Mizmorim Kammermusik Festival
Ich will mich nicht verstecken
13. Februar 2024
Die in Tel Aviv gebürtige Klarinettistin Michal Lewkowicz veranstaltet seit zehn Jahren ein Kammermusik Festival in Basel: Mizmorim verbindet jüdische Musik und westliche Kunstmusik und will Verständigung schaffen.
Was sagen, wenn Worte fehlen? Was singen, wenn alles verstummt? Wie Mut fassen, weiter zu leben, zu handeln, zu glauben? Diese Fragen sind universell, ist doch der Mensch in diese Spannung zwischen Glück und Leid gesetzt. Er findet Antwort vielleicht mit der Besinnung auf uralte Lieder, die Klage und Anklage Raum geben und zugleich zu einer Zuversicht führen, die eine veränderte Lage zumindest erahnen lässt. Selbst in der Tiefe gibt es leise Hoffnung. Die Psalmen, hebräisch „mizmorim“, sind beispielhaft für solche Texte, die das Fühlen enorm verdichten. Trauer, Wut und Ohnmacht, Liebe, Lust und Freude können adressiert werden – an den Höchsten, den Ewigen, an Gott.
Seit 2015 schon trägt ein Kammermusik-Festival in Basel die Psalmen im Namen: „Mizmorim“ ermöglicht seit zehn Jahren schon die Begegnung von jüdischer Musik und westlicher Kunstmusik und machte nun, zum runden Geburtstag, den Psalter selbst zum Thema. Die „tehillîm“, die kanonisierte Sammlung der 150 biblischen Gebete, wurde Ende Januar in einem Diskurs von Konzerten, Vorträgen und Museumsführungen erkundet. Dabei spannte sich musikalisch ein weiter Bogen von Psalmvertonungen aus dem frühen Mittelalter bis in die Gegenwart. Dass dieses Festival unvermittelt unter dem tragischen Vorzeichen des terroristischen Überfalls der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und seinen Folgen stand, unterstrich die grundsätzliche Bedeutung und Sinnhaftigkeit dieses Angebots, das auf Verständigung zielt, auf Akzeptanz, auf ein Miteinander, das sich aus der Sehnsucht nach Frieden nährt.
Gegründet hat das Mizmorim Kammermusik Festival die aus Tel Aviv stammende Klarinettistin Michal Lewkowicz. Als künstlerischer Leiterin ist es ihr gelungen, über die Jahre ein tragfähiges Netz aus Musikschaffenden und Musikbegeisterten zu weben. Ein Dank dafür ist der große Zuspruch eines Publikums, das sich beschenken und fordern lässt – mehr als einmal waren die Konzerte der 2024er Edition ausverkauft, vielfach nachgefragt sind bereits jetzt die des nächsten Jahres. Im Interview spricht Michal Lewkowicz über die Anfänge und Konzeption des Festivals, über ihren eigenen Anspruch und ihre jüdische Identität.
»Es brauchte sicher Mut und Selbstvertrauen und eine Idee. Das hatte ich.«
Das Mizmorim Kammermusik Festival hat sich binnen zehn Jahren in Basel etabliert. Was eigentlich brauchte es, um diese Reihe zu initiieren?
Michal Lewkowicz: Es brauchte sicher Mut und Selbstvertrauen und eine Idee. Das hatte ich. Und doch war es Zufall. Ich war zu einer Probe in Basel und zu früh. Ich bin dann durch die Stadt gelaufen und habe darüber gestaunt, wie viel Kultur es hier gibt. Sehr schnell wurde mir klar, dass Basel meine Stadt sein könnte. Wo ich lebe, arbeite und lerne, wo ich ein Festival mit jüdischer Kammermusik veranstalten könnte – im Dreiländereck, mit der Israel-Connection, also der Bedeutung der Stadt für die zionistische Bewegung, mit einer Israelitischen Gemeinde … Ich habe dann eine E‑Mail an Guy Rueff, den Gemeindepräsidenten, geschrieben und konnte ihn tatsächlich gewinnen. Und bald war klar: Das machen wir. Zunächst hatte ich das Festival nicht langfristig geplant. Es gab das erste Jahr, dann das zweite, und so hat es sich aufgebaut. Es heißt ja, es braucht in der Regel drei bis fünf Jahre, um zu sehen, ob ein Festival einen Platz im Kulturleben hat. In Basel hatte und hat es seinen Platz; es wurde jedes Jahr ein bisschen größer.
