Monika Grütters

Vom Kern des Mensch­seins

von CRESCENDO Redaktion

18. Dezember 2019

Staatsministerin für Kultur und Medien, Professorin, Literatur- und Kunsthistorikerin – Doch Monika Grütters ist auch Musikliebhaberin, und eine besondere Rolle spielt Beethoven.

CRESCENDO: Sehr geehrte Frau Staats­mi­nis­terin Professor Grüt­ters, was bezie­hungs­weise wie war Ihr „erstes Mal“ mit Beet­hoven?

: Gerne würde ich „unver­gess­lich“ sagen, aber wann ich Beet­ho­vens Musik tatsäch­lich zum ersten Mal begegnet bin, weiß ich nicht mehr genau. Natür­lich kannte ich schon als Kind den Schluss­chor aus der Neunten Sinfonie und die Mond­schein­so­nate. Kinder nehmen ja in der Musik vor allem Dinge auf, die sie mit Bildern verbinden können. So wie „das Schicksal, das an die Pforte klopft“…

Es heißt, Sie seien in einem musi­ka­li­schen Umfeld groß geworden. Hat Beet­hoven da schon eine heraus­ra­gende Rolle gespielt?

Wir haben zu Hause viel klas­si­sche Musik gehört, die Sonn­tage meiner Kind­heit und Jugend zu Hause waren von Musik durch­webt, die mein Vater schon zum Früh­stück auflegte.

Wie modern empfinden Sie den Kompo­nisten, und wo ist diese Moder­nität zu finden?

Beet­hoven hat als Utopist und Huma­nist heute nichts an Aktua­lität verloren. Auch rein musi­ka­lisch gesehen bleibt er modern, zum Beispiel in den drama­tur­gisch bewusst einge­setzten Disso­nanzen oder in der magi­schen Wirkung repe­ti­tiver Passagen, die als Vorbilder gelten dürfen für Werke späterer Kompo­nisten wie Bruckner und Stra­winsky. Man muss ja immer mitdenken, dass Beet­hoven ab dem Alter von 32 Jahren immer schwerer hören konnte, was er kompo­niert hat. Die Musik fand bis zu seiner völligen Ertau­bung zuneh­mend nur noch in seinem Kopf statt – was für eine unge­heure Fanta­sie­leis­tung!

Monika Grütters

»Der 250. Geburtstag Ludwig van Beet­ho­vens ist ein inter­na­tio­nales Ereignis.«

Sie haben sich im Vorfeld des Beet­hoven-Jahres sicher mehr mit Beet­hoven beschäf­tigt als vorher. Hat sich Ihr Blick auf den Kompo­nisten verän­dert?

Nicht verän­dert, eher weiter diffe­ren­ziert. Je mehr ich mich mit Beet­ho­vens Musik beschäf­tige, desto inter­es­santer wird sie für mich, desto mehr bewegt und begleitet sie mich.

Sie haben über die 27 Millionen weitere sechs Millionen Euro für Veran­stal­tungen in Bonn und deutsch­land­weit ermög­licht.

Beet­hoven ist nicht nur der meist­ge­spielte Kompo­nist der Welt, sondern er ist einer der wich­tigsten Botschafter deut­scher Kultur. Seine Musik faszi­niert die Menschen überall. Der 250. Geburtstag Ludwig van Beet­ho­vens ist ein Ereignis von nicht nur natio­naler, sondern inter­na­tio­naler Bedeu­tung. Die Bundes­re­gie­rung und der Deut­sche Bundestag waren sich immer darüber einig, dass wir dieses Jubi­läum ange­messen fördern werden. Das wurde auch so schon im Koali­ti­ons­ver­trag fest­ge­halten. Das viel­sei­tige und hoch­ka­rä­tige Programm der Jubi­lä­ums­feier hat große Strahl­kraft und wird Besu­cher aus aller Welt anlo­cken.

Welche Projekte liegen Ihnen beson­ders am Herzen?

Ich mag die Idee, das Jubi­läum mit Haus­kon­zerten überall in Deutsch­land zu beginnen. Damit wird deut­lich: Beet­hoven ist Teil unseres Alltags. Seine Musik findet nicht nur in den großen Konzert­sälen statt, sondern auch bei den Menschen zu Hause. Oder das Pastoral Projekt, das auf die Sechste Sinfonie Bezug nimmt: Das ist glei­cher­maßen aktuell wie viel­ver­spre­chend, denn es zeigt, dass wir unser kultu­relles Erbe nur bewahren können, wenn wir unsere Natur und Umwelt schützen.

Monika Grütters

»Beet­hoven war Bonner und Welt­bürger, Huma­nist und Natur­freund, Künstler und Visionär.«

Wie wichtig ist Ihnen die inter­dis­zi­pli­näre Heran­ge­hens­weise an Beet­hoven?

Ludwig van Beet­hoven war Bonner und Welt­bürger, Huma­nist und Natur­freund, Künstler und Visionär. Ich finde es sehr span­nend, die verschie­denen Facetten seines Wirkens zu zeigen. Dieser inter­dis­zi­pli­näre Blick ist zeit­gemäß und hilft uns, immer wieder Neues in dieser großen, zeit­losen Kunst zu erfahren.

Welcher Fokus ist Ihnen inner­halb des Beet­hoven-Jahres am wich­tigsten?

Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, Beet­hoven möglichst vielen Menschen – und hier vor allem jungen Leuten – nahe­zu­bringen. Denn Beet­hoven betrifft unser Mensch­sein im Kern: unsere Huma­nität, unsere Fähig­keit zu Freude und Trauer, unsere Empa­thie, unsere Verant­wor­tung zur Bewah­rung der Schöp­fung.

Sie spre­chen von einem neuen Blick auf den Kompo­nisten, den die Veran­stal­tungen haben bezie­hungs­weise heraus­for­dern sollen. Setzen Sie beim Bürger Beet­hoven an oder beim Musiker? Beim musi­zie­renden und kompo­nie­renden Bürger?

Das eine lässt sich nicht vom anderen trennen. Beet­hoven war einer der ersten bürger­li­chen Kompo­nisten, die sich selbst­be­wusst aus feudalen Abhän­gig­keiten gelöst haben. Er hat für die Mitmen­schen seiner Zeit kompo­niert. Obwohl seine Taub­heit ihn als Musiker einge­schränkt hat, war er schon zu Lebzeiten sehr erfolg­reich. Bei seiner Beer­di­gung folgten schließ­lich 20.000 Bürger seinem Sarg. Seitdem ist seine Musik aus den Konzert­sälen nicht mehr wegzu­denken. Er war so gesehen einer der wich­tigsten Kata­ly­sa­toren für die Etablie­rung des bürger­li­chen Konzert­le­bens, so wie wir es heute kennen.

Monika Grütters

»Beet­hoven lässt uns nicht mit Schmerz und Trauer allein.«

War Beet­hoven für Sie ein Visionär?

Ja, denn er hat an den Sieg des Huma­nismus geglaubt. Das spürt man ganz beson­ders im Fidelio sowie in seiner Fünften und Neunten Sinfonie, in der er die Hörer von der „Nacht zum Licht“ führt. Selbst in den Momenten größter Verzweif­lung gibt es bei ihm Hoff­nung. Beet­hoven lässt uns nicht mit Schmerz und Trauer allein, sondern er gibt uns Kraft und Zuver­sicht. Wir brau­chen seine Musik!

Beet­hoven gilt als Kompo­nist, der erst in reifen Jahren verstanden wird. Glauben Sie das? Und falls ja, kann man dann Beet­hoven der Jugend über­haupt nahe­bringen?

Kaum ein anderer Kompo­nist spricht die Menschen so direkt an wie Beet­hoven – egal, wie alt sie sind. Ich habe es im Konzert schon häufig beob­achten können, wie sehr sich gerade junge Menschen für Beet­hoven begeis­tern. Denken Sie nur an die Neunte Sinfonie oder an die Pasto­rale, die ja häufig auch in Kinder­kon­zerten gespielt wird.

Ihr Lieb­lings­werk von Beet­hoven? Viel­leicht auch Ihre persön­liche Refe­renz­auf­nahme?

Eine der mich berüh­rendsten Kompo­si­tionen ist das Quar­tett aus der Oper Fidelio, diese Stei­ge­rung von einer gera­dezu kammer­mu­si­ka­li­schen Passage über ein einfa­ches Lied bis zum gran­diosen poly­fonen Ensemble – Wahn­sinn! Das muss man live hören, daher möchte ich keine Refe­renz­auf­nahme nennen.

Macht die Neunte immer noch Gänse­haut?

Und wie! Vor allem, wenn sie so zu hören ist wie beim Antritts­kon­zert von Kirill Petrenko mit den Berliner Phil­har­mo­ni­kern im September 2019.

Hätten Sie morgen ein Inter­view mit Beet­hoven – was würden Sie ihn fragen?

Wahr­schein­lich würde ich vor Dank­bar­keit und Bewun­de­rung eher verstummen.

Monika Grütters

»Beet­ho­vens Musik bewegt Menschen auf der ganzen Welt.«

Wären Sie gern mit Beet­hoven befreundet gewesen?

Wenn ich eine Zeit­ma­schine hätte, würde ich gerne ins 19. Jahr­hun­dert reisen, um dort nicht nur Beet­hoven zu treffen, sondern auch seine Zeit­ge­nossen Goethe, Schiller und Jean Paul.

Beet­hoven ist kein bequemer Kompo­nist. Wie erklären Sie sich den Erfolg seiner Musik?

Zu seiner Zeit war seine Musik ja gera­dezu uner­hört modern, ja, revo­lu­tionär im besten Sinne. Das, was bis heute als „Unbe­quemes“ geblieben ist, ist es ja gerade, was uns nach wie vor aufmerken lässt, wenn seine Musik erklingt. Sie ist eben nicht „ange­passt“, sondern sie weckt uns auf. Seine Musik hat eine univer­selle Kraft, sie hat eine völker­ver­bin­dende Wirkung und bewegt Menschen auf der ganzen Welt. Denn da ist etwas in seiner Musik, das uns alle anspricht: das Utopi­sche, die Hoff­nung, die Menschen­freund­lich­keit. Und natür­lich erklärt sich der große Erfolg auch aus der Qualität seiner Musik, ihrem Ideen­reichtum, ihrer Viel­sei­tig­keit und der Inspi­ra­tion, die sie bis heute auslöst.

Was wünschen Sie sich für das Ende des Jubi­lä­ums­jahres?

Dass wir Beet­hoven und seine Musik durch neue Erkennt­nisse und bewe­gende Auffüh­rungen noch besser kennen­ge­lernt haben.

Fotos: Bundesregierung / Kugler