Timișoara, Blick auf die Kathedrale der Heiligen drei Hirarchen

Timișoara

Die Stadt der Rosen

von Teresa Pieschacón Raphael

24. Juli 2023

Die rumänische Stadt Timișoara ist neben der griechischen Stadt Elefsina und der ungarischen Stadt Veszprém Kulturhauptstadt Europas 2023. Ein Stadtspaziergang mit dem Dirigenten Cristian Măcelaru, dem Chefdirigenten des WDR Sinfonierochesters und des Orchestre National de France, der in Timișoara geboren wurde.

Die rumä­ni­sche Stadt Timișoara liegt am Fluss Bega und west­lich von Tran­sil­vania. Für den irischen Schrift­steller Bram Stoker dürften bis heute noch Vampire und blut­rüns­tige Grafen in der Region ihr Unwesen treiben. kann nur milde lächeln, wenn er an den Dracula-Roman von 1897 denkt, und schlägt ein Kontrast­pro­gramm vor. „Möchten Sie Timișoara wirk­lich kennen­lernen?“ fragt er. „Dann besu­chen Sie den Rosen­park.“ 1891 eröffnet, erwartet den Besu­cher auch heute noch ein Meer an Farben, das jede Schau­er­ge­schichte vergessen macht: 600 verschie­dene Arten, tausende Vari­anten und etwa zehn­tau­send Rosen­stöcke finden sich hier, weshalb man Timișoara auch die Stadt der Rosen nennt.

Cris­tian Măce­laru mit dem WDR Sinfo­nie­or­chester zu Gast in seiner Geburt­stadt Timișoara

Den Duft der Rosen und der Linden­bäume habe er nie vergessen können, sagt Măce­laru, auch wenn es den Diri­genten in die weite Welt verschlug und er heute in Köln und Paris lebt. Regel­mäßig besucht er seine Heimat­stadt, diesmal ist er mit „seinem“ WDR Sinfo­nie­or­chester da. Timișoara ist in diesem Jahr stolze Kultur­haupt­stadt Europas, das gilt es zu feiern mit zwei Konzerten, mit Musi­kern der in der Stadt ansäs­sigen Filar­mo­nica Banatul Timișoara. Als Kind habe er wenig von der histo­ri­schen Bedeu­tung seiner Heimat­stadt gewusst, räumt er ein. Unter der kommu­nis­ti­schen Diktatur von Nicolae Ceaușescu sei die Armut sehr groß gewesen. Der Vater arbei­tete in der Stahl­in­dus­trie, die Mutter versorgte die zwölf­köp­fige Familie. Eines Tages aber bat man ihn, einer ameri­ka­ni­schen Familie, die ein rumä­ni­sches Kind adop­tiert hatte, die Stadt zu zeigen. Das verän­derte seine Sicht. „Timișoara war ab dem 18. Jahr­hun­dert bis zum Ende des Ersten Welt­kriegs stra­te­gisch sehr wichtig, beson­ders während k. u. k. Zeit, der Habs­bur­ger­mon­ar­chie“, erzählt er.

Timișoara, Piața Unirii
Blick auf die Piața Unirii mit dem Dom zum Heiligen Georg und der Drei­fal­tig­keits­säule

An der Piața Unirii (Platz der Verei­ni­gung, umgangs­sprach­lich auch Domplatz genannt) im Zentrum der histo­ri­schen Maria-Theresia Festungs­an­lage, leuchten die Gebäude heute noch im schönsten Schön­brunner Gelb. Allen voran der römisch-katho­li­sche Dom zum Heiligen Georg, der nun für das Jubi­läum fein heraus­ge­putzt wurde. Direkt gegen­über die Drei­fal­tig­keits­säule, die Ende des 18. Jahr­hun­derts aus Dank­bar­keit nach einer über­stan­denen Pest­epi­demie errichtet wurde. Erbauer des Doms war übri­gens der Wiener Archi­tekt Joseph Emanuel Fischer von Erlach, der die Wiener Karls­kirche voll­endete.

