Französisches versus deutsches Klarinettensystem

Klari­netten-Kriege

von Klaus Härtel

14. Juni 2018

Bis heute hängt der deutsch-französische Haussegen ausgerechnet in einem musikalischen Belang schief: Über die Frage des Klarinettensystems ist keine Einigung in Sicht.

Bis heute hängt der deutsch-fran­zö­si­sche Haus­segen ausge­rechnet in einem musi­ka­li­schen Belang schief: Über die Frage des Klari­net­ten­sys­tems ist keine Eini­gung in Sicht. Ein Besuch am „Kriegs­schau­platz“.

Beatles oder Stones? Mac oder PC? McDo­nalds oder Burger King? Es gibt im Leben diese Fragen, die scheinbar nur ein „Entweder-oder“ zulassen. Das ist in der Musik nicht anders. Auch bei den Klari­netten muss man sich entscheiden. Oehler oder Böhm? Deutsch oder fran­zö­sisch? Beides geht nicht. Ist durch diese System­frage am Ende gar die deutsch-fran­zö­si­sche Freund­schaft in Gefahr?

So drama­tisch ist es nicht, doch in der Tat verläuft die Tren­nungs­linie dieses Systems zwischen , Öster­reich und der deutsch­spra­chigen auf der einen Seite und dem „Rest der Welt“ auf der anderen. In den „deutsch­spra­chigen“ Orches­tern hält man auch aus Tradi­tion am deut­schen System fest. Das hat durchaus Charme, weil damit – wie in der Sprache – ein bestimmter Dialekt bewahrt wird und diese regio­nale Eigen­heit zu Unver­wech­sel­bar­keit und Diver­sität beiträgt.

„Entweder-oder“ ist also die Devise. Und doch gibt es Musiker, die die hohe Kunst der System­um­stel­lung beherr­schen. Die Spanierin Laura Ruiz Ferreres etwa – von 2006 bis 2010 Solo­kla­ri­net­tistin im Orchester der Komi­schen Oper und heute Profes­sorin an der Frank­furter Musik­hoch­schule – gehört zu den wenigen Künst­lern, die beide Systeme beherr­schen und lehren.

„Worin aber liegt nun der Unter­schied? Am offen­sicht­lichsten ist die Klap­pen­kon­struk­tion“

Das Böhm-System von klein auf gelernt, war Laura Ruiz Ferreres seiner­zeit gewarnt worden, das System nicht zu wech­seln. „Aber ich war neugierig und ehrgeizig“, erzählt sie, „und ich habe es geschafft. Ich erin­nere mich immer an meine Zeit als Akade­mistin bei der , wo ich manchmal in Opern mit fran­zö­si­scher A‑Klarinette und deut­scher B‑Klarinette gespielt habe …“

Auch , Solo­kla­ri­net­tist der bzw. der „muss“ von Berufs wegen „deutsch“ spielen, obwohl er dereinst auf der Böhm gelernt hat. Voraus­set­zung aber, um ein Studium beginnen zu können, war das Umlernen auf das deut­sche System. „In der Nach­be­trach­tung bin ich sehr glück­lich, beide Klari­net­ten­sys­teme kennen­ge­lernt zu haben. Bis heute spiele ich gerne Böhm­system, wenn ich Bass­kla­ri­nette spiele.“

Worin aber liegt nun der Unter­schied? Am offen­sicht­lichsten ist die Klap­pen­kon­struk­tion. Manche Töne sind auf den Klari­netten unter­schied­lich zu greifen und – verein­facht formu­liert – auf der Böhm­kla­ri­nette stehen für einen Ton oftmals mehrere Griff­mög­lich­keiten zur Verfü­gung. Ein weiterer Unter­schied ist die Innen­boh­rung der beiden Klari­net­ten­sys­teme, die beim Böhm­system deut­lich weiter ist als bei der deut­schen Klari­nette. Ebenso werden zum Teil völlig andere Mund­stücke und Blätter verwendet, was auch klang­liche Unter­schiede hervor­bringt und gewisse Spiel­tech­niken wie etwa das Lippen­vi­brato auf dem deut­schen System schwie­riger macht. Denn auf der deut­schen Klari­nette werden schwe­rere Blätter gespielt, was zunächst deut­lich anstren­gender ist.

