Stefan Knüpfer

Der Klavier­ver­steher

von Teresa Pieschacón Raphael

4. September 2019

„Wer ausschließlich mit dem Gerät stimmt, verlässt sich auf seine Augen, nicht auf seine Ohren“, sagt Klavierstimmer Stefan Knüpfer. Als solcher hat er einiges erlebt.

Sänger, vorwie­gend Prima­donnen, haben seit jeher die Schrift­steller zu Romanen inspi­riert. Aber ein Klavier­stimmer? In Pascal Merciers Der Klavier­stimmer jeden­falls erschießt ein stadt­be­kannter Klavier­stimmer und Meister seines Fachs, der bereits in Kara­jans Diensten stand, einen berühmten italie­ni­schen Tenor. Als Stefan Knüpfer die Story hört, lacht er laut und kontert: „Eigent­lich müsste es doch heißen, wann bringe ich mich um?!“ Schließ­lich habe er als Chef­tech­niker von Steinway in Wien einiges erlebt im Umgang mit welt­be­rühmten Klienten. Etwa wenn der von Lampen­fieber und Versa­gens­ängsten gepei­nigte Konzert­pia­nist kurz vor dem Auftritt meint, dass der Ton „nicht atme“, obwohl Knüpfer tage­lang am Instru­ment getüf­telt, gewer­kelt und alle Schrauben und Keile justiert hatte.

Stefan Knüpfer bei der Arbeit
Der Klavier­stimmer Stefan Knüpfer bei der Arbeit mit der Hammer­me­chanik-Tastatur

Da gilt es, Nerven und Ruhe zu behalten. Denn nur zufrie­dene Pianisten seien eben auch gute Pianisten, weiß Knüpfer. „Was ist physi­ka­lisch das Problem, und wie kann man es physi­ka­lisch lösen?“ Das sind die Fragen, die er sich dann stellt, um, wie ein Tech­niker der Formel 1, das oft auch nur vermeint­liche Problem anzu­gehen. Dabei scheut er nicht vor unkon­ven­tio­nellen Methoden zurück, wie die Geschichte mit einem Tennis­ball zeigt. „Wir hatten da ein Instru­ment, das war lange nicht gespielt worden. Das stand da wie ein Oldtimer, der lange nicht gefahren worden war. Hätte man da einen Renn­fahrer hinein­ge­setzt, wäre das Auto dahin­ge­wesen. So kam ich auf die Idee, mithilfe eines Tennis­balls den Flügel schön weich zu klopfen. Und: Er klang wieder!“

Stefan Knüpfer und Pierre-Laurent Aimard
Der Pianist wünscht sich von Stefan Knüpfer die gesamte Klang­pa­lette, aufge­fä­chert wie ein Regen­bogen

Zu Knüp­fers Klientel zählt die erste Garde der Konzert­pia­nisten. Und dennoch könnten nur wenige ihre Klang­vor­stel­lung beschreiben, sagt er. „Es geht ja nicht um die ganz einfa­chen dyna­mi­schen Kate­go­rien wie laut und leise, hart oder weich. Es geht um das Dazwi­schen, um Emotionen. Einige sagen mir: ‚Der Ton soll reich sein.‘ Aber was bedeutet denn ein reicher Ton? Ein Ton hat doch kein Konto.“ etwa wollte einen in allen Lagen eben­mä­ßigen Ton, Pierre-Laurent Aimard wiederum wünschte sich für jede Bach-Fuge die ganze Klang­pa­lette, aufge­fä­chert wie ein Regen­bogen. Pfle­ge­leicht hingegen war , der einen „Instinkt für Töne“ hatte, egal auf welchem Instru­ment. „Der brauchte eher einen stabilen Stuhl, der seinem Tempe­ra­ment stand­hält.“

Stefan Knüpfer unterm Klavier
Verbringt einen Groß­teil seiner Arbeit unter dem Flügel: Stefan Knüpfer achtet auf die Wirkungen des Tasten­drucks.

Knüpfer könnte es sich leichter machen und mit einem Stro­bo­skop oder anderen Geräten die Tonfre­quenzen messen, um quasi auf Knopf­druck den rich­tigen Ton zu errei­chen. Er lehnt das ab. Er begreift den Ton wie eine Farbe, inner­halb derer allerlei Schat­tie­rungen und Abstu­fungen und Nuancen möglich sind. „Wer ausschließ­lich mit dem Gerät stimmt, verlässt sich auf seine Augen, nicht auf seine Ohren“, sagt er. Einen Groß­teil seiner Arbeit habe er deshalb unter­halb des Instru­ments verbracht und den Pianisten unter die Finger geschaut: um zu sehen „mit welchem Impuls, mit welcher Geschwin­dig­keit, welchem Gewicht er auf die Tasten drückt“.

Eine zwar nicht devote, aber doch demü­tige Haltung für einen Mann, der einst selbst Pianist werden wollte. 1967 in Hamburg geboren, weiß er heute selbst nicht mehr so genau, wie er auf die Idee kam, Klavier­stimmer zu werden. Nur: Er war 15 Jahre alt, und es war an einem Samstag. „Ich hatte mal wieder eine Mathe­klausur verpatzt. Da dachte ich mir: Jetzt habe ich genug. Ich werde Klavier­stimmer. Dann habe ich mich bei Steinway beworben.“ Das Hand­werk wollte er in jedem Fall dort erlernen. „Immer, wenn ich im Schau­fenster die Instru­mente sah, war das für mich wie pure Magie. Allein schon die Klappe mit dem Emblem darauf. Diese Welt übte einen unglaub­li­chen Sog auf mich aus. Bis heute.“ Ein Roman wurde noch nicht über ihn geschrieben, dafür aber mit Piano­mania (2009) von und Lilian Frank ein wunder­barer Film gedreht.

Fotos: Stefan Olah