Oper mit Flüchtlingen
Von Instrumentalisierung, Politisierung und Integration
von Maria Goeth
2. September 2017
Sie waren Pioniere in Sachen „Oper mit Flüchtlingen“: Seit mehreren Jahre begleitet unsere Autorin die Projekte des Vereins Zuflucht Kultur e.V. – und ist immer wieder sprachlos über die Reaktionen, die dessen Projekte hervorrufen.
Sie waren Pioniere in Sachen „Oper mit Flüchtlingen“: Seit mehreren Jahre begleitet unsere Autorin die Projekte des Vereins Zuflucht Kultur e.V. – und ist immer wieder sprachlos über die Reaktionen, die dessen Projekte hervorrufen.
2014 hat alles angefangen. Damals krähte noch kein Hahn nach dem Thema „Flüchtlinge“. Das erste Projekt mit Produzentin und Opernsängerin Cornelia Lanz, aus dem später der Verein Zuflucht Kultur e.V. hervorgehen sollte, war eine Produktion von Mozarts „Così fan tutte“. Eigentlich als Projekt mit einem zusammengewürfelten Ensemble aus jungen Opernsängern mit viel Leidenschaft und wenig Budget gedacht, hatte der Regisseur die Idee, die Oper inszenatorisch im Flüchtlingskontext anzusiedeln. Man war ohnehin noch auf der Suche nach einem adäquaten Probenraum und – schwupps! – kam der Gedanke, doch einfach ein paar „echte“ Flüchtlinge dazu einzuladen… Man landete in einem oberschwäbischen Kloster, dass zur Erstaufnahme-Einrichtung umfunktioniert worden war und in dem die Bewohner einfach mal hineinschnuppern konnten in das, was im großen Saal geschah. Mit viel Enthusiasmus, gnadenloser Naivität und großer Offenheit stolperte man also in das erste Projekt seiner Art, nichts ahnend von der bis heute andauernde Kettenreaktion, die das auslösen würde…
Flüchtlingsprojekte als PR-Masche?
Die ersten Proben verliefen unaufgeregt und ohne große mediale Beachtung. Eine erwartbare erste Serie von kulturellen Missverständnissen konnte mit beiderseiter Geduld und viel Humor aufgedeckt werden. Da war eine erstaunliche Offenheit der Geflüchteten gegenüber dem Thema „Oper“, denn für die meisten der Syrer, Afghanen, Iraner, Iraker, Nigerianer und Menschen anderer Herkunft war diese Art von Musik so neu, dass sie ihr völlig vorbehaltslos begegneten. Viel vorbehaltsloser, als manch ein Europäer. Als dann jemand durch falsches Googeln das Gerücht verbreitete, bei „Così fan tutte“ handle es sich um einen Porno, blieben die Flüchtlinge plötzlich den Proben fern – Klärung kam glücklicherweise rasch. Die unterschiedlichen Auffassungen von Pünktlichkeit wurden zunächst mittels divergierender Probenpläne abgefangen, Probenzeiten verlängert, um einzukalkulieren, dass alle Ansagen viersprachig gemacht werden mussten (in Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi) und die (auch bei Europäern) üblichen Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit von Profis und Laien erfahrungsreich überbrückt. Fragen nach der Stellung der Frau stellten sich schlichtweg wenig, da es sich beim überwiegenden Teil der Bewohner um junge Männer zwischen 20 und 30 handelte, mit all den Stärken und Schwächen, die testosterongeflutete, junge Männer auch hierzulande haben: unbändige Energie, kraftstrotzende (Bühnen-)Präsenz, aber auch eine gehörige Portion Unzuverlässigkeit und viel Unfug im Kopf.
Und dann kam kurz vor der Première die große „Willkommens-Kultur“. Menschen schwenkten Blumen an den Bahnhöfen, Euphorie machte sich breit, die Berichterstattung explodierte. Plötzlich surfte die kleine, feine, aber sonst bestimmt wie fast alle freien Opernprojekte beharrlich medienignorierte Produktion auf der Stimmungswelle oben auf – und wurde regelrecht überrumpelt: die FAZ kam ebenso wie die Süddeutsche, der Spiegel, der Focus, und dann das Fernsehen von RTL bis Al Jazeera. Für ihren Auftritt mit dem Flüchtlingschor „Zuflucht“ im Rahmen der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ wurde 2015 der Grimme-Preis verliehen.
Und mit den Medien kamen die Neider. Und die Auch-was-vom-Kuchen-abhaben-woller. Man ätzte, Lanz habe sich nur Flüchtlinge in die Produktion geholt, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Wie mündig ist ein Traumatisierter?
