Max Eisinger
Mut zur Freiheit
von Ilaria Heindrich
2. November 2023
Der junge Geiger und Komponist Max Eisinger gehört zu den vielfältigsten Musikern seiner Generation: Kaum ein Genre, das er noch nicht mit seinem ganz eigenen Charme erkundet hat. Seine Projekte zeichnet vor allem eines aus: Aufrichtigkeit – sich selbst und der Musik gegenüber.
Sie decken in Ihren Auftritten eine unglaublich große Bandbreite an Genres ab: Samba, Klezmer, Klassik, Jazz … Warum ist Ihnen diese Vielfalt so wichtig?
Diese Vielfalt ist nie aus einer Absicht heraus entstanden. Ich habe immer versucht, das zu nutzen, was mein Leben mir gerade vor die Füße geworfen hat und daraus meine Inspiration zu ziehen. In die Klassik bin ich quasi durch die traditionelle Geigenschule und den Unterricht automatisch reingewachsen – die klassische Musik kam zu mir, und ich habe mich dem gefügt und Freude daran gehabt. Auch der Weg zum Klezmer war keine bewusste Entscheidung – ich bin mit dieser Musik groß geworden, da mein Vater aus einer jüdischen Familie stammt und wir immer viel zusammen musiziert haben.
Zum Samba wiederum bin ich über meine Partnerin Diana Starnets gekommen, die professionell lateinamerikanischen Tanz betreibt. Wir haben ein gemeinsames Duo-Projekt, das Sologeige, Tanz, Klassik und lateinamerikanische Musik kombiniert: “Samba, ChaCha, Bach”. Davor hatte ich mit Tanz keine Berührungspunkte – außer Kurse im Gesellschaftstanz, die ich immer eher schlecht als recht abgeschlossen habe. (lacht)
Es ist also ein sehr persönlicher Zugang zu allem …
Ich versuche immer und bei allem, was ich tue, einen persönlichen Zugang zu finden. Ich würde mich nie als Latin-Musiker und auch nur bedingt als Klezmer-Musiker bezeichnen. Ich nehme mir Elemente aus all diesen Musikrichtungen, betrachte sie dann aber durch meine Augen und filtere sie durch meine Person. Eigentlich denke ich auch nicht in Genres … Wenn man mein Mozart-Violinkonzert hört, klingt es wahrscheinlich auch ein bisschen nach Jazz. (lacht)
Dieser persönliche Zugang gilt auch für Ihr neues Projekt …
Ja, gerade ist ein neues Soloprojekt in Entstehung, das sich sehr stark mit Klezmer auseinandersetzen wird – aber auch mit meinem eigenen Werdegang. Ich bin kürzlich 30 geworden und habe mich gefragt, wie ich zu dem Musiker geworden bin, der ich heute bin – und darum soll es in diesem Programm gehen. „Max Eisingers Tacheles” heißt das Programm. Es ist eine Art biografischer Reflektion meines musikalischen Werdegangs. Diesen Herbst kommt die erste Single, 2024 die erste kleine Tournee.
Sie spannen auch mit ihrem Ensemble, dem Feuerbach Quartett, immer wieder einen Bogen zwischen den verschiedenen Genres. Auf Ihrer letzten Platte sind Werke von Brahms, Britten und den Beatles zu hören. Wie kam es zu dieser Mischung?
Auch hier müsste man den Schuh eigentlich wieder umdrehen: Ursprünglich kommen wir alle aus der klassischen Kammermusik, dann wurden wir 2013 aber als Background-Streicher für eine Pop-Band gebucht. Wir hatten uns gerade frisch gegründet, waren noch mitten im Studium und haben durch diesen Auftritt gemerkt, dass uns auch die Popmusik Spaß macht. Also haben wir angefangen, unsere eigenen Arrangements für diese Band zu schreiben. Irgendwann haben wir dann diese Arrangements selbstständig auf die Bühne gebracht – ohne Band. Und so haben diese Songs für eine Weile Stück für Stück die Klassik verdrängt – die Nachfrage war einfach so groß.
