KlassikWoche 46/2023
Klassische Eiserne Vorhänge
von Axel Brüggemann
13. November 2023
Der Eiserne Vorhang der Wiener Staatsoper von Anselm Kiefer, die Premiere von Anthony Davis’ »X: The Life and Times of Malcolm X« an der Metropolitan Opera, die Klage gegen die Österreichischen Bundestheater.
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
dieses Mal mit einer kleinen Kapitulation, mit einem Skandal, der eigentlich nur ein Missverständnis ist, mit einer kritischen Russlandreise und einem echten Hörgenuss!
„Ich habe die Schnauze voll“
Es ist ein Problem, dass die Klassik keine neuen Fachkräfte findet, ein anderes ist, dass immer mehr Fachkräfte den Musikbetrieb verlassen: Arbeitsplätze an Opernhäusern oder bei Orchestern sind schon lange nicht mehr so begehrt wie einst. Andere Arbeitgeber bieten bessere Arbeitsbedingungen und mehr Gehalt. Vor allen Dingen beklagen aber immer mehr Kulturschaffende, dass der Betrieb von heute nur noch wenig mit ihren einstigen kulturellen Idealen zu tun hätte. Viele suchen ihr Glück in der Tourismus-Branche, als LehrerInnen oder nehmen sich erst einmal eine Auszeit. In der neuen Folge meines Podcasts Alles klar, Klassik? bespreche ich dieses Phänomen mit dem einstigen Orchesterdirektor Ingo J. Jander, der heute bei der Bundesagentur für Arbeit angestellt ist und sich hier um KünstlerInnen kümmert, und mit dem ehemaligen Generalintendanten der Opéra du Rhin und Direktor der Wiener Volksoper Rudolf Berger, der heute als Trauerredner arbeitet. Außerdem kommen viele Kulturschaffende aus der Administration, von der Bühne oder Instrumentalisten zu Wort, die ihr Glück in einem Leben jenseits des Rampenlichts gefunden haben. Hören Sie doch einfach mal rein, und drücken Sie unten auf das Bild (oder hier die Links für apple Podcasts, für Spotify oder für alle anderen Player).
Übrigens, seit ich das Thema geplant habe, finde ich sie überall, die Aussteiger aus der Klassik, die heute glücklich in neuen Berufen tätig sind. Unter anderen der ehemalige Chefredakteur des Opernglases, Ralf Tiedemann, dem ich meine ersten Texte und großen Interviews verdanke (er hat mich als Student regelmäßig für sein Magazin schreiben lassen) – heute arbeitet er als Coach. „Mit Sounds & Vibes. Ohne Chi-Chi“, wie es auf seiner Website heißt. Oder Andrew Franck, der einst als Heldentenor auf der Bühne der Metropolitan Opera stand und heute glücklich als Küster von St. Petri in Lübeck arbeitet.
Zum Schwarzärgern?
Es war nur ein Statist, der als Anubis, als Gott der Verstorbenen, schwarz geschminkt in Ligetis Oper Le Grand Macabre auf der Frankfurter Bühne stand. Doch das reichte für einen Provinz-Skandal in der Opern-Metropole: Eine kulturpolitische Sprecherin der Partei Volt und eine Stadtverordnete der Grünen sprachen (offensichtlich, ohne die Aufführung gesehen zu haben) von einer „Farce“ und erklärten, man könne dunkel bemalte SchauspielerInnen grundsätzlich nicht tolerieren. Ein absurder Reflex, der übersieht, dass gerade das Theater (und besonders die Oper) seit Jahrhunderten Experten in Sachen kultureller Aneignung sind (das erkläre ich ausführlich auch in meinem aktuellen Buch). Die Kunst der Bühne ist ein Spiel der andauernden Maskerade und der ständigen Behauptung, jemand anders zu sein, als man ist. Wir haben das seit jeher kultiviert, und es macht eben einen Unterschied, ob Blackfacing mit dem Bewusstsein um eventuelle Diskriminierung passiert oder aus ignoranter Naivität. Zum Glück haben das inzwischen auch die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD) und ein grünes Mitglied im Aufsichtsrat der Städtischen Bühnen verstanden und unterstützen die Inszenierung von Vasily Barkhatov.