„Warum aber gibt es über­haupt zwei Systeme? Ein kleiner histo­ri­scher Exkurs soll Licht ins Dunkel bringen“

Warum aber gibt es über­haupt zwei Systeme? Ein kleiner histo­ri­scher Exkurs soll Licht ins Dunkel bringen: Als Erfinder der Klari­nette gilt der deut­sche Instru­men­ten­bauer (1655–1707). Seine Moder­ni­sie­rung des Chalu­meaus, eines einfa­chen Volks­in­stru­ments, stieß wegen des beson­deren Klangs auf großen Zuspruch. Ab 1732 wurde das Instru­ment als Klari­nette, also kleine Clarin-Trom­pete, bezeichnet.

Viele Jahre lang wurde an der Klari­nette weiter­ge­tüf­telt, aber erst etwa 100 Jahre nach Denner machte (1786–1854) einen entschei­denden Schritt: 1812 stellte er ein Instru­ment mit 13 luft­dichten Klappen und Blatt­schraube vor, auf dem es nun endlich möglich war, auch chro­ma­tisch zu spielen. Trotz eines nega­tiven Gutach­tens des Pariser Konser­va­to­riums setzte sich das Instru­ment schon wenige Jahre später andern­orts immer mehr durch.

In Frank­reich ging man um 1840 andere Wege: und Louis Buffet über­trugen das Ring­klap­pen­system der Böhm-Flöte auf die Klari­nette und präsen­tierten so ein Instru­ment mit 17 Klappen. Spiel­tech­ni­sche Erleich­te­rungen und auch Verbes­se­rungen der Into­na­tion waren das Ergebnis. Die verein­fachte Technik und die akus­ti­schen Verbes­se­rungen galten hier als entschei­dendes Krite­rium für die Qualität des Instru­ments.

„Die Schwach­stellen sind letzt­lich bei beiden Systemen die glei­chen – und meis­tens ist der Spieler eine davon“

Die Müller-Klari­nette wurde dagegen nur sehr langsam und in kleinen Schritten weiter­ent­wi­ckelt. Man bemühte sich beson­ders, das roman­ti­sche Klang­ideal zu wahren. Etwa 20 Jahre lang war die Böhm-Klari­nette deut­schen Instru­menten tech­nisch über­legen. erkannte schließ­lich, dass das System der Böhm-Klari­nette wohl die einzige Möglich­keit sei, eine „Über­la­dung des Instru­ments mit Klappen und Hebeln“ zu vermeiden.

Auch der Belgier Eugène Albert behalf sich bei seinem Instru­ment mit Elementen der Böhm-Klari­nette, aller­dings war seine Klari­nette into­na­ti­ons­ge­nauer. 1890 entwi­ckelte dann die letzten großen Neue­rungen am deut­schen System: Sein Instru­ment mit 22 Klappen zeich­neten vor allem klang­liche Verbes­se­rungen aus.

Bis heute unge­schlichtet ist der „Streit“ zwischen Böhm- und deut­schem System. Die Böhm klingt schärfer, heller, viel­fäl­tiger, begüns­tigt das Vibrato, die Virtuo­sität, die schnellen Läufe, die Eleganz – und den Geld­beutel. Die „deut­sche“ klingt wärmer, dunkler, ober­to­närmer, begüns­tigt die Tonbeu­gung und das Glis­sando, verlangt Gabel­griffe, Zungen- und Finger­tricks. Und es gibt einen klang­li­chen Unter­schied. Dieser ist aller­dings sehr stark von Blatt, Mund­stück und Anblasart abhängig. Der Zuhörer kann nicht unbe­dingt zuordnen, welches System gespielt wird. Es kommt sehr auf den Spieler und das verwen­dete Mate­rial an, wie eine Klari­nette klingt. Die Schule, aus der der Spieler kommt, ist sehr viel entschei­dender dafür als das Instru­ment selbst. Die Schwach­stellen sind letzt­lich bei beiden Systemen die glei­chen – und meis­tens ist der Spieler eine davon.

Fotos: Lukas Beck