Jüdische Identität
So facettenreich wie das Judentum selbst
5. Februar 2021
»Jude ist ein Mensch, den die anderen Menschen für einen Juden halten«, so die Feststellung Jean-Paul Sartres. CRESCENDO befragte Musiker und Komponisten, was für sie jüdische Identität bedeutet.
Was ist jüdische Identität für Sie?
»Jüdische Identität hat für mich eher eine kulturpsychologische und spirituelle Bedeutung als eine religiöse bzw. nationale. „In der Tiefe des Herzens liegt eine sehnsüchtige jüdische Seele“ beschreibt es die haTikwa, die israelische Nationalhymne. „Nefesh Humia“, Sehnsuchtsseele, bedeutet in diesem Zusammenhang 2.000 Jahre Verlangen nach Zion. Diese ewige Sehnsucht hat für mich eine andere Bedeutung – die Seele sehnt sich nach einem unerreichbaren Ideal.«
»Für mich steht jüdische Identität für Menschen, die großzügig, ehrlich, familienlieb und respektvoll gegenüber ihren Nachbarn sind. Es steht für eine Tradition, in der Musik tief verwurzelt ist.«
»Sich mit jüdischen Werten, Kultur und Menschen verbunden zu fühlen, vielleicht auch Religion. Verbunden in Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Geschichte(t). Aber jüdische Identität bedeutet für mich auch all das zu hinterfragen und zu zweifeln und dadurch verantwortlich zu sein für die eigene stete Neupositionierung innerhalb dieses komplexen Netzwerks von Bedeutungen jüdischer Identität. Das Netz wird um die eigenen Fäden erweitert, es ist kein starres Gebilde, in das man sich einfügen muss. Verantwortung als Freiheit, Freiheit als Verantwortung.«
»Für mich bedeutet jüdische Identität mehr als nur Religion, sondern eher Lebensweise und Kultur. Als ich in den 1980er als junger Musiker zum ersten Mal nach Israel kam, entdeckte ich nicht nur die Art und Weise, wie Menschen dort lebten, sondern auch das musikalische Umfeld. Ich fühle mich geehrt, dass ich nun als Musikdirektor des Jerusalem Symphony Orchestra zurückkehre und hoffentlich zur jüdischen Identität beitrage und somit das Orchester zurück auf die internationale Bühne bringe.«
Was ist jüdische Musik für Sie?
»Ob Synagogenmusik oder Volksmusiktradition, ob Klezmer oder Pop, Kunstmusik oder Hip Hop – jüdische Musik war und ist so facettenreich wie das Judentum selbst. Allzu oft diente der Begriff jüdische Musik aber auch als rassistische Fremdzuschreibung, als abfälliger Stereotyp oder sogar als Schimpfwort. Viele jüdische Musikerinnen und Musiker wurden deshalb verdrängt und sind in Vergessenheit geraten. Für mich ist jüdische Musik daher vor allem eines: Immer noch viel zu wenig bekannt!«
»Jüdische Musik ist vielgestaltig und sollte meiner Auffassung nach im Innersten von diesen Fäden durchdrungen sein. Es geht nicht um ein jüdisches Kolorit – das ist nur äußerlich und kann eine vermeintliche Identität vortäuschen.«
»Viele Versuche wurden im letzten Jahrhundert unternommen, um jüdische Musik zu definieren. Einige meinten, dass jüdische Musik solche jüdischen Inhalts wäre, geschrieben von Juden für Juden – rasch widerlegt durch Komponisten wie Prokofjew oder Schostakowitsch, die jüdische Musik schrieben, ohne jedoch selbst jüdisch zu sein. Vor mehr als zweitausend Jahren ging das jüdische Volk ins Exil und wurde in mehr als 120 verschiedene Länder auf fünf Kontinenten zerstreut. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, so eine einzige lineare musikalische Tradition hervorzubringen. Jede Gemeinschaft nahm die Musik der Umgebung auf, in der sie lebte, während sie die jüdische Religion und die Sprache der Gebete – Hebräisch – bewahrte. Gerade in den vergangenen 70 Jahren seit der Gründung des Staates Israel kann das Kultivieren einer musikalischen Identität beobachtet werden. Wir haben nicht nur einen Typus an Musik vorzuweisen.
Ich kann mich glücklich schätzen, zu einer so alten Kultur zu gehören und bin dankbar, von Kindesbeinen an mit einer derartigen musikalischen Vielfalt aufgewachsen zu sein.«