KlassikWoche 22/2023
Take a break, make music!
von Axel Brüggemann
30. Mai 2023
Der Rücktritt von Gustavo Dudamel von der Pariser Oper, die kontraproduktive Argumentation von unisono für den Erhalt der Rundfunkorchester, der Streik am Opernhaus Neapel für Stéphane Lissner.
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
ich hoffe, Sie hatten ein schönes Pfingstwochenende, jetzt geht es wieder los. Heute mit Work-Life, Orchester-Zukunft und den zweiten Geigen …
Take a break, take it Tiktok
Nachdem Dirigent Lorenzo Viotti zunächst angekündigt hatte, seinen Job in Amsterdam nicht zu verlängern und dann bekannt gab, dass er im Sommer eine Auszeit zum Abschalten nimmt, um seine neue Freiheit jeden Tag in sozialen Medien zu posten (wir haben letzte Woche berichtet), erklärte nun auch Gustavo Dudamel, dass er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen will und deshalb seinen Job an der Opéra national de Paris Ende der Saison aufgeben wird. Kollege Manuel Brug von der Welt kommentiert auf Twitter, das sei eine musikalische „Mimimi“-Mentalität, die beiden würden einfach zu viel verdienen.
Ich finde: Ja, der Jet-Set-Job ist aufreibend, und grundsätzlich können Auszeiten hilfreich sein. Aber gerade bei Dudamel, der 2026 auch die Nachfolge von Jaap van Zweden als Chefdirigent der New York Philharmonic antreten wird, ist die Frage eher: Wie ernst hat er die Oper je genommen? Hatte er eigentlich je Interesse an dieser Kunstform? Hätte er nicht 20 Jahre vorher mal an einem Opernhaus arbeiten sollen? Und lässt er mit seinem Hin und Her nicht das ohnehin angeschlagene französische Opernhaus (und all seine MitarbeiterInnen) im Stich? Wer weiß: Vielleicht entspannen sich unsere müden Klassik-Stars ja irgendwann mit nacktem Oberkörper an blauen Stränden, wenn sie im neuen Reality-RTL-Format „Mozart, Muskeln und Moneten“ mitmachen: Baywatch mit Beethoven. Aber vielleicht sollten sie sich einfach auch vor einer neuen Unterschrift überlegen, was auf sie zukommt.
unisono: ein Bärendienst für Orchester
Und noch eine Debatte hat diese Woche Fahrt aufgenommen. Der Geschäftsführer der Orchestervereinigung unisono, Gerald Mertens, hatte in einer Pressemitteilung vollkommen ohne aktuellen Anlass für den Erhalt der deutschen Radioorchester plädiert und dabei ziemlich allgemein argumentiert: Sie sorgten für Bildung und Musik-Versorgung vor Ort. Eine derartig lieblose Mitteilung wurde zur Steilvorlage für die ARD-Intendanten. Nachdem Tom Buhrow bereits vor einigen Wochen erklärt hatte, man müsse über die Abschaffung der Rundfunkorchester reden, erklärte nun auch SWR-Chef und ARD-Vorsitzende Kai Gniffke, dass Orchester nicht direkt zum Auftrag der Sender gehörten. Und so hat Mertens mit seinem Vorstoß das Gegenteil dessen erreicht, was er wollte: Plötzlich führen wir wieder eine Rundfunkorchester-Debatte! Mertens (er fragte in einem Podcast ernsthaft einmal: „Wie viel General steckt in einer Generalmusikdirektorin?“) würde mehr für die Orchester tun, wenn er gemeinsam mit ihnen die nötige Transformation in Angriff nehme.