Auch Jahr für Jahr professioneller?
Ja, wir haben inzwischen ein großes Know-how und arbeiten in einem Team. Am Anfang habe ich alles selbst übernommen, inzwischen aber vieles abgegeben. Für die Produktion zum Beispiel bin ich nicht mehr zuständig. Das macht mich frei, immer neue Ideen zu entwickeln – für uns alle. Das Jubiläumsfestival haben wir zwei Jahre lang geplant. Für ein reguläres Festival brauchen wir anderthalb Jahre. Das ist ein Fulltime-Job.
Nehmen Sie sich deshalb als Klarinettistin sehr stark zurück?
Ja, ich konzentriere mich. Im Herzen bin ich Musikerin, auf jeden Fall. Aber ich kann und will nicht alles gleichzeitig tun. 15 Jahre, bis zur Pandemie, war ich als Klarinettistin unterwegs und habe viel erreicht. Aber jetzt ist mein Schwerpunkt das Festival. Dort will ich das Beste präsentieren, das jeweils interessanteste Programm. Alles muss stimmen. Ich möchte toptopfit sein. Das ist mein Perfektionismus. Deshalb kann ich nicht mehr so oft auf die Bühne gehen. Mein Kopf muss frei sein.
»Ich wollte etwas auf die Beine stellen, das meine Identität zeigt und jüdische Kultur mitten in Europa sichtbar macht.«
Können Sie sich irgendwann zufriedengeben?
Doch, doch. Sobald etwa gesegnet ist, ist es gesegnet. Natürlich bleibt immer ein bisschen Unzufriedenheit. Nur drei Prozent der Werkauswahl schafft es ins Festival, es bleibt ein Riesenstapel liegen. Aber zum Glück weiß das Publikum nicht, was es alles verpasst.
Nur das Beste – diesen Anspruch hatten Sie auch, was Ihren Weg als Klarinettistin anging …
Ja. Als ich 16 war, habe ich meinen zukünftigen Lehrer kennengelernt, den israelischen Klarinettisten Chen Halevi. Mir war klar, dass ich professionelle Musikerin nur werden kann, wenn ich bei ihm studiere. Denn es ging mir nicht allein um Musik, sondern auch um Identität und all diese Fragen. Ich konnte an der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen studieren, habe meine Abschlüsse gemacht und an einem Austauschprogramm in New York teilgenommen. Und dann habe ich ein Stipendium gewonnen: im Banff Centre for Arts and Creativity, mitten in den kanadischen Rocky Mountains. Aus Hunderten Bewerbungen wählt man dort stets nur ein gutes Dutzend Künstlerinnen und Künstler aus. Ich habe in dieser inspirierenden Atmosphäre meinen „turning point“ erlebt. Ich wusste plötzlich, dass es mir nicht reicht, Klarinettistin zu sein, dass ich etwas Eigenes produzieren wollte. Dieses Erforschen eines „Sei, wer du bist“ hat mir den Mut gegeben, meinem Leben eine veränderte Richtung zu geben. Ich wollte etwas auf die Beine stellen, das meine Identität zeigt und jüdische Kultur mitten in Europa sichtbar macht.
