Robert Meyer
»Rotzfrech muss die Operette sein!«
4. Dezember 2017
Robert Meyer ist Schauspieler und Direktor der Volksoper Wien. Im Gespräch erzählt er, wie er zur Operette kam und wie Operette heute inszeniert werden sollte.
CRESCENDO: Herr Meyer, können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit der Operette erinnern?
Robert Meyer: Das war in Salzburg, wo ich während des Studiums am Mozarteum am Landestheater aufgetreten bin – in einer Operettenrolle, mit der viele Schauspieler begonnen haben: als Piccolo im Weißen Rössl.
Haben Sie nicht auch Kindheitserinnerungen an das Genre?
Die sind gemischt. Ich bin im tiefsten bayerischen Land aufgewachsen, ergo war ich lange in keinem Theater, sondern wir haben selber Theater gespielt und im Chor gesungen. Ein Ausflug des Kirchenchores hat uns gleich in die Oper geführt, zu Fidelio an der Bayerischen Staatsoper. Außerdem hatten wir zu Hause lang keinen Fernseher, haben aber sonntags immer das Wunschkonzert im Radio gehört – und da gab es wirklich meistens Operettenmelodien, bestellt für den Geburtstag von Großmüttern, Tanten und so weiter. Hast du dort oben vergessen auf mich und was auch immer – da hat man natürlich mitgesummt. Aber so wie bei manchen Regisseuren, die Omas Schallplatten mitgehört und sich schon als Kinder in die Musik verliebt haben – so war das nicht bei mir. In den 70ern gab es dann in ZDF und ARD Operettenverfilmungen mit Rudolf Schock, Ingeborg Hallstein und anderen Stars. Ich muss zugeben, dass mich das total abgeschreckt hat. Ich dachte, Operette sei das Fadeste auf Gottes Erdboden! Erst später wurde ich bekehrt – als ich gesehen habe, dass das auch anders geht.
»An der Volksoper war mein Einstieg auf der Bühne das Weiße Rössl«
Als Nestroy-Darsteller waren Sie immerhin Singen gewöhnt …
Ja, ich bin gottlob in einer Zeit ans Burgtheater gekommen, als dort für Nestroy-Couplets noch ein richtiges Orchester im Graben gespielt hat, mit Dirigent. Später wurde es modern, das durch eine Combo zu ersetzen, durch einen Kammbläser oder was auch immer – eigentlich schade. Dann, hier an der Volksoper, war mein Einstieg auf der Bühne wieder das Weiße Rössl, allerdings schon der schöne Sigismund. Der Sancho im Mann von La Mancha kam dazu, der Frosch in der Fledermaus, bekanntlich eine reine Sprechrolle, und der Njegus in der Lustigen Witwe, der einen Satz in einem Sextett zu singen hat, der aber nicht sehr fehlen würde …
Sie sind jetzt seit zehn Jahren Direktor der Volksoper Wien, haben hier schon viele Rollen verkörpert. Hat es ein mitspielender Prinzipal leichter?
Ob er es leichter hat, weiß ich nicht. Aber ich bin überzeugt, dass die Beziehung zu den Künstlern, zu Chor und Ballett, zur Technik und allen hinter der Bühne eine andere ist, wenn man auch auf der Bühne steht. Mit praktisch allen Solisten habe ich in diesen zehn Jahren schon einmal gespielt. Ich empfinde mich dann als Kollege unter Kollegen und denke, ich werde auch so behandelt. Es kam nie vor, dass mich jemand in einer Probe zur Seite genommen hat, um etwas von mir als Direktor zu bekommen.
»Die wunderbaren Melodien von My Fair Lady kann nahezu jeder zwitschern«
Die Volksoper ist in Wien das Haus für Operette – was ist wunderbar an diesem Auftrag, was ist schwierig?