Auch die präch­tigen Paläste mit reichem Jugend­stil-Fassaden-Dekor im Stile der Wiener Seces­sion weisen auf die eins­tigen Macht­haber hin, nicht anders die Scha­ni­gärten, wo man Kaffee Mélange und Apfel­strudel bestellen kann. Manche Stadt­be­zirke tragen (den Öster­rei­chern) vertraute Namen wie Iosefin (Josef­stadt, József­város) oder Elisa­betin (Elisa­beth­stadt, Erzsé­bet­város). Einige Kirchen und Gebäude wiederum erin­nern daran, dass die Stadt nicht nur zu Öster­reich-Ungarn gehörte, sondern auch zu Serbien, dem Osma­ni­schen Reich und seit 100 Jahren zu Rumä­nien. So zum Beispiel die im rumä­ni­schen Neo-Brân­co­veanu-Stil an der Piața Victo­riei, dem Sieges­platz, der zweiten Flanier­meile der Stadt, acht Minuten zu Fuß von der Piața Unirii entfernt. Hier steht auch die Cate­drala Mitro­po­li­tană, Kathe­drale der Heiligen drei Hier­ar­chen Basi­lius des Großen, Gregor von Nazianz und Johannes Chry­sostomos, eine 1938 einge­weihte serbisch-ortho­doxe Kirche mit insge­samt elf Türmen im byzan­ti­ni­schen Stil.

Die Piața Victoriei mit Blick auf die Oper
Die Piața Victo­riei mit Blick auf das Natio­nal­theater und Opern­haus, in deren Gebäude sich auch das Deut­sche und das Unga­ri­sche Staats­theater befinden

Am Kiosk nebenan gibt es übri­gens serbi­sche Pljes­ka­vica, ein Hack­fleisch­ge­richt, und unga­ri­sche Lángos, mit Knob­lauch frit­tierte Hefe­teig-Fladen. Vis-à-vis lockt das Opera Café mit italie­ni­scher Küche, passend zum Teatrul Național și Opera Română, dem Natio­nal­theater und Opern­haus, das auch das Deut­sche Staats­theater Temeswar und das Unga­ri­sche Staats­theater „Csiky Gergely“ beher­bergt, und das 1875 von den Wiener Archi­tekten Hellmer und Fellner im italie­ni­schen Neore­nais­sance-Stil erbaut wurde. Vom Balkon der Oper aus hielten 1989 die Anführer der Revo­lu­tion ihre flam­menden Reden, die zum blutig gewalt­samen Sturz der Ceaușescu–Diktatur führten. Noch heute sind an einigen Fassaden die (denk­mal­ge­schützten!) Einschuss­lö­cher der Kugeln zu sehen, die die Sicher­heits­kräfte des Regimes auf die vielen Demons­tranten abfeu­erten.

Neun Jahre war Măce­laru seiner­zeit alt – zu jung, um die Trag­weite zu erfassen. Seine ältere Schwester hingegen, die eben­falls Musi­kerin ist, erin­nert sich an die Unruhe, die plötz­lich alle erfasste. Umso lebhafter sind Măce­larus Erin­ne­rungen, wie sie als Kinder, nicht weit entfernt von hier, am Denkmal des rumä­ni­schen Soldaten im Parcul Central (Zentral­park) singend und tanzend dem Diktator huldigen mussten, der im Heli­ko­pter seine Runden drehte. Auf der „Allee der Persön­lich­keiten“ am Eingang des Parks stehen Büsten von den Hono­ra­tioren der Stadt, darunter auch von dem Kompo­nisten und Erfor­scher rumä­ni­scher Volks­musik . Irgend­wann wird sich viel­leicht auch dazu gesellen, der lang­jäh­rige Opern­di­rektor der Wiener Staats­oper. Sein Vater betrieb in Timișoara eine Marme­laden- und Essig­fa­brik, die 1948 enteignet wurde. Auch der Sohn wurde von den Kommu­nisten verjagt, weil er 1956 an der Studen­ten­re­volte teil­nahm. Nun ist er wieder in der Stadt. Die Univer­sität, die ihn einst zwangs­exma­tri­ku­lierte, hat ihm die Ehren­dok­tor­würde verliehen.

Allee der Persönlichkeiten im Parcul Central
Allee der Persön­lich­keiten im Parcul Central

Der alte Herr fühlt sich geehrt, ist aber nicht zufrieden mit dem Programm der Kultur­haupt­stadt 2023. „Die Konzerte auf dem Platz kommen­tiere ich nicht, zu viel Lärm für meine Ohren.“ Auch das fünf­stö­ckige Metall­ge­rüst vor der Oper mit 1.306 Pflanzen gefalle ihm nicht, und Veran­stal­tungen wie das Flight-Festival, das ab Ende August 2023 mit Open-Air-Konzerten, Partys, Film- und Thea­ter­vor­füh­rungen vom Flug­hafen Cioca über die There­sien-Bastion, den Capitol-Sommer­garten bis zu einem Boot auf der Bega lockt, dürften seine Sache wohl auch nicht sein.

