Senta Berger
„Ich bin schlecht im Abschiednehmen.“
von Rüdiger Sturm
2. März 2020
Ein letztes Mal tritt Senta Berger als Dr. Eva Prohacek in der Erfolgsserie „Unter Verdacht“ an. Doch trotz einer gewissen Wehmut wirkt sie gefasst.
CRESCENDO: Frau Berger, ursprünglich schienen Sie auf eine Karriere in der Musikwelt zuzusteuern. Ihr Vater war Komponist und Dirigent, Sie selbst absolvierten eine Ausbildung als Balletttänzerin. Trauert etwas in Ihnen diesem Weg nach?
Senta Berger: Natürlich. Schließlich war ich sehr begabt und habe meine Ballettausbildung geliebt. Ich habe mich geschunden ohne Rücksicht und wäre sehr gerne zum Ballett gegangen. Als ich später beim Reinhardt-Seminar Gesangsunterricht hatte, hätte ich wiederum alle Karten in der Hand gehabt, Gesang zu studieren. Aber ich bin dann in die Pubertät geraten und habe das alles abgestoßen und verneint und alle meine Talente weggeworfen. Ich habe sogar aufgehört, Klavier zu spielen. Das tut mir leid. Das Einzige, was blieb, war der pubertäre Wunsch, Schauspielerin zu werden, sich zu zeigen und beachtet und geliebt zu werden, etwas darzustellen. Heute sehe ich den Beruf natürlich sehr ernster und viel schöner.
»Ohne Musik könnte ich überhaupt nicht atmen.«
Wie wichtig ist Musik für Sie heute noch?
Sehr, sehr wichtig. Ohne Musik könnte ich überhaupt nicht atmen. Als ich um die zehn Jahre alt war, ging ich mit meinem Vater zum Friedhof, weil da eine Nachbarin begraben wurde. Als er mir das offene Grab zeigte, habe ich geweint, aber er meinte „Schau, sie ruht jetzt sicher da unten.“ Aber ich sagte: „Da kann sie doch keine Musik mehr hören.“ So habe ich das empfunden. Und so ist es auch heute noch.
Gibt es Grenzen dieser Musikliebe?
Fragen Sie mich bitte nicht, wer jetzt beim Grammy gewonnen hat. Bei „Wer wird Millionär“ könnte ich mithalten, aber sobald eine Frage zu Pop- oder Rockmusik kommt, ist es aus. Weiß ich alles nicht. Sie müssen mich schon nach klassischer Musik fragen.
Welche klassischen Musikstücke sind für Sie wichtigsten?
Das kann man nicht formulieren. Wenn ich ganz laut die Rosenkavalier-Suite, höre, bin ich glücklich. Genauso bei der Háry János Suite von Zoltán Kodály. Oder bei Mozart. Aber ich kann Ihnen keinen Lieblingskomponisten benennen. Das geht nicht.
»Die Jahre in den USA waren aufregend und prägend für mein weiteres Leben.«
Sie hätten auch Hollywood-Star werden können. Allerdings arbeiteten Sie dort zum falschen Zeitpunkt, denn das klassische Hochglanzkino war in der Krise, und das neue aufregende „New Hollywood“ der späten 60er und 70er gab es noch nicht.
Einerseits haben Sie recht. Das amerikanische Kino, wie wir es heute kennen, wurde erst Ende der 60er und 70er geboren. Andererseits wäre vermutlich für mich kein Platz in diesen „neuen“ amerikanischen Filmen gewesen. Selbst bei meiner Musikalität hätte ich einen europäischen Akzent nie verleugnen können. Welche Rollen hätte ich da spielen können? Ich denke in jedem Fall ohne Bedauern an die Jahre in den USA. Sie waren aufregend und prägend für mein weiteres Leben – in jeder Beziehung.
Sie arbeiteten dort auch mit Regisseuren wie Sam Peckinpah zusammen, die als Macho verschrien waren.
