Stockholm

Alter Schwede!

von Teresa Pieschacón Raphael

17. August 2023

In der Hauptstadt des Königreichs war und ist schwer was los. Ein musikalischer Spaziergang samt royaler Gala mit den Sängerinnen Emma Sventelius und Johanna Wallroth.

Wo nur anfangen in dieser Stadt, die sich über 14 Ostsee­inseln erstreckt und mehr als 50 Brücken hat? Einhel­lige Meinung zweier, die es wissen müssen, der Sänge­rinnen Emma Sven­te­lius aus Lund und Johanna Wall­roth aus Stock­holm: natür­lich mit der Vasa, „Schwe­dens Titanic“.

Also auf mit der Tram in den Osten der Stadt, auf die Muse­ums­insel Djur­gården. Hier liegt sie, die Vasa, Schwe­dens größter Stolz und größte Blamage glei­cher­maßen. Das eins­tige Flagg­schiff von König Gustav II. Adolf sank am 10. August 1628 vor dem Hafen von Stock­holm – kaum eine Meile vom Ufer entfernt. In den 60er-Jahren wurde das Wrack mit uner­hörtem tech­ni­schen Aufwand geborgen. Heute ist es auf fünf Stock­werken in einer 34 Meter hohen Halle zu sehen – einschließ­lich der 2.000 Knochen von Besat­zungs­mit­glie­dern. Etwa 1.500 Meter Reich­weite sollen die mäch­tigen Kanonen an Deck, die den Unter­gang des Kriegs­schiffes wohl verur­sachten, gehabt haben.

Blick auf das Vasa­mu­seum.

So weit dürfte auch Isoldes Fluch aus dem Mund von „La Nilsson“, Schwe­dens Operni­kone, einst aus Bayreuth gedon­nert haben. Ihr hoch­dra­ma­ti­scher Sopran schien wie aus Kano­nen­stahl geschmiedet. Doch davon später.

Die Sänger, um die es 500 Meter weiter geht, konnten es zwar nicht mit Nils­sons Orkan­stärke aufnehmen, sind aber wieder cool, wie die Schlange vor dem ABBA-Museum zeigt. Für ziem­lich viel „Money, Money, Money“ tanzt man hier in Karaōke-Kabinen und Seventy-Fummeln zu Dancing Queen ab.

Zurück in Rich­tung Altstadt, vorbei am Dramaten, dem König­li­chen Drama­ti­schen Theater am Nybro­plan, einem Jugend­stil­ge­bäude. Einge­weiht wurde es 1908 mit August Strind­bergs Mäster Olof, und auch Ingmar Bergman reüs­sierte hier.

Das Dramaten-Theater in Stock­holm.

Theater scheint den Schweden im Blut zu liegen, nicht zuletzt seit König Gustav III. (1746–1792), der Bühnen­stücke schrieb und sogar Staats­gäste im Thea­ter­kostüm empfing. Obwohl er sich als abso­lu­tis­ti­scher Herr­scher verstand, schaffte er die Folter ab, rich­tete Kranken- und Armen­häuser ein, förderte Handel und Verkehr, ließ in Stock­holm Brücken, Kirchen, Paläste und ein Opern­haus bauen. In den 1780ern wurde er zum Despoten, seine Politik repressiv. Sein Ende wie aus einem Opern­li­bretto: „Majestät dürfen nicht auf die heutige Maske­rade gehen“, warnt man ihn, doch er igno­riert den Hinweis. Kurz vor Mitter­nacht betritt er mit goldener Maske und langem Umhang die Oper. Doch der blau­gol­dene König­sorden auf der Brust verrät ihn – aus einer Gruppe schwarz geklei­deter Männer fällt ein Schuss. 13 Tage später ist der König tot, ermordet von einem ehema­ligen Offi­zier der könig­li­chen Garde. „Nach­er­zählt“ hat das Drama Verdi im Masken­ball (1859) – er verlegte die Hand­lung aus Zensur­gründen nach Boston.

Das alte, noch von Gustav III. erbaute Opern­haus am Gustav Adolfs Torg 2 wurde 1891 durch die neue Kungliga Operan im pompös goldenen neoklas­si­zis­ti­schen Stil ersetzt. Im Café Opera kann man unter Stuck und Kron­leuch­tern mit Hip-Hop, Dance und Elektro abfeiern. Zeit für solche Vergnü­gungen finden Emma und Johanna kaum – ihr Beruf erfor­dert viel Diszi­plin.

Nur drei Gehmi­nuten von der Oper entfernt, im Urban Escape, liegt das Head­quarter des Strea­ming­dienstes Spotify. Ob ein Porträt des CEO Daniel Ek, der jetzt schon als „Retter der Musik­branche“ gefeiert wird, einst in der altehr­wür­digen König­lich Schwe­di­schen Akademie für Musik hängen wird, ist frag­lich.

Ein Blick auf die Oper.

Dort einge­troffen führt Präsi­dentin Susanne Rydén durch die Galerie sämt­li­cher Akade­mie­mit­glieder, alle in Öl verewigt. Allen voran Gustav III. und Jenny Lind, die legen­däre „schwe­di­sche Nach­ti­gall“.

