Marius Müller-Westernhagen
»Über sich selbst zu sprechen, ist nicht immer einfach«
von Rüdiger Sturm
13. Februar 2023
Marius Müller-Westernhagen über authentisches Empfinden auf der Bühne, die Gefahr manipulativer Macht und die einigende Kraft der Musik
Marius Müller-Westernhagen hat die Geschichte der populären deutschen Nachkriegsmusik geprägt wie nur wenige seiner Kollegen. Ein von Friedrich Dönhoff verfasstes Portrait-Buch vermittelt nun intime Einblicke in die Denk- und Empfindungswelt des heute 74-Jährigen. Im Interview vertieft Müller-Westernhagen verschiedene Aspekte wie zum Beispiel die spirituelle Erfahrung des Musikmachens.
CRESCENDO: Sie haben für das vorliegende Buch die Schlüsselerfahrungen Ihres Lebens und Ihrer Karriere rekonstruiert. Wie fühlte sich dieser Prozess an?
Marius Müller-Westernhagen: Sich mit sich selbst zu befassen und über sich selbst zu sprechen, ist nicht immer einfach. Ich sehe meine Karriere aus einer ganz anderen Sicht als die Leute von außen. Noch schwieriger ist es, Fragen zu seiner Vergangenheit zu beantworten, denn ich bin kein Mensch, der in der Vergangenheit lebt, und überhaupt nicht nostalgisch veranlagt.
Und doch waren Sie imstande, Ihre Vergangenheit zu analysieren, wie man an diesem Portrait sieht.
Ich bin ein Mensch, der sehr genau reflektiert hat, was mit ihm und ihn herum passiert ist. Trotzdem war es nicht immer ganz einfach. Denn ich dachte, ich hätte wahnsinnig viel vergessen. Fragen Leute aber dann nach, fallen mir Dinge auf einmal wieder ein. Für mich war das auch eine Begegnung mit Vielem, was zunächst aus meiner Erinnerung verschwunden schien.
Aber sehen Sie schon das Ende Ihrer Bühnenkarriere gekommen?
Ich will nicht mehr auf der Bühne stehen, wenn die Leute nur noch wegen der Erinnerung an früher kommen. Da machst du dich dann zum Clown. Als Musiker wie auch als Schauspieler brauchst du jederzeit Zugriff auf deine Gefühle und musst alles authentisch empfinden – immer wieder. Das tut weh und ist anstrengend.
Gelingt das Ihren Kollegen?
Leider ist das heute bei vielen Kollegen nicht mehr gang und gäbe, die machen einfach nur Show und liefern rein handwerkliche Arbeit ab. Das ist mir letztes Jahr bei den MTV Music Awards aufgefallen. Da gab es viel Inhaltsloses, und mir fehlte die Energie der Künstler, die auf der Bühne standen, zum Publikum hin. Eigentlich haben die nur für die Kameras gespielt. Aber hinterher behaupteten alle, dass sie jeden im Publikum lieben.
»Unsere Generation war liberaler als die unserer Kinder«
Warum sind viele heutige Kollegen nicht mehr zu dieser Authentizität fähig?
Ein Wort: Geld. Man kann ihnen das nicht vorwerfen, das Thema kommt auch stark von außen und wirkt auf Künstler ein. Wir sind noch in einem anderen Bewusstsein groß geworden – wir hatten klare Widerstände. Das begann mit unseren Eltern, die sich wehrten, über die Vergangenheit zu reden. Also wollten wir nur nicht so werden wie sie. Überall sind wir gegen Wände gerannt, und nur durch diese Reibung ist unsere Republik zu der geworden, die sie ist. Insofern war unsere Generation liberaler als die unserer Kinder. Die bekamen ihre Vorbilder aus dem Fernsehen geliefert, und deren Motto war: erfolgreich sein. Darüber hat sich alles definiert. Dabei hat die Jugend eigentlich die Verpflichtung, rebellisch zu sein, nachzufragen und mit ihrer wunderbaren Naivität auch über Grenzen zu gehen.
Ihre Tochter ist selbst als Musikerin tätig. Wie ist der Stand ihrer Karriere?
Sie lebt mit ihrem Mann, einem israelischen Musiker, in Brighton. Beide hatten lange Zeit in Hamburg und Berlin gewohnt, aber dann zogen sie nach England zurück, weil die Art Musik, die sie macht, in Deutschland ignoriert wird. In England hat sie viel mehr Chancen. Sie ist vielseitig begabt, entwirft Stoffe und hat auch Schauspieltalent.
Sie haben selbst immer wieder Erfahrungen mit ausländischen Kulturen gesammelt, auch durch Ihre beiden Ehefrauen, die amerikanischer bzw. südafrikanischer Herkunft sind. Inwieweit fühlen Sie sich deutsch?
Überhaupt nicht. Wenn mich die Leute im Ausland fragen, woher ich komme, dann sage ich „Raten Sie doch mal“. Da kommen dann Antworten wie England oder Holland. Ich war immer schon weltweit unterwegs und habe auch viele Kulturen kennengelernt. Ich kann Eltern nur raten, ihre Kinder ins Ausland zu schicken, damit sie selbstständig werden.