Und die Kümmerer. Die, die besser zu wissen glaubten, was einem Geflüchteten gut tut, als der Geflüchtete selbst, bis zu bizarrer sozialpädagogischer Entmündigung. Da war Lanz beispielsweise an einem „Titanic“-Projekt mit Schriftstellerlegende Hans Magnus Enzensberger beteiligt, für das eine Mitwirkung der Geflüchteten gar nicht vorgesehen war. Als diese vom Projekt erfuhren – zu 80% übers Meer Geflohene – sagten ein junger Syrer: „Wenn sich jemand mit Schiffbruch auskennt, dann ja wohl wir! Ich bin 45 Minuten im Mittelmeer geschwommen, konnte nur überleben, weil ein Freund von mir Schwimmlehrer ist und mich und ein kleines Mädchen über Wasser hielt. Lass uns mitmachen“. Doch von außen immer wieder krude Attacken: „Wie könnt ihr die Geflüchteten das noch einmal durchleben lassen? Man kann doch nicht ankommen, und einfach so Oper mit den Geflüchteten machen. Das muss über Monate vorbereitet werden, mit therapeutischer Begleitung und zahlreichen Gesprächsrunden“.
Ja, das Leben brach tatsächlich immer wieder in die Produktionen ein (auf „Così fan tutte“ folgten mit „Zaide“ und „Idomeneo“ zwei weitere Mozartopern), als etwa zwei Tage vor der „Zaide“-Première der Vater einer der drei Protagonistinnen in der Heimat erschossen wurde und diese sich nicht in der Lage sah, zu spielen, als während der Proben immer wieder Todesnachrichten eintrafen, Asylgesuche abgelehnt wurden oder Verwandte vom IS eingeschlossen und tagelang verschollen waren. Doch sollte man einem Geflüchteten verbieten, sich an einem Projekt zu beteiligen, selbst wenn er es selbst möchte? Sollte man Menschen in Watte packen, die mündig und stark Kriege durchlebt und erbarmungslose Fluchten auf sich genommen haben?
Kann Oper mit Flüchtlingen unpolitisch sein?
Und plötzlich musste man aufpassen, dass eine der vielen Gastspieleinladungen nicht eine Wahlveranstaltung oder Parteiversammlung war. Plötzlich war neben dem Vorwurf, selbst zu instrumentalisieren, auch die Gefahr da, für politische Zwecke instrumentalisiert zu werden. Jeder wollte sich mit den Projekten schmücken. Dabei wollte man ja genau das nicht: politisch sein. Man wollte durch Musik bunt und ohne Grenzen Menschen einen: Laien und Profis, Europäer und Außereuropäer, Geflüchtete und Nicht-Geflüchtete, Menschen aller Religionen, Ideologien und Geschlechter.
Zwei-Klassen-Integration
Bis heute liegt es nicht an den Beteiligten, sondern an Bundesgesetzgebung und anderen Faktoren, dass dies nicht vollständig gelingen kann. Gerade war Zuflucht Kultur mit „Idomeneo“ beim renommierten Lucerne Festival eingeladen. In dieser Produktion haben die Geflüchteten allesamt große Rollen mit langen Monologen und umfangreichen Bewegungschoreographien. In die Schweiz reisen durften allerdings nur die Syrer, nicht jedoch die Geflüchteten anderer Nationen.
Die Stellungnahme dazu im Auftrag des Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann, übrigens Schirmherr der vorherigen Produktion, lobt Lanz in einem Brief blumig: „Mit Ihrem Projekt zeigen Sie in eindrucksvoller Weise die integrative Kraft der Kunst auf. Sie geben Geflüchteten im wahrsten Sinne des Wortes eine Stimme und tragen so dazu bei, Berührungsängste ab- und Verständnis aufzubauen.“ Es folgen zwei DIN4-Seiten paragraphenstrotzende Tiraden, bevor zum Ergebnis gekommen wird, dass leider hier keine Ausnahme gemacht werden kann: Syrer dürfen zum Auftritt ausreisen, geduldete Geflüchtete anderer Nationen jedoch nicht. Höhnische Schlusspointe: „Auch wenn der von Ihnen geplante Auftritt beim Lucerne Festival nun aus rechtlichen Gründen wohl nicht wird stattfinden können, hoffe ich, dass dies Ihrem weiteren Engagement keinen Abbruch tut. Denn die Integration der vielen Menschen, die in den letzten Jahren in unser Land gekommen sind, um hier Schutz vor Krieg und Verfolgung zu finden, ist für die Zukunft unserer Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. Initiativen wie die Ihre können hierzu einen großen Beitrag leisten.“ Natürlich fand der Auftritt dennoch statt – nicht etwa, weil sich doch noch die deutsche oder schweizer Politik eingeschaltet hätte, sondern weil Zuflucht Kultur im Eilverfahren neue (syrische) Geflüchtete einlernte.
