René Kollo & Jay Alexander
»Der Gesang kommt stets aus dem Wort«
von Antje Rößler
27. Februar 2022
René Kollo hat mit Jay Alexander ein Album romantischer Abendlieder aufgenommen und blickt gelassen seinem 85. Geburtstag entgegen. Im Gespräch erinnert er sich an seine Auftritte in Bayreuth und wirft einen kritischen Blick auf die heutigen Opernbühnen.
Er ist ein waschechter Berliner. René Kollo, der meist auf Mallorca lebt, besitzt noch immer ein Haus in Berlins grünem Stadtteil Zehlendorf. Einen Hauch Berliner Dialekt hat er auch beibehalten.
In Berlin befriedigten schon Großvater Walter Kollo und Vater Willi Kollo als Operettenkomponisten die Bedürfnisse des ausgehlustigen Publikums. Und in Berlin fand René Kollo, der zunächst Schauspieler werden wollte, den Weg zum klassischen Gesang. Um sein Sprechen auf der Bühne zu verbessern, nahm er Stimmunterricht bei der Opernsängerin Elsa Varena. „Sie sagte mir sofort: Du musst an die Oper“, erinnert sich Kollo, der nach siebenjährigem Gesangsunterricht an der Braunschweiger Oper engagiert wurde. Drei Jahre später stand er bereits in Bayreuth auf der Bühne.
Am 20. November 2022 wird René Kollo 85 Jahre alt. Er ist eine lebende Legende: als einer der wichtigsten Tenöre in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als herausragender Wagner-Interpret, als Publikumsliebling auf dem Fernsehbildschirm. Singen hält jung. Davon können wir uns überzeugen, als wir in einer Berliner Hotel-Bar auf einen hellwachen, geistreichen, schlagfertigen 84-Jährigen treffen. „Mir geht es wunderbar“, meint der Sänger, der gerade ein Glas Weißwein getrunken hat und nun einen Espresso bestellt.
»Ich kann selbst gar nicht glauben, wie viel ich gesungen habe.«
René Kollo gerät selbst ins Staunen, wenn er auf die eigene Karriere zurück blickt. „Ich habe eine Epoche mit den größten Dirigier-Genies erlebt“, sagt er. Er denkt da an Georg Solti, Carlos Kleiber, Karl Böhm. „Ich kann selbst gar nicht glauben, wie viel ich gesungen habe.“ In seiner Biografie Mein Leben und die Musik, die 2016 erschien, erstreckt sich die Liste seiner Tonaufnahmen über fünf Seiten!
Mit dem Welterfolg hätte es auch schiefgehen können, wurde doch Kollo durchaus zum Sturkopf, wenn ihm etwas nicht passte. Hohe Wogen schlug beispielsweise sein Krach mit Karajan. Dabei war der Auslöser eine Lappalie, das Kostüm betreffend. „Mir war klar: Wenn ich mich mit Karajan verkrache, komme ich nie wieder auf irgendeine Opernbühne, weil der Mann einen solchen Einfluss hat“, erinnert sich Kollo. „Aber das Risiko war mir wurscht. Dann wäre es eben vorbei gewesen.“ Kollo blieb dann im Geschäft, weil sich zwei Wochen später der Assistent von Bernstein meldete. Ihm ist bewusst, dass sich heutige Sänger einen solchen Eigensinn kaum leisten können. „Inzwischen geht es im Musikgeschäft wie in der Bundeswehr zu: Strammstehen und Jasagen“, ist er überzeugt.
Im Alter lässt es René Kollo auf Mallorca ruhig angehen. Er blieb hier hängen, als er noch segelte; auf der Suche nach einem Winterplatz für sein Boot. Auf der Insel lebt er heute in einer Art Wohngemeinschaft mit seiner Ex-Frau und deren neuem Partner. Früher war Mallorca sein Refugium, wo er neue Rollen und Stücke einstudierte. Heute lebt er hier in den Tag hinein; wichtigster Gefährte ist sein Dackel Pico. „Ich kann gut mit mir allein sein. Es gibt genug zum Nachdenken“, sagt der Sänger, der vormittags ins Dorf spaziert, einen Kaffee trinkt, sich die Leute anschaut. Nachmittags gibt es die ortstypische Siesta; Kollo und der Dackel schließen für ein Stündchen die Augen.
