Woher kommt eigentlich...

Muse = Frau und Genie = Mann?

von Stefan Sell

6. März 2017

In der Regel sind Musen weiblich. Musen treten gern in der Mehrzahl auf, Genies lieber in der Einzahl. Ein Genie ist eigentlich immer männlicher Natur. Ausnahmen bestätigen die Regel. Woher das kommt?

Die Droste – sie hatte eine männ­liche Muse. Sie werden fragen: die Droste? Annette von Droste-Hüls­hoff? War sie nicht Dich­terin? Ja, war sie, aber sie war auch Musi­kerin und Kompo­nistin. Dass Mann das nicht weiß, liegt eben auch daran, dass die Droste eine Frau war. Wäre sie „der Droste“ gewesen, hätte man mehr vernommen von ihren 70 Liedern und vier Opern­pro­jekten. Sie hatte es schwer, weil von ihr erwar­tetet wurde, die zurück­hal­tende Rolle einer adeligen Frau im 19. Jahr­hun­dert zu spielen. Unter­stüt­zung bekam sie vom 17 Jahre jüngeren Schrift­steller Levin Schü­king. Er war ihr nicht nur Muse, Lieb­haber und lite­ra­ri­scher Freund, sondern auch ihr erster Biograf, der viel für die Verbrei­tung und Wert­schät­zung ihrer Arbeit getan hat.

Ihr Vater war ein profi­lierter Violi­nist, und die Kompo­si­ti­ons­lehr­bü­cher ihres Onkels vermit­telten ihr die Technik der Kunst, eigene Musik zu schreiben. Die daraus entstan­denen Werke wurden erst nach ihrem Tode bekannt.

„Das Weib steht doch höher als die Künst­lerin“

Auch schätzte ihre Gedichte, eines, das Hirten­feuer, hat er vertont. Für seine einzige Oper schwebte ihm ursprüng­lich Annette von Droste-Hüls­hoff als Libret­tistin vor. Er fragte beim Postamt nach ihrer Anschrift und beauf­tragte seine Frau Clara, ihr einen Brief mit seinem Wunsch zu schi­cken. Der Droste war aller­dings nur der Name der virtuosen Pianistin Clara ein Begriff, vom Kompo­nisten Robert hatte sie nie etwas gehört. Sie lehnte ab.

, eigent­lich Clara Wieck, oblag dem Schicksal, mehr Muse als Genie sein zu dürfen. Schon mit neun Jahren galt sie als Wunder­kind, erneu­erte das Klavier­spiel, wurde zum gefei­erten Tasten­star und spielte in ganz Europa vor vollen Häusern. In ihrem Publikum saßen Genies wie Liszt und Paga­nini und hörten ihr zu. Ihr eigenes Werk spie­gelt, wie gut sie als Kompo­nistin war. Gegen­über Robert war sie zunächst die erfolg­rei­chere und viel verspre­chen­dere. Es heißt, Robert hätte seine Frau anfangs auf ihren Tour­neen begleitet, dabei sei er gefragt worden: „Und Sie? Was machen Sie? Machen Sie auch etwas mit Musik?“ Seine Miss­gunst brachte er 1839 in einem Brief auf den Punkt: „Das Weib steht doch höher als die Künst­lerin und erreich ich nur das, dass Du gar nichts mehr in der Oeffent­lich­keit zu hättest, so wäre mein innigster Wunsch erreicht“. Er war es, der sein Genie zu entfalten hatte. So prunkt sein Grab in in monu­men­talem Marmor, und davor sitzt für die Ewig­keit in Stein gemei­ßelt, ehrfürchtig wie bewun­dernd nach oben schauend – Clara, seine Muse.

„Ich war seine Muse, und er war mein Muse­rich“

Ihr Vater hatte immer darauf gedrängt, dass sie sich ausschließ­lich ihrem Talent widmete. Fried­rich Wieck war Musik­päd­agoge, hatte alles für ihre Ausbil­dung in Spiel und Kompo­si­tion getan und war strikt dagegen, dass seine Tochter sich mit seinem Schüler Robert Schu­mann liieren wollte.

Anders der Vater von , Schwester von Felix Mendels­sohn, er ließ seine Tochter bereits mit 14 Jahren wissen: „Die Musik wird für Felix viel­leicht zum Beruf, während sie für Dich stets nur Zierde, niemals Grund­bass Deines Seins und Tuns werden kann und soll …“ Dennoch hat sie nahezu 400 Werke geschaffen.

Die Geschichte von Muse und Genie ist eine Geschichte von Frau und Mann. Beispiele gibt es viele. Der geniale Bach hatte neun Töchter und elf Söhne. Der geneigte Leser gebe einfach mal „Bachs Söhne“ in eine Such­ma­schine und wieder­hole den Vorgang mit „Bachs Töchter“. Bach selbst erwähnte: „Insge­samt sind sie gebo­rene Musici u. kan versi­chern, dass schon eine Concert Voca­liter wie Instru­men­ta­liter mit meiner Familie form­iren kann, zumahln meine itzige Frau gar einen sauberen Soprano singet, auch meine älteste Tochter nicht schlimm einschlägt.“ Das war in Bachs Worten schon ein außer­ge­wöhn­li­ches Lob. Catha­rina Doro­thea Bach, seine älteste Tochter, muss also durchaus begabt gewesen sein.

Die Zeiten ändern sich. Perspek­tiven öffnen sich für Part­ner­schaften auf Ohr- und Augen­höhe. Eine solche, so scheint es, hat die Künst­lerin Mary Bauer­meister mit dem Kompo­nisten gelebt. Rück­wir­kend sagt Bauer­meister: „Ich war seine Muse, und er war mein Muse­rich.“

Fotos: Leland Bobbé