Letztes Jahr haben wir dann aber gemerkt, dass uns ein weiteres Pop-Programm zu eintönig wird. Wir wollten die Klassik wieder integrieren, die Popmusik aber nicht ganz vernachlässigen. Also haben wir nach einem roten Faden gesucht, um die Genres miteinander zu kombinieren, und sind auf die Idee für das “Brahms Britten Beatles”-Album gekommen. Außerdem waren wir alle schon immer Beatles-Fans und hatten schon lange vor, ein Programm mit Musik dieser Band zu kreieren.
Haben Sie sich für diese Mischung aus Klassik und Pop auch entschieden, um die manchmal ja doch ein wenig „verstaubte“ Klassikwelt etwas aufzulockern?
Wir hatten nie die Absicht, etwas zu revolutionieren, aber wir versuchen immer, unsere Entscheidungen möglichst losgelöst von Konventionen zu treffen. Wir wollen nichts verändern, etwas anstoßen oder jemanden belehren. Uns ging es immer darum, uns selbst treu zu bleiben und das zu tun, was uns wichtig ist. Musik zu spielen, die wir selbst gerne hören, und keine Stückwahl aus rein wirtschaftlichen Interessen zu wählen, weil diese sich „besser verkauft“. Es geht darum, frei zu sein in seinen eigenen Entscheidungen.
Sie bewegen sich auf der Bühne sehr viel und gestalten ihre Konzerte immer sehr dynamisch. Würden Sie sich als Performer bezeichnen?
An dem Begriff Performer stört mich, dass er nach etwas Künstlichem, Einstudiertem klingt. Bewegung spielt bei mir auf der Bühne immer eine große Rolle. Das sieht man auch bei Auftritten mit dem Feuerbach Quartett … Aber die Bewegung ist niemals choreografiert oder einstudiert, sondern entsteht aus dem Moment heraus, ganz natürlich – ich kann gar nicht anders. Daher ist es mir auch so wichtig, auswendig zu spielen, um mehr Handlungsfreiheit zu haben.
Für Sie ist also Authentizität ganz entscheidend. Sind Sie so auch zur Improvisation gekommen?
Es gab einen Moment in meiner Jugend, der mich maßgeblich beeinflusst hat. Ich hatte während eines Mozartkonzerts mit dem Jugendorchester in München einen großen Aussetzer – einen Blackout. Ich war vielleicht fünfzehn Jahre alt – also genau die Zeit, in der man häufig anfängt, stärkere Nervosität zu verspüren. Das Orchester hat weitergespielt, der Dirigent hat mir meine Stimme vorgesummt, in der Hoffnung, dass ich wieder in das Stück reinfinde. Ich war so geschockt, dass es ewig gedauert hat, bis ich mich wieder erinnern konnte. Das war so ein furchtbarer Moment für mich, dass ich mir noch an dem Abend gesagt habe: „Ich will nie wieder in einer Situation sein, in der ich nicht weiß, was ich jetzt spielen kann.“ Und habe dann angefangen, über Playback-Aufnahmen von Orchestern ohne Solostimme meine eigene Stimme zu spielen. Ich habe also versucht, etwas zu spielen, was wie Mozart klang, aber meine eigene „Erfindung“ war. Ich wollte vorbereitet sein – alles ist besser, als noch mal da zu stehen und nicht zu wissen, wie man sich helfen kann.
Ist dieser authentische, freie Umgang mit der Musik auch in Ihrer Kindheit gefördert worden?
Ja! Meine Eltern haben mich immer dazu ermutigt, das zu spielen, was mir gefällt—schon allein, um mich bei Laune zu halten! Es wurde schon darauf geachtet, dass ich die “klassisch-konservative” Geigenschule durchziehe, um ein solides, technisches Fundament aufzubauen. Und das war auch gut so. Aber ich musste auch mehr, länger und regelmäßiger üben als ich wollte, was natürlich zu viel Streit geführt hat.