Doro und ich hatten darüber in unserem aktuellen Podcast debattiert. Und auch Arno Lücker schreibt in der NMZ kritisch über Mertens Arbeit: „Auf der einen Seite warnt man also vor eventuellen Fusionen/Streichungen/Eindampfungen, betont die Wichtigkeit von Musikvermittlung (ohne das wirklich so zu meinen), würde aber andererseits nie das hermetische Pyramidensystem eines Orchesters oder etwa die vermeintliche Genialität und Unfehlbarkeit von Herrn Teodor C. infragestellen. Adäquat wäre, jetzt (!) komplett abzugehen, um schreiend durch die Straßen zu marodieren, um final mal das absolute (‚gute alte‘) Bildungsproblem anzugehen.“
Personalien der Woche I
100 Jahre alt wäre er letzte Woche geworden. Unbedingt anhören: Den Themenabend des SWR zu György Ligeti Ich gehöre nirgends! Ich werde unsere zum Teil skurrilen Treffen nicht vergessen, in denen Ligeti es genossen hat, nicht auf meine Fragen zu antworten. +++ Claudia Roth bekommt Rückendeckung und Kritik: In einem Schreiben hat sich unter anderem Pianist Igor Levit für seine Politiker-Freundin Claudia Roth eingesetzt, nachdem diese bei einer Veranstaltung in Frankfurt von der Bühne gebuht wurde (wir haben berichtet). Ihr wird vorgeworfen, sich nicht genügend um Antisemitismus zu kümmern. „Claudia Roths politische Biografie kündet unmissverständlich vom lebenslangen Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus“, heißt es unter der Überschrift „Nicht in unserem Namen“ in dem öffentlichen Schreiben. Weiterhin kritisch wird die Arbeit vom Vorsitzenden des Zentralrats der Juden verstanden: Josef Schuster verlangt in der Jüdischen Allgemeinen von Roth, sich „zu bewegen.“ Man müsse den Protest ernst nehmen.
Was kriegen die zweiten Geigen mit?
Und noch eine Orchester-Debatte, dieses Mal angezettelte von Dirigentin Nathalie Stutzmann (sie kommt im Sommer nach Bayreuth). Stutzmann, einst Sängerin, machte sich öffentlich Gedanken über die Motivation von MusikerInnen, besonders der zweiten Geigen, die während einer Opernaufführung gelangweilt sein.
Nachdem das MET-Orchester aufschrie, entschuldigte sich die Dirigentin: Sie meinte, dass viele MusikerInnen im Graben wenig von dem mitbekämen, was auf der Bühne stattfindet – und dass es wichtig sei, dass alle über die Aufführung informiert seien. Die Entschuldigung wurde angenommen – Stutzmanns Zauberflöte an der MET anschließend in der Presse gefeiert.
Personalien der Woche II
In einer Mitgliederversammlung der Grünen in Düsseldorf haben diese beschlossen, die Planungen zum Neubau der Düsseldorfer Oper zunächst auf Eis zu legen. +++ In einem Brief, aus dem Der Standard zitiert hat, fordern zwei Drittel der Studierenden des Max-Reinhardt-Seminars in Wien den Rücktritt von Institutsleiterin Maria Happel. Sie sehen sich mit einem System von „Machtmissbrauch, Nepotismus und Ignoranz“ konfrontiert. So würden zum Beispiel Lehraufträge intransparent und nach privaten Vorlieben vergeben.
Der Musikdirektor der Oper Leipzig, Christoph Gedschold, wechselt zur Saison 2024/2025 als Chefdirigent an die Kopenhagener Philharmonie. +++ Barrie Kosky will günstigere Mieten in Berlin. In der Berliner Zeitung fordert er: „Ein großer Teil dieser Stadt ist das Künstlerleben und Studentenleben – und wenn diese Leute ihren Wohnraum nicht bezahlen können, wird Berlin leider zu einem Bielefeld mit größeren Gebäuden.“
Neapel kämpft für Lissner
Die MitarbeiterInnen am Opernhaus in Neapel streiken für ihren Intendanten Stéphane Lissner. Der Ministerrat hatte Anfang Mai ein Dekret verabschiedet, nach dem Intendanten von Opernhäusern mit Vollendung des 70. Lebensjahres aus dem Amt scheiden müssen. Es wird spekuliert, dass mit diesem „Kunstgriff“ ausländische Kulturchefs ausgetauscht werden sollen. Lissner ist zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung über 70, müsste sein Amt also aufgeben. Angeblich hat der Intendant inzwischen gegen das Gesetz geklagt. Ausgang offen.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht hier: Ich war im Theater Bremen und habe mir das letzte Dirigat meines Freundes Yoel Gamzou an Haus angehört: Tschaikowskys Piqué Dame. Es ist schon erstaunlich, was an einem Stadttheater passieren kann, wenn alle wirklich wollen: Gamzou legte sein Dirigat im Sinne Mahlers an und sorgte so mit einem Ohr für krasse Brüche, für einen fast schostakowitschhaften Tschaikowsky-Sound. Armin Petras inszenierte die Oper in einem abgetakelten Drehbühnen-Geisterhaus: verlorene Seelen auf der Suche nach Glück, oder: „Plants vs. Zombies“. Gleichzeitig führte die Aufführung uns auch vor Augen, wie es sich anfühlt, wenn ein Theater auf vielen Ebenen die Grenzen dessen, was es eigentlich stemmen kann um einige Zentimeter überschreitet: Dann gibt es schnell zu viel von allem, vor allem zu viel Anstrengung in jeder Phrase – und nur wenig Leichtigkeit. Und trotzdem, gut, dass sich auch kleinere Häuser an große Opern wagen.
