KlassikWoche 15/2019
Thielemanns Mehlspeisen-Krieg und andere Zahlenspiele
von Axel Brüggemann
8. April 2019
Dieses Mal wird es herrlich politisch unkorrekt, es geht unter anderem um den Kampf des selbsternannten Preußen Christian Thielemann gegen die Mozartkugeln und um die nackte Wahrheit der Zahlen auf dem Plattenmarkt.
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
dieses Mal wird es herrlich politisch unkorrekt, es geht unter anderem um den Kampf des selbsternannten Preußen Christian Thielemann gegen die Mozartkugeln und um die nackte Wahrheit der Zahlen auf dem Plattenmarkt.
WAS IST
BEETHOVEN AUS AFRIKA?
Was Rammstein kann, kann die Klassik schon lange! Die letzte Woche war eine Woche der politischen Inkorrektheit – den Auftakt machte Elmar Krekeler von der Welt (ja, jener Literatur-Krekeler, der in der Barenboim-Debatte bereits fand, dass ein bisschen Strenge und Führung einem Dirigenten in unserer Zeit durchaus gut anstehen würden). Nun kramte er einen Uralt-Hut heraus und schrieb über den „Traum der Aktivisten vom afrodeutschen Beethoven“. Bei Google ist noch die ursprüngliche Überschrift zu lesen: „Rassismus: Ludwig van Beethoven soll ein Schwarzer gewesen sein“. Vielleicht hat Krekeler sich noch an Nadine Gordimers 2007 erschienenen Roman Beethoven war ein Sechzehntel schwarz erinnert oder an die Debatte, die der Guardian bereits 2015 führte – eine Debatte zum Abschminken!
Ich war derweil in Köln beim Game-Lab, in dem der WDR Spieleentwickler mit Musikern und Musikwissenschaftlern zusammengebracht hat, um für 2020 ein Beethoven-Computerspiel zu entwickeln. Die Herkunft des Komponisten interessierte dort niemanden. Die Computer-Leute stürzten sich eher auf den Messie Beethoven und das Chaos, aus dem heraus seine musikalische Neuordnung der Welt entstand. In wenigen Wochen wird eine Jury jenes Spiel wählen, das in die Entwicklung gehen soll.
THIELEMANN I: PREUSSENS DISZIPLIN
Politisch erstaunlich korrekt war Christian Thielemann noch in unserem Gespräch zum 60., das hier vor zwei Wochen als Podcast zu hören war. Da behauptete er, Kultur und Kulturschaffende sollten unpolitisch sein. Aber jetzt hat Thielemann offensichtlich wieder Lust am Polemisieren. Gerade hat er dem Corps, dem Verbandsblatt der Kösener und Weinheimer Corpsstudenten, ein Interview gegeben – eigentlich gegen alle Regeln der Öffentlichkeitsarbeit. Und das, obwohl Thielemann sagt: „Man fühlt sich besser mit Regeln, solange man nicht darin verkrampft. Das Elitäre gehört dazu.“ Außerdem findet er, „wir alle sollten eigentlich Preußen sein“ und erklärt: „Menschen aus dem Jahr 1945 wussten noch, was ein Burn-out wirklich bedeutet, die hatten ausgebrannte Städte.“ Dann beschwert er sich, dass er in einem deutschen Hotel auf englisch begrüßt wurde: „Stellen Sie sich mal vor, eine deutsche Hotelgruppe würde in Paris eine Depandance eröffnen und dann sagen die da: Guten Tach. Da wäre schnell der Teufel los, man möge doch bitte Bonjour sagen. Das ist eine Schludrigkeit sondergleichen.“ Und Voilà! Das sehr rechte Blättchen Junge Freiheit (hier verzichte ich gern auf einen Link) hievt Thielemann natürlich sofort auf seine schwarz-weiß-rote Fahne: „Die Maßstäbe gehen vor die Hunde. Man muß sagen dürfen, dass etwas Mist ist, wenn es Mist ist. Darin zeigt sich auch die Krise des Bürgertums. Die Toleranz darf nicht so weit gehen, daß man nichts mehr schlecht finden darf, um nicht als altbacken zu gelten.