Dafür durfte ich aber ergänzend auch immer das spielen, worauf ich Lust hatte: Pop (ich meine, mich da grau an Robbie Williams und Eros Ramazotti zu erinnern), viel Klezmer und Jazz. Mein Vater hat mich dazu am Klavier und Akkordeon begleitet – wir haben zu Hause sogar zusammen ein Album aufgenommen! „Seven Up” hieß die, ich weiß aber auch nicht mehr, wie es zu dem Titel kam. Meinem Vater war immer wichtig, dass ich alles diszipliniert, sorgfältig und mit Hand und Fuß mache. Auch, wenn es „nur” Pop ist—und auch, wenn ich gerade partout keine Lust habe. Meine Mutter hat dann eher so etwas gesagt wie „Jetzt hast du doch so viel geübt, spiel doch einfach ein bisschen für dich, einfach zum Spaß, oder spiel‘ mir etwas vor“. Sie hatte immer ein gutes Gefühl dafür, was gesund ist für ein Kind. Tatsächlich habe ich auch von ihr viel von diesem Freiheitsgedanken übernommen: sich die Dinge so zurechtzulegen, dass sie für einen passen und man den Spaß nie verliert.
Sind Sie über die Improvisation auch zur Komposition gekommen?
Wenn man von den ganz frühen Versuchen ausgeht – soweit man diese Versuche Kompositionen nennen kann –, dann tatsächlich über meine stümperhaften Klavierkenntnisse. (lacht) Ich bin ein ganz schlechter Notenleser am Klavier, weil ich es lange rein autodidaktisch betrieben habe. Oft habe ich Stücke, die ich auf der Geige gespielt habe, einfach am Klavier ausprobiert. Dann hatte ich aber natürlich noch eine Hand frei und musste für die linke Hand etwas „dazudichten“. Was ich dann für die linke Hand gefunden habe, fand ich oft interessant, es hat dann aber häufig nicht mehr mit der rechten Hand zusammengepasst, und so musste ich also auch die Melodien verändern. Das waren meine ersten Kompositionserfahrungen als Teenager – als „Komposition“ würde ich das jetzt noch nicht bezeichnen (lacht).
Und wann sind Sie zur „ernsthaften Komposition“ gekommen?
Die Komposition konkret anzugehen und zu studieren, war eigentlich eine Reaktion auf die Coronakrise 2020. Ich war es schon immer gewöhnt, auf der Bühne zu stehen und live zu spielen. Diese Situation, nur zu üben und zu studieren, war für mich befremdlich, zu abstrakt. Irgendwann habe ich dann weniger geübt und mir dafür die Zeit zum Komponieren genommen – die hatte ich ja jetzt durch die fehlenden Liveauftritte. In meinen eigenen Stücken halte ich mir, um auf die vorherige Frage Bezug zu nehmen, übrigens immer einen Teil zur Improvisation frei – das ist mir sehr wichtig.
Um Sie mit einem Zitat zu entlassen: Gershwin hat einmal gesagt „Life is a lot like Jazz, it is better, when you improvise.“ Würden Sie dem zustimmen?
Die Frage, die man zunächst einmal beantworten müsste, ist doch die: „Was ist eigentlich Improvisation?“ Hängt die Improvisation mit dem Wort „to improve“ zusammen? Also mit der Idee, dass man etwas verbessert? Oder ist Improvisation nicht eher, dass man sich auf seine Erfahrungen beruft? Es gibt so unterschiedliche Deutungen dieses Wortes. Soll ich zum Beispiel etwas über ein Thema erzählen, in dem ich mich auskenne, darauf aber nicht vorbereitet bin, muss ich improvisieren. Hier bedeutet improvisieren also eher das freie, spontane Zurückgreifen auf schon vorhandene Kenntnisse.
Es gibt aber auch die Form von Improvisation, auf die man eigentlich eher ungern zurückgreifen muss … Wenn zum Beispiel beim Kochen ein Küchengerät kaputtgeht, dann muss man auch schnell eine Lösung für das Problem finden, damit das Essen fertig wird.
Versteht man Improvisieren aber als ein Grundgefühl von Freiheit, das auf dem Selbstbewusstsein beruht, dass man sich in einem bestimmten Bereich sehr gut auskennt und somit seiner Intuition frei folgen kann, bereichert sie das Leben. Man muss den Freiraum nutzen, den die Improvisation ermöglicht. Wenn wir uns darauf einigen könnten, diesen Freiraum zu nutzen und nicht zu versuchen, Erwartungen in Bereichen zu erfüllen, in denen wir nicht so große Kenntnisse besitzen, sondern das zu tun, was uns liegt, ja, dann macht die Improvisation das Leben auf jeden Fall besser! (lacht).
Weitere Infos zu Max Eisingers neuem Projekt »Tacheles« finden Sie hier: