Münchner Opernfestspiele

„Salome“ im Ghetto

von Corina Kolbe

4. Juli 2019

Bei den Münchner Opernfestspielen scheitert Krzysztof Warlikowski mit dem Versuch, Richard Strauss' "Salome" in die Zeit des Holocausts zu versetzen. Die musikalische Umsetzung mit Kirill Petrenko am Pult ist dagegen fulminant.

Über­di­men­sio­nale, düstere Bücher­wände umgrenzen einen kargen Raum, der den Eindruck herme­ti­scher Abge­schlos­sen­heit vermit­telt. An der Baye­ri­schen Staats­oper verlegt der polni­sche Regis­seur die mythen­um­wo­bene Geschichte der lüsternen Königs­tochter Salome, die aus Rache den Kopf Johannes des Täufers verlangt, in ein Versteck verfolgter Juden während der NS-Zeit. Die Einge­schlos­senen, die einander auf Gedeih und Verderb ausge­lie­fert sind, führen die Fin-de-Siècle-Oper nach dem gleich­na­migen Drama von Oscar Wilde als „Theater auf dem Theater“ auf.

Was Warli­kowski damit sagen will, ist aller­dings nicht selbst­er­klä­rend und bleibt sogar nach der Lektüre des Programm­hefts noch kryp­tisch. Weder geht es ihm um das Fanta­sie­pro­dukt Femme fatale noch um die Leidens­ge­schichte des Predi­gers, der bei Wilde Joch­a­naan heißt. Sein Ansatz, der „Frage der Macht über Leben und Tod“ in einer imagi­nären Ausein­an­der­set­zung intel­lek­tu­eller Juden mit Strauss« Werk nach­zu­gehen, führt unwei­ger­lich auf Abwege. Warli­kowski, der etwa an Thea­ter­auf­füh­rungen im Warschauer Ghetto denkt, über­frachtet sein Konzept mit derart vielen Einfällen aus unter­schied­li­chen Quellen, dass daraus kein schlüs­siges Ganzes entstehen will.

An den Anfang setzt er einen im Original nicht vorkom­menden szeni­schen Prolog mit einer Kaba­rett­auf­füh­rung, unter­malt von einer histo­ri­schen Aufnahme des ersten Stücks aus Gustav Mahlers „Kinder­to­ten­lie­dern“, diri­giert von Bruno Walter. Dies mag als Anspie­lung darauf verstanden werden, dass der jüdi­sche Diri­gent nach der Macht­er­grei­fung Hitlers 1933 zur Emigra­tion gezwungen war, während Strauss kurz darauf Präsi­dent der Reichs­mu­sik­kammer wurde. 

In einem Inter­view verweist Warli­kowski außerdem auf Joseph Loseys im Zweiten Welt­krieg spie­lenden Film „Monsieur Klein“, der eine Kaba­rett­szene enthält, in der ein klischee­haft darge­stellter Jude zu Mahlers Musik einer deut­schen Witwe Schmuck stiehlt. Er beschreibt außerdem eine Szene aus dem Film „Der Nacht­por­tier“ von Liliana Cavani, in der ein SS-Offi­zier einer Gefan­genen im KZ einen Karton mit dem Haupt eines Mannes über­gibt.

Warli­kow­skis Versuch, Strauss« Oper mit dem Schicksal der Juden während des Holo­causts zu verbinden, wirft viele Fragen auf, die durch das Bühnen­ge­schehen nicht beant­wortet werden. Der Bezug zu „Salome“ kommt abhanden. Dass die Neupro­duk­tion der Baye­ri­schen Staats­oper nicht voll­ends zum Fiasko gerät, ist den hervor­ra­genden Sängern und nicht zuletzt dem Staats­or­chester unter Leitung von Gene­ral­mu­sik­di­rektor zu verdanken. Petrenko arbeitet das Klang­schwel­ge­ri­sche der Strauss’schen Partitur ebenso wie deren groteske Züge meis­ter­haft heraus.

In ihrem Rollen­debüt gibt eine kind­lich-laszive Salome, die sie stimm­lich wie darstel­le­risch souverän inter­pre­tiert. beein­druckt als reli­giöser Eiferer Joch­a­naan und lässt die Ambi­va­lenz dieser Gestalt hervor­treten. Über­zeu­gend sind auch als der seine Stief­tochter begeh­rende Herodes, Michaela Schuster als seine Frau Hero­dias und als Haupt­mann Narra­both, der sich aus Verzweif­lung über die Aussichts­lo­sig­keit seiner Liebe zu Salome das Leben nimmt. Warli­kowski lässt die Oper nicht nur mit dem Tod Salomes enden, sondern er erfindet einen kollek­tiven Suizid. Eine Anspie­lung auf den Freitod verfolgter Juden oder auf deren Ermor­dung im KZ? Das irri­tierte Publikum reagiert am Premie­ren­abend der mit laut­starken Buhs für die Regie und verdientem Jubel für Sänger und Orchester. 

Die Première fand am 27. Juni 2019 statt. Die Fotos zeigen Szenen aus Krzy­sztof Warli­kow­skis Insze­nie­rung (©Wilfried Hösl).