Ach ja, wenn Sie Lust haben, die Klassik-Woche lieber zu hören, dann empfehle ich Ihnen die neue Ausgabe von Alles klar, Klassik? (hier kostenlos für alle Anbieter), oder bei Spotify (dafür einfach unten auf das Bild klicken).
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Dieses noch in eigener Sache:
Was würden Sie von diesem Mailverkehr halten? A: „Wie geht es Dir?“ – (… keine Antwort …) A: „Warum antwortest Du nicht?“ – B: „Sag nie wieder, dass ich nicht antworte, sonst….!“ – A: „Aber Du hast doch nicht geantwortet.“ – B: „Doch eben gerade!“ Das Traurige ist, so ungefähr funktioniert die Korrespondenz mit der Chefin des SWR-Orchesters, Sabrina Haane, wenn es um Teodor Currentzis geht. Allerdings geht es hier nicht um irgendwelche Befindlichkeiten, sondern um Journalismus, darum, Fakten und Haltungen in einer Zeit des Krieges abzufragen – und das bei einem öffentlich-rechtlichen Sender, der in besonderer Verantwortung steht, journalistische Grundprinzipien zu pflegen. Konkret war es so: Als es Nachfragebedarf zur Ehrenprofessur von Teodor Currentzis gab, dazu, dass er sich noch immer nicht von putinfreundlichen MusikerInnen in seinem Orchester musicAeterna distanziert hat und zur damals aktuellen, öffentlichen Erklärung von Wiens Konzerthauschef, habe ich – mal wieder – bei Frau Haane (und in Kopie bei ihrem Pressesprecher) nachgefragt. Das war am 10. Mai. Aber ich bekam keine Antwort (üblicherweise antworten Pressestellen rasch, mindestens innerhalb von drei Tagen). Ich habe das im Newsletter thematisiert, und einige LeserInnen des Newsletters haben (danke dafür!) selber beim Sender nachgefragt. Sie haben nun die Antwort erhalten, dass der SWR sehr wohl auf all meine Anfragen geantwortet hätte. Ist mir da etwas durchgerutscht? Tatsächlich hat Frau Haane mir 15 Tage (!) nach meiner Anfrage (und lange nach unserer Kritik an ihrem Schweigen) am 25. Mai eine Mail geschrieben, die mit den Worten begann: „Entgegen Ihren Behauptungen haben wir bislang auf jede E‑Mail von Ihnen geantwortet. Daher möchte ich Sie bitten, nicht weiterhin das Gegenteil zu behaupten.“ Als ich erneut nachfragte, wann genau Frau Haane denn auf meine Mail vom 10. Mai geantwortet habe, kam ihre Antwort prompt. Sie erklärte, dass ihre Mail (vom 25. Mai), in der sie mir schrieb, sie würde auf all meine Mails antworten, ihre Antwort gewesen sei. Boah!!! Wir verlieren uns mit derartigen Korrespondenzen in Winkelzügen und in Ablenkungs-Debatten. Vertrauen in die angeblich regelmäßigen Überprüfungsmechanismen beim SWR in Sachen Currentzis erweckt all das bei mir jedenfalls nicht. Es ist eine Sache, ob auf jede Mail geantwortet wird – noch wichtiger wäre es, konkret auf offene Fragen zu antworten.