Erst, die Syrer, dann andere Araber, dann Afghanen, Schwarzafrikaner und ganz zum Schluss Sinti und Roma
Unter diesen Vorzeichen ist es fast erstaunlich, dass intern nicht noch mehr Spannungen zwischen den Geflüchteten spürbar sind. Bundespolitisch werden die Syrer fortwährend bevorzugt. Ihre Anträge gehen in wenigen Monaten durch, während längst bestens integrierte Menschen anderer Nationalitäten Jahre warten müssen oder heimgeschickt werden. So ging etwa die Geschichte des Afghanen und bilderbuchhaft integrierten Zuflucht-Kultur-Darstellers Ahmad Shakib Pouya, der trotz Einsatz seines Arbeitgebers IG Metall, deutschlandweiten Unterschriftenaktionen und neben Zuflucht Kultur auch dem Einsatz vieler weiterer Kulturinstitutionen wie den Münchner Kammerspiele und dem Münchner Gärtnerplatztheater, groß durch die Presse. Dennoch musste Pouya ausreisen, durfte nun zwar befristet für verschiedene Kulturprojekte wieder einreisen, muss aber täglich um seine Abschiebung fürchten – sobald einmal nicht nahtlos ein weiterer Gastspielvertrag folgt. Kein Wunder, dass es Neid gibt auf die Syrer, die solchen Psychoterror nicht auszuhalten haben. Kein Wunder, dass es innerhalb der Geflüchteten eine Art Nationalitäten-Hierarchie gibt, befeuert von der europäischen Politik.
Einmal erschienen bei Zuflucht Kultur die Nicht-Syrer plötzlich nicht mehr zur Probe. Was war geschehen? Tags zuvor wurde die „Idomeneo“-Szene mit Elektras Tod inszeniert, gespielt von einer der deutschen Profisängerinnen. Der Regisseur ließ sie von den vier nächststehenden Geflüchteten feierlich von der Bühne tragen. Zufällig waren es Syrer. Die Geflüchteten anderer Nationalitäten fühlten sich benachteiligt – und blieben beleidigt daheim. Die Hierarchien führen so immer wieder zu unerwarteten Herausforderungen auch für die Regieteams.
Du hast mich angefasst!
Die künstlerische Arbeit mit Geflüchteten gleicht zuweilen einem Tanz auf glühenden Kohlen – doch mehr wegen des Verhaltens Außenstehender als der Teilnehmenden. Unendlich viele Brücken wurden hier in den vergangenen Jahren gebaut. Neben der eigentlichen künstlerischen Arbeit wurden über Zuflucht Kultur Wohnungen vermittelt oder mit Bürokratie geholfen, innige Freundschaften geschlossen und Stipendien beschafft. Und immer wieder rührende Szenen: Von der ausländerfeindlichen Kleinstädterin, die jeden Terroranschlag mit den Worten „Das ist jetzt die Quittung dafür, dass wir eine Million Flüchtlinge reingelassen haben“ quittierte, und die sich bei der gemeinsamen Zubereitung von Häppchen für eines der Projekte herzlich mit einem geflüchteten Afghanen anfreundete, von jungen männlichen Geflüchteten, die der Produzentin im Ramadan nicht die Hand geben wollten, und am Ende, über die Körperlichkeit des Theaters verbunden, gemeinsam mit ihr tanzten und sangen, von Verschmelzungen in der und durch die Musik, wenn eine Mozartsche Koloratur plötzlich in arabischen Gesang übergeht und umgekehrt. Und immer wieder die Erkenntnis, dass es „die Flüchtlinge“ nicht gibt. Denn plötzlich sind da Ahmad, Rami, Ayden oder Sarmad, junge, charakterstarke Menschen, die genau so gerne Chips essen und Wasserpfeife rauchen wie ihre europäischen Pendants, die gemeinsam haben, dass sie ihre Heimat verlassen mussten, ja, aber die in erster Linie eins sind: kennenlernenswerte Individuen, denen man ohne Projekte wie die von Zuflucht Kultur vielleicht gar nie begegnet wäre.