Wie würden Sie die Denkweise Ihrer zweiten Frau Lindiwe Suttle beschreiben?
Sie ist an unheimlich vielen Dingen interessiert, aber ich muss aufpassen, dass ihr nicht zu schnell langweilig wird. Sie ist sehr ehrgeizig, extrem intelligent und hat einen irrsinnig regen Geist, was manchmal chaotisch wirkt, aber sie will immer weiterlernen und sich verbessern.
»Die Macho-Nummer hat mich nie interessiert«
Welche Erkenntnisse haben Sie vermittelt?
Aus der Konkurrenz zu ihrer übergroßen Mutter (Talkmasterin und Unternehmerin Felicia Mabuza-Suttle, Anm. d. Red.) ist sie mit dem Bestreben groß geworden, Erfolg zu haben und ein Star zu werden. . Und ich habe versucht, sie auf einen Weg zu bringen, der echter und befriedigender ist. Zum Beispiel habe ich ihr Filme gezeigt, die wichtig waren – das New Hollywood der 70er-Jahre, die französische Nouvelle Vague, den italienischen Neorealismus. Und sie liebt Filme abgöttisch. Ich habe ihr auch zu vermitteln versucht, dass sogenannte Stars normale Menschen sind, die einerseits viel Glück gehabt und sich das hart erarbeitet haben.
Sie selbst wuchsen in den 50ern und 60ern mit einem traditionellen Männerbild auf. Hatten Sie damit Schwierigkeiten?
Überhaupt nicht, weil ich nicht so groß geworden bin. Ich habe in meinem Vater nicht den starken, autoritären Mann erlebt. Er hat immer sehr viel mit mir kommuniziert, während mich meine Mutter mit ihrer Disziplin und Pflichterfüllung geprägt hat. Diese ganze Macho-Nummer hat mich auch nie interessiert. Auch „Sich-bewusstlos-Saufen“ mochte ich nicht, denn ich wollte immer am nächsten Tag wissen, was ich gesagt hatte.
Wie würden Sie Ihren Vater beschreiben?
Mein Vater war ein typischer Rheinländer, aufgewachsen in Köln. Er war ein sehr spiritueller Mensch, ein guter Kerl, sehr gebend. Er hat sich nie etwas auf sich selbst eingebildet und gleichzeitig war er sehr charismatisch. Wenn meine Schwester Party feierte, saßen alle um ihn herum.
Gleichzeitig kämpfte Ihr Vater mit den Dämonen der Alkoholsucht. Hatten Sie Angst, dass die Sie auch heimsuchen könnten?
Ja. Deshalb habe ich gelernt, dass du dich vor diesen Dämonen schützen musst. Das erklärte meine Scheu, wie er ans Theater zu gehen, denn ich habe gesehen, wie viel da gesoffen wurde und Menschen sich kaputt gemacht haben – wenn sie gut waren. Denn wenn du das bist, dann kommt etwas Selbstzerstörerisches dazu. Und ich wollte mich nicht so verlieren. Aber mein Vater litt eben an Depressionen, was damals nicht so bekannt war. Man hat nur gesehen, wie sehr er litt. Zudem nahm er viele Tabletten. Das alles muss von seinen Kriegserfahrungen gekommen sein, mit denen man sich damals nicht auseinandersetzte.
Und er hat nichts vom Krieg erzählt?
Gar nichts. Die Nachkriegsgeneration hat sehr geblockt. Erst nach seinem Tod habe ich verschiedenste Dinge von meiner Mutter erfahren. Man denkt, man kennt einen Menschen, aber das war nicht der Fall.
»Ich spüre eine Riesensolidarität unter den Zuschauern«
Sie sagten, Ihr Vater sei spirituell gewesen. Wie ist es um Ihre eigene Spiritualität bestellt?
Ich kann mir vorstellen, dass es eine universelle Macht und Ordnung gibt. Wenn du dich daran orientierst, weißt du, dass alles, was du an das Universum rausgibst, wieder zu dir zurückkommt.
In Ihrer Biografie steht auch, dass Sie sich während Ihrer kreativen Arbeit wie ein Medium fühlen. Woher kommt diese Kraft?
Die ist undefinierbar. Vielleicht bin ich mir in der Situation selbst sehr, sehr nahe. Aber gerade bei den großen Massen muss ich die Kontrolle behalten, dass da nichts passiert. Man hat ja auch eine Verantwortung, dass das alles friedlich über die Bühne geht. Man merkt natürlich auch, welche manipulative Macht damit verbunden ist. Das ist schon eine gefährliche Situation. Andererseits spüre ich eine Riesensolidarität unter den Zuschauern, die aus den unterschiedlichsten Altersgruppen und Schichten kommen. Ich frage mich, warum sich das nicht auf die ganze Gesellschaft übertragen lässt. Aber offenbar beschränkt sich dieses Gefühl nur auf das Konzert, und zwei Tage später geht alles wieder seinen gewohnten Gang.