THIELEMANN II: DER MEHLSPEISENKRIEG
Beim Stiegl-Fass-Anstich bei den Salzburger Osterfestspielen ist Christian Thielemann der Hammer zerschmettert (das lustige Video hier). Den schwingt er nun auch verbal. Sein Corps-Interview schien der Anlauf für einen Frontalangriff auf Österreich gewesen zu sein: „Wir lassen uns in Wien von den Mehlspeisen belabern, freuen uns über die Gemütlichkeit. Unser Gemüt ist ein anderes.“ Im FAZ-Gespräch mit Jürgen Kesting legte er nun nach. Den designierten Festspiel-Intendanten Nikolaus Bachler würde Thielemann noch lange nicht als gesetzt akzeptieren, ließ er wissen: „Es gibt manchmal Entscheidungen, die man nicht nachvollziehen kann. Die müssen dann eben korrigiert werden.“ Und weiter: „Manchmal haben Sie das Gefühl, dass Sie mit Menschen zusammenpassen, und manchmal, dass Sie nicht zusammenpassen.“ Thielemann ist sicher: „Ich habe immer wieder von der Politik gehört, wie sehr sie darauf baut, dass wir zusammenbleiben.“ Da habe ich von der Politik, besonders von jener aus Österreich, allerdings etwas ganz anderes gehört: Sie will um jeden Preis am Landsmann Bachler festhalten (vielleicht, weil man bei österreichischen Festspielen lieber „Servus“ hört als „Tach auch“?). Hinter den Kulissen trommelt Noch-Festspiel-Intendant Peter Ruzicka gegen Bachler und stellt sich auf die Seite seines Freundes Thielemann. Sicher ist: Anders als Jürgen Kesting es im FAZ-Interview mit Thielemann nahelegt, gab es durchaus Rücksprache mit dem Dirigenten und sogar ein Treffen zwischen Bachler und Thielemann. Wir werden sehen, wie stark Preußen in Habsburg noch ist, oder ob die Dresdner in Zukunft mit einem anderen Dirigenten in Salzburg Hof halten?
WAS WAR
SEREBRENNIKOW ENTLASSEN
Politisch inkorrekt ist für die Mehrheit der Europäer der Umgang mit dem russischen Regisseur Kirill Serebrennikow. Zunächst wurde er von einem Gericht in Moskau erneut zu drei weiteren Monaten Hausarrest verurteilt. Doch gerade jetzt wurde bekannt gegeben, dass der Regisseur aus der Haft entlassen sei. Allerdings darf er Moskau nicht unerlaubt verlassen. Gleichzeitig erhielt der Regisseur des Hamburger Nabucco am Wochenende den renommierten russischen Filmpreis Nika für die beste Regie.
ZAHLENSPIELE ZWISCHEN CD UND OPER
Til Schweigers Remake von Honig im Kopf für Hollywood erreichte letztes Wochenende nur 155 zahlende Zuschauer. Immerhin! Nachdem wir letzte Woche über die Bilanz der Deutschen Grammophon berichtet haben (sie gab keine Verkaufszahlen bekannt, sondern lediglich den Marktvorsprung zur Konkurrenz), wurde mir nun eine Statistik mit aktuellen Verkaufszahlen der so genannten Klassik-Chartszugespielt. Ohne ins Detail zu gehen: Um unter die ersten 10 Plätze zu kommen, müssen nicht einmal 2.000 Tonträger verkauft werden. Zum Vergleich: Das hat die Elbphilharmonie jeden Abend an Publikum! Was mit derartigen Verkaufszahlen am Ende des Monats zu verdienen ist, lässt sich leicht ausrechnen. Auch die Sony, so hört man, reagiert und wird dieses Jahr wesentlich weniger Aufnahmen veröffentlichen als im Vorjahr. Sieht man die Tendenz von Orchestern wie etwa den Berliner Philharmonikern, die längst auf ein eigenes Label setzen und ihre Einspielungen direkt vertreiben, stellt sich die Frage, warum die Plattenindustrie noch immer glaubt, einen so großen Einfluss auf die Szene zu haben. Aber irgendwie bestimmt sie bis heute sogar das Fernsehprogramm. Neulich wurde der Markus Lanz am Ende seiner Sendung von einem gar nicht mehr so jungen Klavierspieler begleitet, der fast so gut spielte wie der Moderator selbst. Nach Lanz« Angaben handelte es sich um „den größten Star der Klassik“. Ich zitiere an dieser Stelle Mal einen Freund unseres Newsletters, den Gitarristen und Komponisten Sigi Schwab, der mir schrieb: „Auf den Prüfstand gehört auch der Dresssurakt: Note auf Papier erfassen und die dazu assozierte Taste/Saite/Klappe möglichst rasch drücken. Ich spiele seit 65 Jahren professionell Musik, denken Sie wirklich, die 137. Einspielung der Mondschein Sonate von einem fünfjährigen Altstar Eiwei Weiei aus Ulan Bator wäre noch der Burner!?“
Wahrlich groß dagegen, und leider in der Presse oft unterrepräsentiert: Die Opernhäuser in deutschen Städten, die nach neuen Statistiken des Deutschen Musikrates 15.523 Beschäftigte zählen und 11.500 Veranstaltungen auf die Beine gestellt haben. Die meist gespielten Opern der letzten Saison waren 1. Hänsel und Gretel, 2. Die Zauberflöte, 3. Carmen, 4. Le nozze di Figaro, 5. Tosca – erst auf Rang 19 übrigens La Traviata. Der Bühnen-Spaß kostet jährlich 3,22 Milliarden Euro, wovon 72,8 Prozent an Personalkosten draufgehen, von denen wiederum 32,9 Prozent für das künstlerische Personal. Jedes Mal aufs Neue eine einmalige und unverzichtbare, nationale Kulturleistung!
AUF UNSEREN BÜHNEN
Der Dirigent Thomas Guggeis ist erst 25 Jahre alt und hat sein erstes Konzert mit der Staatskapelle Berlin gegeben – bejubelt von Sybill Mahlke im Tagesspiegel. +++ In Wien feierte die Oper Orest von Manfred Trojan mit Laura Aikin und Johannes Mayer Première – die Fortsetzung der Elektra war für alle Darsteller gelungene Schwerstarbeit, findet Walter Gürtelschmied in der Presse. +++ In Frankfurt hatte Franz Schrekers Oper Der Ferne Klang, inszeniert in mystischen Schleier-Welten von Damiano Michieletto, Première. Sebastian Weigle lässt „ganz zarte Streicher- und Harfenklänge in einer Überkreuzung aus diatonischer Funktionsharmonik und Ganztonleiter – Gestalt werden“, erklärt Jan Brachmann etwas kompliziert. +++ Wilhelm Sinkovicz beweint in der Presse das Fehlen der alten Stehplatz-Claqueure in Mailands Manon Lescaut. „Dabei hat Maria José Siri ihr Sola, perduta, abbandonata vorzüglich gesungen“ – Sinkovicz selber verreißt die Regie von David Pountney ebenso wie er das Dirigat von Riccardo Chailly feiert – mit dem Furor von 101 Stehplatz-Rufern. +++ In Deutschland ist sie längst eine Größe, jetzt hat sie endgültig ihr Heimatland erobert: Christine Georkes Walküren-Brünnhilde, schrieb die New York Times (mit großartigem Video), hat stimmliche Lebendigkeit mit emotionaler Gegenwärtigkeit verheiratet – mit einzigartiger Individualität. +++ 80.000 Liter Wasser sind nach problematischen Wartungsarbeiten durch die Sprenkleranlage in den Bühnenbereich des Duisburger Theaters geflossen – das Haus wird für Monate unbespieltbar sein.
PERSONALIEN DER WOCHE
Die 4.000 Aufführung, die Placido Domingo in seinem Leben gesungen hat, war der Simon Boccanegra in Wien – danach wurde im Restaurant Sole gefeiert: Aki Nuredini tischte auf, und Dominique Meyer servierte die Torte für den Tenor (für Insider: Lieber Robert, da müssen wir hin!). +++ Sony Classical hat Ivo Pogorelich exklusiv verpflichtet (seine erste Aufnahme widmet er Rachmaninov), die Deutsche Grammophon den Tenor Benjamin Bernheim (er wird ein Album mit Gounod, Massenet, Donizetti und Puccini vorlegen).
WAS LOHNT
Anneleen Lenaerts entdeckt den unbekannten Nino Rota.
MEINE AUFNAHME DER WOCHE…
… stelle ich nicht ganz unvoreingenommen vor, da ich Teil der CD-Präsentation war, auf der die belgische Harfenistin der Wiener Philharmoniker, Anneleen Lenaerts, ihr neues Album dem vor 40 Jahren verstorbenen Nino Rota widmete. Aber ihr ist da eine wirklich großartige Entdeckung gelungen. Über 150 Filmmusiken hat Rota komponiert, unter anderem zu Godfather und Dolce Vita. Natürlich sind auch sie auf der neuen CD zu hören. Noch spannender aber ist Rotas klassisches Schaffen. Bereits im Alter von 13 Jahren hat das Wunderkind sein erstes Oratorium komponiert. Ob es später eine heimliche Affäre war, die ihn eine Sarabande, eine Sonate und sogar ein Konzert in nur kurzer Zeit für das Instrument Harfe schreiben ließ, ist nicht überliefert. Lohnenswert aber, wie zupackend, schwelgerisch und lebendig Lenaerts, unter anderem mit den Brüssler Philharmonikern und dem Flötisten Emmanuel Pahud, Soundtracks aufstöbert, zu denen es gar keine Filme gibt.
Ach ja, und dann war da noch die Sache mit Anna Netrebkos Video von der Hinterbühne des Londoner Opernhauses Covent Garden – das Orchester hatte ihr verboten, die 23 Sekunden auf Instagram zu teilen. Als ich eine Crowd-Funding-Aktion starten wollte, lehnte das Orchester eine Bezahlung für die Rechte ebenfalls ab. Ich habe Netrebko inzwischen angeboten, den Film mit meiner Geige nachzusynchronisieren. Aber die Sängerin ließ wissen, dass sie bereits einen anderen Plan in dieser Sache verfolge…
… wir sind gespannt und halten die Ohren steif.
Ihr
Axel Brüggemann
brueggemann@crescendo.de