Auch Susanne Rydén hätte eine Ehrung verdient als Opern­sän­gerin und Präsi­dentin der wich­tigsten Musik­in­sti­tu­tionen Schwe­dens. Aber nein, lacht sie und bittet mich, sie mit dem Vornamen anzu­spre­chen – typisch schwe­di­sches Under­state­ment. Einfluss und/​oder Reichtum geben sich in dieser bürger­lich-gedie­genen Stadt, die nie ein Krieg zerstörte, diskret. Statt Yachten liegen im Hafen Segel­boote, die aller­dings durchaus in Multi­mil­lio­närs­länge. Selbst impo­sante Villen an der Ufer­front ähneln hier eher der Villa Kunter­bunt als den prot­zigen Sommer­pa­lästen russi­scher Olig­ar­chen. Glamour tut sich in diesem Egali­ta­rismus schwer. „Anders als in Öster­reich oder Deutsch­land haben wir hier sehr flache Hier­ar­chien“, sagt Emma. „Hej, hej!“ heißt es dort salopp zur Begrü­ßung – auf jeder gesell­schaft­li­chen Ebene. Und: „Jeder spricht jeden mit du an.“ Das hätten sie und Johanna in Wien und München, wo sie Enga­ge­ments hatten, vermisst, weshalb sie gerne wieder in ihrer Heimat sind. Auch Schwe­dens Gleich­be­rech­ti­gung spielt eine Rolle: Ob Greta Garbo oder Jenny Lind – kein Staat hat so viele Frauen auf seinen Geld­scheinen, auch wenn die allmäh­lich verschwinden – Barzah­lung gibt es hier kaum mehr.

Doch bei aller Beschei­den­heit – die alte Königs­fa­milie der Vasas ließ sich nicht lumpen: Der Adels­pa­last Riddars­huset auf Gamla Stan, der kleinen Insel, auf der sich die Altstadt befindet, hat mehr als 600 Zimmer nebst prunk­voller Schatz­kammer, zu sehen bei der jähr­li­chen Verlei­hung der Nobel­preise.

Das Riddar­huset in der Dämme­rung.

Mit dem Thema Auszeich­nung zurück zu Birgit Nilsson und der Gala im Herbst 2022. Königin Silvia erschien mit sympa­thisch kleinem Geschmeide im Konzer­thuset an der Seite von König Carl XVI. Gustaf, der dem Cellisten Yo-Yo Ma den mit einer Million US-Dollar dotierten Birgit-Nilsson-Preis über­reichte. Auch Emma, die 2020 das mit 200.000 Kronen dotierte Nilsson-Stipen­dium erhielt, stand an diesem Abend auf der Bühne. Und selbst das anschlie­ßende Gala-Dinner, zu dem das Königs­paar lud, ist sehr entspannt. An den Dress­code hielten sich nicht alle, auch nicht an das könig­liche Proto­koll.

Zum Glück ohne sich an das histo­ri­sche Vorbild zu halten: 1520 ließ Chris­tian II. (1481–1559), seiner­zeit König von Däne­mark, Norwegen und Schweden, die gela­dene Tisch­ge­sell­schaft nach dem Bankett meucheln. Nur einer über­lebte das „Stock­holmer Blutbad“: Gustav Vasa, Begründer der Königs­dy­nastie.
Seit 1926 erhalten die Nobel-Medaillen im großen Saal des Konzer­thuset all jene, „die der Mensch­heit den größten Nutzen geleistet haben“. Musiker zählten offenbar für Alfred Nobel nicht dazu, wie man im Nobel­preis-Museum in Gamla Stan erfährt.

Doch nun ist es erst mal Zeit für „Fika“, eine Kaffee­pause mit Kanel­bullar, den berühmten schwe­di­schen Zimt­schne­cken. Und danach: auf nach Söder­malm, Schwe­dens Prenz­lauer Berg! Längst hat sich das raue Arbei­ter­viertel zum gentri­fi­zierten Hipster- Quar­tier gemau­sert. Hier, in den engen Gassen mit tren­digen Klamotten- und schrägen Plat­ten­läden und Cafés, spielt auch die Roman-Trilogie Mill­en­nium von Stieg Larsson, und schon deshalb muss eine Stipp­vi­site in seine Lieb­lings­kneipe Kvarnen in der Tjär­hovs­gatan 14 sein, in der auch seine Prot­ago­nisten ein- und ausgingen. Ob ihn die schwe­di­sche Haus­manns­kost dort zu seinen Geschichten über die korrupten Schurken auf der Nach­bar­insel Öster­malm inspi­riert haben?

Sogar die Stock­holmer Metro hat visuell so Einiges zu bieten.

Nicht weit von hier liegt die Kata­rina Kyrka. Einst Ort der Hexen­pro­zesse sind es heute die Jugend­chöre, die von der Kirche an jedem 13. Dezember – der längsten Nacht des Jahres – zum Lucia­fest aufbre­chen. Auch Johanna zog einst als Lich­ter­kö­nigin mit schwe­di­schen Weih­nachts­lie­dern durch die Häuser und erin­nert sich gern daran.

Heute aber wird sie mit Emma schwe­di­sche Arien in Confi­dencen singen, einem entzü­ckenden Rokoko-Schloss­theater vor den Toren Stock­holms. Seinen Namen verdankt es einem Esstisch, der in den Keller abge­senkt werden konnte, damit die Gäste vertrau­liche Gespräche führen konnten. Da kommt einem schon mal der Ausruf „Alter Schwede!“ in den Sinn, der übri­gens auf den Drei­ßig­jäh­rigen Krieg zurück­geht, als König Fried­rich Wilhelm auf die Hilfe erfah­rener schwe­di­scher Soldaten zurück­greifen musste.

Fotos: Wikicommons, Pixabay