­lich glück­li­chen Moment, weiß aber schon, dass er enden wird. Und dann setzt schon die Sehn­sucht ein. Das spürt man bei Grieg sehr stark.

Bei de Falla nicht?

Nicht auf die gleiche Weise, würde ich sagen. De Falla ist viel direkter. Unglaub­lich ist, dass wir keine der Bezie­hungen de Fallas kennen. Er war sehr reli­giös. Und: Er war manisch. Hatte man ihm die Hand geschüt­telt, ging er sofort zur Toilette, um sich die Hände zu waschen. Ich war letztes Jahr in seinem Haus – das hat mir so viel erzählt. Er hat sehr klinisch, sehr herme­tisch gelebt. Aber in der Musik, da hat er dieses Feuer, diese Fein­füh­lig­keit und: diese Erotik. Im Menschen konnte man nichts davon erkennen, es lag alles in seiner Musik. Die war sein Ventil.

Kann man diesen Gegen­satz in seiner Musik spüren?

Oh ja, sehr. Es ist diese Mischung aus Feuer und Wasser, dem Element des Seins, des Lebens, der Gefühle. Und dazu dieser Duft. „Die Nächte in den spani­schen Gärten“ sind inspi­riert von der Alhambra. Der Duft dort in den Gärten ist wirk­lich magisch, auch die Empfin­dungen. De Falla ist immer beides: sehr mensch­lich, sehr präsent, im selben Moment aber auch voller Aromen. Ja, de Falla ist immer Feuer, Wasser – und so vieles mehr.

Zu Ihrer Biografie: Kommen Sie aus einer Musi­ker­fa­milie?

Nein, meine Eltern sind beide keine Musiker. Aber sie hatten eine emotio­nale und kultu­relle Bezie­hung dazu und einen offenen Geist. Inso­fern konnten wir wählen, was wir tun wollten. Meine Schwes­tern haben Ballett gemacht und Klavier gespielt – die elf Jahre ältere hat mich zum Beispiel immer in den Schlaf gespielt, als ich ein Baby war –, wollten es aber nie profes­sio­nell ausüben.

Aber viel­leicht hat diese Schwester Ihnen den Weg vorge­zeichnet, als sie Sie in den Schlaf gespielt hat.

Es gab einen kleinen Umweg. Als ich etwa vier Jahre alt war, musste ich immer weinen, wenn ich eine Geige gehört habe, weil es mich so berührt hat. Also meinte meine Mutter, ich müsse unbe­dingt Geige spielen. Ich bekam also Unter­richt, aber die Profes­sorin war einfach schreck­lich und drohte mir immer mit körper­li­chen Strafen, wenn ich nicht gut genug spielte. Aber ich war sehr charakter- bzw. willens­stark und habe gesagt, ich wolle die Geige nicht mehr und statt­dessen Klavier spielen. So habe ich also mit fünf Jahren mit dem Klavier­un­ter­richt begonnen. Und es lief, als hätte ich nie etwas anderes gemacht – mit acht Jahren spielte ich schon auf der Bühne, profes­sio­nell, seit ich 22 bin.

Mutig!

Ja, aber mein Professor, Lauren­tino Gómez, hatte schnell verstanden, dass ich für Leute spielen wollte. Ich hatte mir alles so einge­richtet: Meine Puppen waren mein Publikum, das ich natür­lich begrüßen musste, vor dem ich mich verbeugen wollte … Ich wollte die Musik mit Menschen erleben.
Das Haydn-Konzert, das ich jetzt spiele, habe ich zum ersten Mal an meinem 12. Geburtstag auf der Bühne gespielt. Und dann erst wieder letzten Oktober mit dem Baye­ri­schen Kammer­or­chester in San Sebas­tián im Großen Saal – es war so emotional für mich! Plötz­lich war diese ganze Zeit wieder da, auch die Angst, die ich als Kind hatte. Also habe ich dieses Kind an die Hand genommen und ihm gesagt: „Judith, wir werden jetzt Spaß haben.“ Es hat funk­tio­niert!

Was bedeutet Heimat für Sie?

Heimat, das kann so Vieles sein. Die 88 Tasten des Klaviers. Meine Familie. Ein Weg … Musik ist Heimat. Freund­schaft, die Verbin­dung zwischen Menschen, das ist Heimat – für uns alle.

Und was ist mit Madrid, wo Sie leben, mit San Sebas­tián?

Ich glaube, Heimat ist mehr als einfach nur ein Ort. Heimat ist dort, wo meine Freunde sind, Menschen, aber auch die Bühne. Es gibt eine spora­di­sche Heimat – eine Heimat auf Zeit.

Ihr Spiel ist elegant, dabei sehr emotional, aber ohne Kitsch. Gibt es Vorbilder für die Inter­pre­ta­tion von Grieg oder de Falla?

Ich arbeite sehr viel mit Bildern und Fantasie. Aber für Grieg ist es natür­lich Rubin­stein – ein unglaub­li­cher Klang. Wie Perlen … Und bei de Falla ist es natür­lich die große de Larrocha, die größte Pianistin Spaniens. Wenn man eine Refe­renz­auf­nahme hat, dann ist es sicher ihre.

Wie finden Sie dennoch Ihren eigenen Weg?