Die FAZ jubelte über die Produktion übrigens: „Eine virtuos umdeutende Inszenierung von Vasily Barkhatov, eine souveräne musikalische Leitung von Thomas Guggeis, großartige darstellerische und musikalische Leistungen aller Beteiligten. Schauwerte aller Arten werden geboten, Ligetis Oper beweist auch ihre musikalische Lebendigkeit.“
Personalien der Woche I
Auf seiner Facebook-Seite berichtet der AfD-Bundestagsabgeordnete und Cellist Matthias Moosdorf, dass er auf Einladung von Art Bridge beim Tschaikowski-Festival in St. Petersburg aufgetreten sei. Sein besonderer Dank galt dem deutschen Kulturmanager Hans-Joachim Frey. Wir erinnern uns: Frey hatte Putin 2009 zum SemperOpernball eingeladen, Putins Freund, den Cellisten Sergei Roldugin, ans Brucknerhaus nach Linz geholt und ist inzwischen als Intendant in Sotschi tätig. Über dem Plakat, das Moosdorfs Auftritt bewirbt, prangt u.a. das Logo der russischen Sberbank, die in Europa sanktioniert wird (die Zentralbank der Russischen Föderation hält mehr als 50 Prozent der Anteile). Wenige Tage später postete Moosdorf dann (ebenfalls auf Facebook) die These, dass der Westen (und Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj) Friedenslösungen bislang verhindert hätten. „Schluss damit!“, fordert er. „Lassen wir die Menschen in den umkämpften Gebieten selbst entscheiden, wie sie zukünftig leben wollen.“ Absurd, denn Russland hat die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen und könnte den Krieg ganz einfach beenden, wenn es seine Truppen zurückzöge. Ach ja, unter seinem St.-Petersburg-Facebook-Post erklärte Moosdorf noch, man dürfe Kunst und Kultur „nicht instrumentalisieren“. Na: Das klappt ja super!
Absurd stille Weihnacht
Achtung, das ist kein Scherz: Der Braunschweiger Weihnachtsmarkt verzichtet in diesem Jahr auf Auftritte von Chören und Musikgruppen – der Grund: Die Stadt tut sich schwer mit den GEMA-Regelungen. Nach einer Neuberechnung der GEMA-Gebühren hätte das Stadtmarketing nach eigenen Angaben das 15-Fache der ursprünglichen Kosten zahlen müssen. Ein Trauerspiel!
Auf unseren Bühnen
Die Oper X: The Life and Times of Malcolm X von Anthony Davis hatte Première an der Metropolitan Opera in New York. Und die New York Times feiert, dass dieses Stück von 1986 endlich am größten Haus des Landes angekommen ist: „Jahrzehntelang vernachlässigt kann die Oper jetzt das werden, was sie schon immer sein sollte: ein amerikanischer Klassiker!“ Ein Fest war wohl auch der Zürcher Ring des Nibelungen, der nun mit der Götterdämmerung zu Ende gegangen ist. Ein musikalischer Mega-Erfolg vor allen Dingen für die Sopranistin Camilla Nylund, die mit der Brünnhilde so langsam alle dramatischen Wagner-Rollen verkörpert – ein Beweis dafür, wie klug man selbst eine Weltkarriere noch Schritt für Schritt ausbauen kann. Auch Klaus Florian Vogt als Siegfried muss heldischen Schmelz verströmt haben, wie in der Neuen Zürcher Zeitung zu lesen ist. Wer in der Nähe ist, sollte hingehen!
Mehr als nur Worte?