Das ist ein großes Missverständnis. Sam Peckinpah hat seine Schauspieler geliebt, und die Schauspieler haben ihn geliebt. Er gilt als Rabauke in der öffentlichen Wahrnehmung, vielleicht sogar weil er das wollte. Er war ein sehr zartgliedriger, feiner, schüchterner Mann, der seine eigene Schwäche durch eine unglaubliche Radikalität und sehr viel Alkohol bekämpft hat. Natürlich neigte er zu irrationalen Wutausbrüchen, aber die haben sich hauptsächlich gegen das System gerichtet, weil er nicht in der Lage war, unabhängig zu arbeiten.
Sie mussten sich in Ihrer Karriere aber immer wieder durchsetzen. Schon als 17-Jährige spielten Sie in einem Yul Brynner-Film mit und wurden aus der Schauspielschule geworfen – Sie hatten keine Erlaubnis eingeholt hatten. Wie würden Sie selbst diesen Weg beschreiben?
Ich habe sehr jung angefangen. Damals gab es in Deutschland das typische System der Produzenten, die Ansagen gemacht haben. Ich wurde nicht gefragt, ob ich einen Pressetag absolvieren will, das war einfach so. Zwischen 22 und 28 arbeitete ich dann in Amerika. Da war ich zwar schon viel emanzipierter, aber trotzdem in einem eingefahrenen System eingespannt, in dem andere Leute über mich entschieden. Als ich wieder zurückkam, habe ich begriffen, dass mich das nicht froh macht. Ich habe deshalb versucht, meinen Weg zu gehen, auch wenn ich natürlich die Miete bezahlen musste. Da musste ich schauen, dass ich eine anständige Balance hinbekomme. Ich hatte zum Glück auch einen Mann an meiner Seite. Mal habe ich sehr viel gearbeitet und mal er, es ging uns allen mit den Kindern und der Familie gut. Ich musste nicht alles annehmen, und dank unserer eigenen Produktionsfirma konnte ich Filme machen, die mich interessiert haben und die sich finanziell gelohnt haben. Und dann kam eben auch die Eva Prohacek 20 Jahre lang.
»Ich nehme nichts von meinen Rollen mit in mein privates Leben.«
Wie gehen Sie jetzt emotional mit dem Ende der Serie um?
Mir ist wehmütig ums Herz. Ich bin ganz schlecht im Abschiednehmen. Aber ich kann auch vernünftig sein. Es war an der Zeit.
Haben Sie nach dieser langen Zeit Eigenschaften übernommen?
Ich nehme nichts von meinen Rollen mit in mein privates Leben. Bei der Prohacek war es so, dass ich mich mit den Geschichten ausführlich beschäftigt habe. Ich habe alles, was ich nur kriegen konnte, über Waffenlieferungen gelesen, über Rechtsradikale in der Polizei oder im Bundesheer, über Korruption in der Politik – alles, was mir geholfen hat, die Geschichte und die Argumente der Prohacek zu verstehen. Eigentlich war ich aber immer als Senta an diesen Geschehnissen interessiert. Vielleicht kam mein Produzent Mario Krebs, der mich schon lang von anderen Arbeiten kannte, deshalb auf die Idee, so eine Figur ins deutsche Fernsehen einzuführen.
So viel Interesse für kritische Themen – kennen Sie auch Angst?
Ja, natürlich habe ich Angst, wie jeder erwachsene Mensch. Was wird morgen sein und übermorgen? Welches Schicksal werden meine Kinder haben und meine Enkelkinder? Werden wir es meistern? Im Kleinen wie im Großen? Ich kenne keinen Menschen, der nicht Angst hat. Es ist keine omnipräsente Angst, die mein Leben vergiften würde, aber sie ist natürlich immer da. Passive Angst – oder sagen wir besser: Sorge in aktives Tun umsetzen, das ist das Gebot.