»Als ich 1968 nach Bayreuth kam, sah ich noch Inszenierungen von Wieland Wagner.«
Der Tenor machte seine Karriere in einer Zeit, als das Fernsehen mit seinen abendfüllenden Unterhaltungs-Shows die Massen erreichte. „Ich war jede Woche in irgendeiner Show zu Gast“, erinnert er sich. „Noch heute habe ich ein breites Publikum, weil mich viele Menschen vom Bildschirm kennen.“ Inzwischen sei dieser Karriereweg verbaut, da die Sender klassische Musik verbannten und nur „Programm für Unter-15-Jährige“ brächten. Auch mit neuen Entwicklungen auf der Opernbühne kann Kollo nur wenig anfangen. „Regisseure, die sich selbst hineinbringen – das mag ich überhaupt nicht. Dazu sind die Werke zu groß und zu schön“, erklärt er.
Er gerät ins Schwärmen, wenn er an seine ersten Erlebnisse auf dem Grünen Hügel denkt. „Als ich 1968 nach Bayreuth kam, sah ich noch Inszenierungen von Wieland Wagner. Großartig! Dabei passierte eigentlich gar nicht viel. Wieland Wagner hat nur mit Farben gespielt.“ Elfmal hat René Kollo bei den Bayreuther Festspielen den Siegfried gesungen, fünfmal Parsifal, achtmal Tristan. Als bester Wagner-Tenor der Welt wurde er gehandelt. Der Ring mit ihm, inszeniert von Patrice Chéreau, gilt als „Jahrhundert-Ring“. Was heute in Bayreuth passiert, lässt ihn hingegen kalt. „Da sehe ich zu viel Schnickschnack, und nicht die große Idee“, meint er. „Es kann ruhig modern sein, aber es muss auch mystisch und unergründlich sein.“
Vor seiner Opernkarriere hatte sich René Kollo als Schlagersänger einen Namen gemacht; mit Auftritten in Heimatfilmen oder beim Eurovision Song Contest. Ob Schlager oder Wagner – beides erfordert eigene stimmliche Qualitäten, aber bei der Herangehensweise macht Kollo keinen Unterschied. „Der Gesang kommt stets aus dem Wort. Ich will hören, was jemand mit den Worten macht und den Sinn verstehen, der dahinter liegt“, stellt er fest.
So wohl er sich nun auf Mallorca fühlt – die Corona-Einschränkungen zehren an den Nerven. „Seit zwei Jahren sitze ich auf dem Hintern und kann nichts machen“, sagt Kollo. „Es ärgert mich, dass die Kultur in ihrem Stellenwert weit unter den Fußball gesetzt wird.“ Umso mehr freute er sich über die Anfrage, mit dem Crossover-Tenor Jay Alexander das Album „Romantische Abendlieder“ aufzunehmen: Schubert, Brahms und Mendelssohn, in Arrangements für das Mitteldeutsche Kammerorchester.
Der Tenor präsentiert hier glanzvolle Kantilenen und eine makellose Artikulation. Dabei übt er gar nicht mehr regelmäßig. „Trainieren muss man nur, wenn man jung ist“, meint Kollo, der den Auftakt der neuen Platte ausgesucht hat: Schuberts Der Wanderer an den Mond, das er früher gern bei Liederabenden sang. Meist hört man das eingängige Lied getragen und andächtig. Nicht so bei Kollo. „Das ist ein freches Wanderlied. Das braucht man nicht intellektuell zu durchforsten“, erklärt der Sänger, der nun darauf wartet, dass die Corona-Umstände eine Konzerttournee mit dem Liedprojekt erlauben.
Dem anstehenden 85. Geburtstag blickt er gelassen entgegen; über Altern und Sterben macht er sich keine Gedanken. „Momentan bin ich zum Glück gesund und munter“, sagt er. „Es gibt wahrscheinlich etwas, das unser irdisches Dasein überschreitet. Aber was kommt, weiß man nicht.“