Ich glaube, es wäre sehr egois­tisch zu sagen, das oder das ist mein einziger Weg. Wir sind doch alle beein­flussbar. Natür­lich habe ich meine eigenen, oft roman­ti­schen Erfah­rungen und Erin­ne­rungen. Beispiels­weise war ich war ja dort und habe die Gärten der Alhambra gesehen … Es ist mein eigener Filter, mein eigener Weg zur Musik, der sich von ihrem unter­scheidet. Aber ich kann nicht sagen, dass eine Inter­pre­ta­tion, die ich seit meiner Kind­heit gehört habe, mich nicht beein­flusst hätte. Was auch schön ist. Wir sind beein­flusst von allem: Eltern, Umge­bung, was wir leben, was wir fühlen, was wir denken, was wir hören, was wir geben, was uns begegnet … Und eben auch, was da ist als Refe­renz.

Damit sind wir wieder beim Begriff Heimat.

Ja, es ist die Heimat in mir und in uns.

Sind Sie eigent­lich nervös vor Konzerten?

Ja, vorher. Aber es ist eine Nervo­sität, die ich kenne. Und sie ist auch gut, diese Span­nung, denn in dieser „uncom­fort zone“ kommt ja auch Vieles: Aufmerk­sam­keit, Spon­ta­nität, manchmal auch ein Erstaunen – „Ach, jetzt spiele ich es gerade nicht wie immer. Aber ja, viel­leicht können wir das so machen.“ Es ist Leben­dig­keit und Flexi­bi­lität. Und: Es ist auch eine Sache des Alters. Ich habe meine mentale Arbeit getan und versuche, mich im Konzert selbst zu vergessen. Sobald die Nervo­sität kommt, versuche ich, Musik zu sein.

Und wenn doch Fehler passieren?

Man kann dafür spielen, keinen Fehler zu machen. Und man kann dafür spielen, etwas zu erschaffen. Es ist immer ein Band zwischen beidem: Ich möchte Kontrolle haben, und ich möchte kreativ und frei sein. Und wenn man diesen Weg geht, wird es natür­lich Fehler geben – wir sind Menschen. Fehler oder ein Crescendo, ein Ritar­dando, das nicht so läuft wie gedacht … Es ist nicht wichtig! Ich möchte so auch nicht sein. Früher war ich so perfek­tio­nis­tisch, dass es mir wehgetan hat. Aber ich glaube, das sind alle Musiker.

Hat es nicht auch mit Erfah­rung zu tun, dass man entspannter wird.

Viel­leicht habe ich diesen krea­tiven State of mind, weil ich nicht mehr ganz jung bin. Denn ja, man hat mehr Angst, wenn man jung ist.

Die Profes­sio­na­lität bleibt ja.

Genau. Aber stärker als das ist: Ich möchte mit diesen groß­ar­tigen Musi­kern Musik machen. Ich will im Moment sein. Manchmal gelingt uns das nicht, weil irgend­etwas ist – wir sind alle nur Menschen. Aber wenn man diese tiefe Verbin­dung mit der Musik und mit der Seele schafft, dann wissen wir, warum wir das machen.

Und das spürt das Publikum …

Ich bin über­zeugt, dass ein Konzert nicht nur die Leute machen, die das Konzert spielen. Es liegt auch am Publikum. Und wenn das Publikum offen ist, dann spürt man eine Verbin­dung. Ist das Publikum eher verschlossen, kann es sein, dass man es öffnen kann, manchmal aber auch nicht. Immer aber ist das Publikum aktiver Teil dieses Paares aus Musi­kern und Hörenden.

Wann spüren Sie diese Verbin­dung am stärksten?

In der Stille! Ich höre den Applaus nicht, weil mein Adre­na­lin­spiegel zu hoch ist. Aber es gibt diese Stille der Wahr­heit von Herz zu Herz. Man fühlt es schlagen. Wenn ich aufhöre zu spielen, und es bleibt 30 Sekunden ganz still … Der Moment, den man in der Musik bleiben kann. Das ist das Beste.

Ein Wort zum Diri­genten, Kaspar Zehnder.

Wir kennen uns schon zehn Jahre und sind wirk­lich gute Freunde. Wir haben Beet­hoven, Mozart, Ravel, Schu­mann gespielt, wir haben aber auch schon de Falla gespielt. Grieg jetzt zum ersten Mal, aber es war … sehr selbst­ver­ständ­lich für uns beide.

Man spürt es, wenn man Sie in den Proben beob­achtet …

Kaspar ist einer meiner besten musi­ka­li­schen Freunde. Er ist ein wunder­barer Mensch und Musiker, sehr offen. Alles geht ohne Worte, die Kommu­ni­ka­tion ist so einfach. Es liegt kein Ego zwischen uns – eine Herzens­ver­bin­dung. Bei ihm fühle ich mich sicher, weil wir im selben Modus, im Gleich­klang atmen, auch persön­lich. Wir haben während der letzten Jahre so viel mitein­ander erlebt. Verluste, Verlet­zungen … 20 ist nicht 40. Und das Leben hat mir in den letzten zehn Jahren auch eine Lektion erteilt – in vielerlei Hinsicht. Ihm auch, und wir haben das zusammen erlebt. Es ist eine sehr ehrliche und liebe freund­schaft­liche und musi­ka­li­sche Bezie­hung.

Und als Diri­gent?

Ich finde seine Art zu diri­gieren extrem elegant und fein­fühlig im Klang. Ich liebe diese langen Phrasen und die Verbin­dung dieser Phrasen. Es ist seine Art der musi­ka­li­schen Atmung – da sind wir absolut im Gleich­klang.

Fotos: Die spanische Pianistin Judith Jáuregui