Das tun Sie nun seit zehn Jahren. Und dann kam der 7. Oktober …
Ja. Selbst nach all den Wochen ist für mich bis heute noch der 7. Oktober. Dieses permanente Bauchweh ist immer noch da. Es scheint, als habe sich die Welt irgendwie an die Situation gewöhnt. Aber ich kann und will mich nicht daran gewöhnen. Ich will mich damit beschäftigen, was es heißt, als Jüdin in einer Welt zu leben, die in größerem Ausmaß antisemitisch ist. Man wusste ja, dass es Antisemitismus gibt, da müssen wir einfach ehrlich sein. Aber dass es von 1 auf 100 so schnell geht, dass ich Angst habe, mich als Jüdin zu zeigen, hätte ich nicht gedacht. Offensichtlich war die Aufklärung über Antisemitismus nicht erfolgreich. Vermittelt werden konnte auch nicht, was die Parole „From the River to the Sea“ letztendlich für Konsequenzen hätte. Als ich am 7. Oktober aufgestanden bin und von dieser Terror-Attacke hörte, habe ich als Erstes meine Halskette mit dem Davidstern angezogen. Das mache ich eigentlich nie. Es war ein Reflex, ich habe gar nicht darüber nachgedacht. Aber ich wollte zeigen, dass ich Jüdin bin – und der Davidstern war eine Möglichkeit. Ich will mich nicht verstecken. Es gab einen Moment, da haben wir überlegt, ob wir das Festival absagen sollen. Oder ob ich, wenn wir es stattfinden ließen, Bodyguards haben müsste. Aber das wollte ich nicht. Sollte es so weit kommen, dann kann ich solch ein Festival nicht mehr veranstalten. Um jeden Preis bleibe ich nicht in Europa. Wirklich nicht. Ich werde nicht warten, bis es zu spät ist.
»Israel ist Heimat. Da darf ich sein, wie ich bin.«
Aber das Leben in Israel ist doch auch nicht sicher …
Israel ist aber Heimat. Da darf ich sein, wie ich bin. Ich bin gewöhnt an die Mentalität dort. Wenn ich nicht hierbleiben kann, dann gehe ich nach Israel. Das ist ein Land für die Juden. Es gibt keinen anderen Ort. Meine Großeltern kamen nach dem Zweiten Weltkrieg nach Israel. Meine Oma ist schon vorher aus Polen geflohen, mit 14 Jahren. Sie war Pionierin. Auch mein Großvater kam aus Polen. Er hatte es vielleicht am schwersten, wenn man das so sagen kann. Er war nicht einmal im Ghetto, sondern hat im KZ begonnen. Er war in 14 verschiedenen Konzentrationslagern. Das ist ein wesentlicher Teil unserer Familiengeschichte. Mein Großvater hat immer darüber gesprochen. Er hat auch Tagebücher geschrieben. Der Holocaust, die Shoa – das war immer ein großes Thema. Als ich dann nach Deutschland ging, um bei Chen Halevi zu studieren, musste ich mich durchaus rechtfertigen. Aber mein Großvater hat mich verstanden, er hat diesen Weg gesegnet.
Zu Mizmorim gehörte von Anfang an auch ein Angebot für Kinder. Warum?
Das ist meine Leidenschaft. Für mich sind die Konzerte in meiner Kindheit mit den besten Erinnerungen verbunden. Das war magisch. Solche Erlebnisse möchte ich den Kindern ermöglichen. Musik pur. Die Kinder machen immer mit, sie sind fasziniert. Die Kinderkonzerte sind fast immer am schnellsten ausverkauft. Es lohnt sich, in diese Generation zu investieren. Sie ist unsere Zukunft.
Die Klarinettistin, Gründerin und künstlerische Leiterin des Mizmorim Kammermusik Festivals Michal Lewkowicz wurde in Israel geboren. Sie studierte zunächst an der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen, setzte ihre Ausbildung dann an der Musik-Akademie Basel und der Schola Cantorum Basel fort. Zusätzlich studierte sie Musikwissenschaft und Jüdische Studien an der Universität Basel. Als Klarinettistin hat sie unter international renommierten Dirigenten wie Philippe Herreweghe, Rene Jacobs, Giovanni Antonini und Hervé Niquet gespielt und ist mit diversen Orchestern aufgetreten wie dem Kammerorchester Basel, dem Orchestre des Champs-Élysées oder dem Tel-Aviv Soloists Ensemble. 2016 erhielt sie den Omanut-Zwillenberg-Förderpreis, auch für ihr Engagement, jüdischer Musik aus allen Epochen ihren berechtigten Stellenwert im Repertoire zu gewährleisten.
Das Mizmorim Kammermusik Festival findet im Jahr 2025 vom 29.Januar bis 2.Februar statt.
Infos unter www.mizmorim.com