Das Schöne an der Volksoper sind die vier Sparten: Oper, Operette, Musical und Ballett. Die Operette ist dabei eine besonders tolle Aufgabe. Das Wichtige dabei ist, dass man Operette heute viel spritziger, frecher, frivoler, lasziver machen muss als seinerzeit – ich bin überzeugt, das Genre verlangt das. Wenn man das tut, kommt auch das Publikum wieder. Leute, von denen man glaubt, sie gingen nicht in die Operette – die Jüngeren nämlich. Bei Operette darf man keine Scheu haben – sonst wäre sie tot. Rotzfrech, so muss sie sein!
Trotzdem: Eine eigene musikgeschichtliche Zukunft hat das Genre ja nicht …
Das Musical ist die historische Fortsetzung der Operette, das ist einfach so. Wir spielen die klassischen Stücke aus den 40er- bis zu den 60er-Jahren – mit einigen späteren Ausnahmen bis hin zu unserer Uraufführung Vivaldi. Gerade das klassische Musical ist musikalisch großartig – und teilweise außerordentlich schwer. Die wunderbaren Melodien von My Fair Lady kann natürlich nahezu jeder zwitschern, da sind wir wieder beim Wunschkonzert, aber die späteren Stücke haben es oft in sich. In Sweeney Todd habe ich mitgespielt, das ist eher zeitgenössische Oper: Wehe, man rutscht da mal in einem Quartett oder Sextett aus!
»Gerade die Berliner Operette hat etwas Frivoles, was die Leute gern haben«
In älterer Musik wird oft versucht, das Repertoire mit vergessenen Stücken zu erweitern. Auch manche Operetten waren zu ihrer Zeit sehr erfolgreich und sind trotzdem verschwunden.
Manchmal fragt man sich, warum ein namentlich noch irgendwie bekanntes Stück niemand mehr spielt. Schaut man es sich dann genauer an, kommt man oft drauf: Das hat seinen Grund! Nestroy hat 83 Stücke geschrieben, gespielt werden ungefähr ein Dutzend. Ich besitze mehrere Gesamtausgaben und habe die durchgeackert. Da liest man dann einen guten ersten Akt, einen großartigen, ja fabelhaften zweiten Akt – und plötzlich einen dritten, der ins Bodenlose abstürzt! Weil der Autor offenbar unter Zeitdruck einen Schluss hingeschludert hat. Schon kann man das ganze Stück vergessen. Da gibt es in der Operette etliche Parallelen: Bei manchen Werken ist es gut, dass sie dort liegen, wo sie liegen.
Also Vorsicht bei Ausgrabungen?
Eher ja. Es gibt da oft große musikalische Schönheiten, bei denen aber der Text nicht nachkommt. Das kann für eine konzertante Aufführung gut sein, aber eine Inszenierung wird da schwierig.
Die Vergangenheit der Operette, die an der Volksoper gepflegt wird, ist ohnehin außerordentlich reich, hat sich in verschiedene Richtungen ausdifferenziert – Paris, Wien, Berlin …
Dazu muss ich eine Geschichte erzählen: Meine erste Saison steht bevor und Heinz Haberland ruft mich an, der mittlerweile verstorbene Regisseur und Intendant. Er fragt, womit ich beginnen werde. Mit Offenbach, sage ich. Kurze Pause. „Um Gottes Willen – welches Stück?“ Ich: Orpheus in der Unterwelt. Noch längere Pause. Und dann schallt es aus dem Hörer: „Das ist ja entsetzlich! Robert! Offenbach in Wien geht überhaupt nicht! Und Orpheus schon gar nicht!“ – Gott sei Dank hatte er unrecht, die Produktion wurde ein großer Erfolg und kommt wieder auf den Spielplan. Auch bei Stücken wie Linckes Frau Luna oder Künneckes Vetter aus Dingsda gab es Befürchtungen, sie würde vielleicht in Wien nicht ankommen – denkste! Gerade die Berliner Operette hat etwas Frivoles, was die Leute hier ganz gern haben. Und das Wiener Repertoire sowieso, Fledermaus, Lustige Witwe, Csárdásfürstin, Gräfin Mariza und so weiter. Und ich gestehe: Ich trete auch ganz gerne mit auf.