Mit einem gemeinsamen Aufruf haben sich Berliner Opernhäuser und Orchester gegen Antisemitismus und Hass gewandt. „Auch in aufgewühlten Zeiten müssen Kontroversen gewaltfrei und mit Toleranz ausgetragen werden“, hieß es in dem Statement. Der Deutsche Komponist:innen Verband veröffentlichte einen offenen Brief (den auch ich unterschrieben habe), in dem es heißt: „Wir wissen, dass es nur eine Geste sein kann, sich auf diese Weise gemeinsam als Musikszene in Deutschland von Antisemitismus zu distanzieren. Wir wissen aber auch, dass Jüdinnen und Juden (von denen viele unsere Kolleginnen und Kollegen sind), sich oft in unserem Land allein gelassen fühlen und ihnen genau diese Gesten, Zeichen der Solidarität und auch Worte des Mitgefühls in schwierigen Zeiten fehlen.“ Auch die Opernkonferenz gab ein Bekenntnis gegen Antisemitismus ab. Hamburgs Staatsopernintendant Georges Delnon sagte, eine gemeinsame Verurteilung von Antisemitismus sei „fundamental“ und verwies auf die gesellschaftliche Relevanz der Institutionen: „Ich bin zuversichtlich, dass Kultur in der Zukunft ein noch wichtigerer unverzichtbarer gesellschaftlicher Akteur sein wird.“ Alles wichtige Zeichen – aber die offene Frage bleibt: Wo bleiben die programmatischen Taten? Die Solidaritäts-Konzerte? Die politische Programmierung? Und wie gehen wir in der Öffentlichkeit mit offenen Debatten wie an der Barenboim-Said Akademie um, von denen wir im letzten Newsletter berichtet haben?
Personalien der Woche II
Nun wird sie eingereicht, die neue Klage gegen die österreichische Bundestheater-Holding. Dem Berufsverband für Darstellende Kunst und Musik und dem Sänger Wolfgang Ablinger-Sperrhacke geht es unter anderem um Vermittlungsgebühren, die zwar im Theaterarbeitsgesetz vorgeschrieben seien, jedoch von der Wiener Staatsoper, weiteren Bundestheatern oder auch den Salzburger und Bregenzer Festspielen nicht bezahlt würden. Es geht um Verträge, die über Agenturen abgeschlossen wurden, sie müssen anteilig von den KünstlerInnen und den VeranstalterInnen bezahlt werden. Übrigens: Das Tiroler Landestheater, das Stadttheater Klagenfurt oder die Grazer Oper würden sich an die Spielregeln halten. +++ Anselm Kiefer hat den neuen Eisernen Vorhang der Wiener Staatsoper gestaltet. Sein Werk Solaris (für Stanisław Lem) kann bis Ende Juni 2024 vom Publikum vor und nach den Aufführungen sowie in den Pausen wahrgenommen werden. Manche sagen, seither ist die Staatsoper am besten, wenn der Vorhang geschlossen ist. +++ Vor kurzem erklärte ein deutscher Intendant noch, #metoo sei an den Bühnen gut „verarbeitet“ worden. Fakt ist, dass Österreichs Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer nun erklärt hat, dass die Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt über 90-mal angerufen wurde – die meisten Fälle traten im beruflichen Kontext und mit Frauen als Betroffenen auf. Es ist also Luft nach oben!
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? In dieser Ausgabe habe ich ja schon über einige positive Klassik-Erlebnisse berichtet. In den letzten Wochen habe ich überhaupt sehr viel Musik gehört. So viel, dass ich erst jetzt mitbekommen habe, dass Igor Levit ja wieder bei Twitter ist – hatte er die Plattform nicht mal aus Protest verlassen? Ach ne, das ist ja jetzt X, und da ist ja alles ganz anders. Wie auch immer, ich habe in den letzten Wochen Musik gehört, die so seelentief ist, wie Igor Levit es oft nur in Worten behauptet – und dazu: vollkommen unprätentiös. Es geht um Víkingur Ólafssons Bach-Einspielungen, um seine Goldberg-Variationen. Die haben mich wirklich umgehauen! So viel Licht. So viel Sensibilität. So viel Selbstverständlichkeit im Besonderen. Diese Aufnahme läuft neuerdings bei mir in Endlosschleife!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
brueggemann@crescendo.de
P.S.: Wer noch immer nicht die Nase voll hat von meinem neuen Buch: Ich habe die zentralen Thesen im Podcast PRO MUSIK magazin mit dem Harfenduo Laura Oetzel und Daniel Mattelé diskutiert.