Lucerne Festival & Davos Festival
Geschärfte Sinne
von Corina Kolbe
25. August 2020
Das Lucerne Festival überraschte im Corona-Sommer 2000 mit einer kleinen, feinen Ersatzausgabe. Das originell verpackte Kammermusikprogramm des Davos Festivals lief sogar nahezu unverändert ab.
Das Lucerne Festival überraschte im Corona-Sommer 2000 mit einer kleinen, feinen Ersatzausgabe. Das originell verpackte Kammermusikprogramm des Davos Festivals lief sogar nahezu unverändert ab.
Hat die allgegenwärtige Schutzmaske am Ende auch Einfluss auf das Hören? Das Publikum des Lucerne Festivals musste nicht nur beim Ein- und Auslass, sondern auch während der Konzerte Mund und Nase bedecken. Bis zu 1000 Besucher wurden weit verteilt im Saal platziert. Beim Blick in Richtung Bühne schränkte die Maske allerdings das Gesichtsfeld ein, irgendwann wurde es darunter auch stickig. Dafür schien man umso freier und genauer zu hören.
Wenn das Lucerne Festival Orchestra in diesem Jahr besonders transparent klang, war dies allerdings keine Sinnestäuschung. In schlanker Besetzung, wie einst zu Beethovens Zeiten, spielten 35 Musiker die Dritte Sinfonie Eroica. Pandemie-bedingt, saßen sie in größeren Abständen zueinander.
Am Pult stand Herbert Blomstedt, der mit 93 Jahren sein Debüt mit dem Orchester feierte. Als Wahl-Luzerner hatte er keine weite Anreise zum Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL). Solisten wie der Flötist Jacques Zoon, der Oboist Lucas Macías Navarro und der Trompeter Reinhold Friedrich sind schon lange dabei.
Erinnerungen an glückliche Zeiten
Immer wenn im Konzert Einzelstimmen brillant hervortraten und sich dann wieder subtil mit anderen Instrumenten verflochten, fühlte man sich an die glücklichen Zeiten mit Orchestergründer Claudio Abbado erinnert. Einmal mehr wirkte die Eroica wie pure Kammermusik.
Mit jugendlichem Überschwang spielte Martha Argerich, mittlerweile auf die 80 zugehend, den Solopart in Beethovens Klavierkonzert Nummer eins. Farbenreich entfaltete sich unter ihren Händen das lyrisch-sangliche Largo, bevor sie im Rondo einen mitreißenden Tanz mit dem Orchester vollführte.
Proben auf Abstand
Die Proben, so erzählte ein Musiker, seien wegen des ungewohnten Abstands erst eine Herausforderung gewesen. Das Experiment sei aber letztlich so inspirierend gewesen, dass man sich eine Fortsetzung durchaus vorstellen könnte.
Fieberhafte Arbeit an Plan B
Große Flexibilität legte auch Michael Haefliger, der Intendant des Lucerne Festivals, an den Tag, damit sein Festival überhaupt noch starten konnte. Als die ursprünglich geplante Ausgabe im Frühjahr abgesagt werden musste, wurde hinter den Kulissen fieberhaft an einem Plan B gearbeitet.
Die Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen machten es schließlich möglich, dass unter dem Motto „Life is live“ während einer Woche auch Stars wie die Mezzosopranistin Cecilia Bartoli und der Pianist Igor Levit im KKL auftreten konnten.
Zeitgenössisches mit ehemaligen Akademisten des Festivals kam ebenso zu Gehör wie die Klanginstallation Luzener Glocken – con sordino des Perkussionisten Peter Conradin Zumthor, der dazu Glocken Luzerner Kirchen präparierte.
Das Davos Festival – Plattform für den musikalischen Nachwuchs
So gut wie nichts ändern musste dagegen das Davos Festival. 1986 auf Initiative Haefligers gegründet, bietet es in erster Linie dem musikalischen Nachwuchs eine Plattform. Die Kammerkonzerte, die ohnehin vor kleinem Publikum stattfinden, waren in diesem Sommer geradezu ideal mit den Abstandsregeln vereinbar. Der Gesundheitszustand der Künstler wurde durch regelmäßiges Fiebermessen kontrolliert.
Ausgehend vom Festivalmotto „Von Sinnen“ knüpfte der neue Intendant Marco Amherd gedankliche Fäden zwischen Musik, Philosophie, Literatur und bildender Kunst, die sich vom „Scharfsinn“ bis zum „Wahnsinn“ spannten. In einem Konzert unter dem Titel „Sinnkrise“, der sich auf tragische Komponistenschicksale bezog, stellten sich aufstrebende „Young Artists“ mit Werken von Liszt, Mendelssohn und Zimmermann als Solisten und Kammermusiker vor.
Neben der Festival Camerata, die in diesem Jahr erstmals mit dem britischen Dirigenten Leo McFall auftrat, beeindruckte auch der exzellente Festivalchor unter Leitung von Andreas Felber.
Erinnerungen an Friedrich Theodor Fröhlich
Mit einem eindringlichen a‑cappella-Stück erinnerten die Sänger an den Schweizer Komponisten Friedrich Theodor Fröhlich, der sich 1836 in einem Fluss ertränkte. An einem italienisch inspirierten Abend führte die Camerata mit viel Verve Tschaikowskys Souvenir de Florence in einem Arrangement für Streichorchester auf.
Schrägen „Unsinn“ verbreiteten dagegen die Schlagzeuger Matthias Kessler, Luca Staffelbach und Fabian Ziegler, die als Colores Trio mit Perkussionisten Cédric Gyger Musik von John Cage spielten.
Rhythmen und Töne mit Alltagsgegenständen
In dem eigenwilligen Stück Living Room Music traten sie als Sprechquartett auf und produzierten Rhythmen und Töne mit allen möglichen Alltagsgegenständen. Für Lacher sorgte auch Buster Keatons mit Slapstick gewürzter Stummfilm The Navigator, zu dem Guy-Baptiste Jaccottet in einer Kirche auf der Orgel improvisierte.
Lediglich ein Konzert während einer Zugfahrt fiel den Corona-Regeln zum Opfer. Das Offene Singen für alle wurde wegen der Gefahr durch Aerosole kurzerhand ins Freie verlegt. Nur schlechtes Wetter machte den Beteiligten hin und wieder einen Strich durch die Rechnung.
Malerische Berglandschaft
Bei einer Festivalwanderung durch die malerische Berglandschaft mit anschließendem Kirchenkonzert hatte Petrus aber ein Einsehen. Unabhängig von der Witterung funktionierte auch die „Sinnbox“, vom Festival als „kleinster Konzertsaal der Alpen“ angepriesen.
Jeweils ein Zuhörer kam in den Genuss einer fünfminutigen Klavierimprovisation nach einem ausgewählten „Sinnwort“. Umstehende konnten derweil von draußen zuschauen. Ohne es zu ahnen, hatte sich das Festival schon vor der Corona-Krise bestens darauf vorbereitet, Sars-CoV‑2 ein Schnippchen zu schlagen.
Informationen zu den Terminen 2021 unter: www.lucernefestival.ch und www.davosfestival.de