Begeis­tert äußert er sich aller­dings über die Ausstel­lung mit dem surrea­lis­ti­schen Künstler Victor Brauner im Kunst­mu­seum, die neben der Retro­spek­tive mit Werken von Constantin Brân­cuși das Kunst-High­light des Jahres ist. Gleich­zeitig beklagt Holender das fehlende Bewusst­sein für das, was Timișoara sonst noch ausmacht: „Wir haben bedeu­tende Lite­ratur, wir haben Bartók und ein drei­spra­chiges Theater unter einem Dach. Welche Stadt in Europa hat das schon?“

Timișoara (Rumä­nisch), Temeswar, Temesch­burg (Deutsch), Temesvár (Unga­risch) oder Темишвар bzw. Temišvar (Serbisch)? Diese Frage stellt sich tatsäch­lich nicht. Auch für Măce­laru waren die unter­schied­li­chen Spra­chen als Kind „normal“. Ein spezi­elles „Lenau-Deutsch“ wurde am Niko­laus-Lenau-Lyzeum an der Piața Unirii gelehrt, benannt nach dem altös­ter­rei­chi­schen Dichter. Hier ging die Nobel­preis­trä­gerin Herta Müller, die die Menta­lität und (Leidens-) Geschichte der Region beschrieb, zur Schule. Es heißt, habe Lenau geschätzt. Im Gäste­buch des Timișo­araer Phil­har­mo­ni­schen Vereins findet sich ferner Brahms« Unter­schrift, anläss­lich seines Auftritts am 15. September 1879, der die Stadt „in einen starken Trubel“ versetzte, wie es in der Presse hieß. Und so erklang im Capitol, einem alten Kino mit Ostblock-Charme unter Măce­larus Leitung sein Zweiten Klavier­kon­zert. Ioan Holender wurde im Konzert nicht gesehen. Dafür aber Dominic Fritz, der deut­sche Bürger­meister der Stadt.

Das Kultur­pro­gramm der Euro­päi­schen Kultur­haupt­stadt Timișoara

Das Natio­nale Kunst­mu­seum von Timișoara

Das Inter­na­tio­nale Festival Orgile Cetății (Orgel­fest) findet vom 28. Juni bis zum 6. September 2023 statt. Das Programm umfasst 16 Konzerte, in denen die 16 Orgeln von Timișoara zu hören sind. Konzert­ter­mine und weitere Infor­ma­tionen: timiso​ara2023​.eu

Die Ausstel­lung „Brân­cuși: Rumä­ni­sche Quellen und univer­selle Perspek­tiven“ ist vom 30. September 2023 bis zum 28. Januar 2024 im Natio­nalen Kunst­mu­seum von Timișoara zu sehen. Sie zeigt verschie­dene Phasen aus dem Wirken des Bild­hauers Constantin Brân­cuși. Weitere Infor­ma­tionen zur Brân­cuși-Ausstel­lung: timiso​ara2023​.eu

Das Muzicon Summer Camp findet vom 13. bis zum 19. August 2023 in The Village von Timișoara statt. Weitere Infor­ma­tionen zum Muzivon Summer Camp: timiso​ara2023​.eu

Die Neunte Ausgabe des Euro­päi­schen Thea­ter­fes­ti­vals EUROTHALIA wird unter dem Motto „Perspek­tiven“ vom 20. bis zum 30. September 2023 vom Deut­schen Staats­theater Temeswar veran­staltet. Das Festival vereint Theater, Tanz, Doku­men­ta­tion, Puppen­theater, Perfor­mances und multi­me­diale Elemente. Die Künstler kommen aus Deutsch­land, Spanien, Grie­chen­land, Belgien, Maze­do­nien, Lett­land, Däne­mark, Bulga­rien und Rumä­nien. Termine und weitere Infor­ma­tionen zum Theater Festival EUROTHALIA: timiso​ara2023​.eu

Weitere Kultur­ver­an­stal­tungen im Rahmen des Kultur­pro­gramms der Euro­päi­schen Kultur­haupt­stadt Timișoara: timiso​ara2023​.eu

Cafés, Bars und Restau­rants in Timișoara

Gaststätten und Cafés an der Piata Unirii
Gast­stätten und Cafés an der Piata Unirii

Kaffee trinken im Manu­fak­tura an der Piața Unirii oder mit einen Drink auf einer Schiffsbar am Ufer des Bega-Kanals entspannen. Im Yugo Pub bei deftigen Fleisch­pas­teten, gefüllter Paprika und Salată de vinete (gebra­tenes Auber­gi­nenmus) Balkan­musik hören oder sich im Bunker zu Rock­musik schüt­teln. Alles ist in Timișoara möglich, ob unter lind­grünen Stuck­de­cken, alten Kande­la­bern und Spie­gel­säulen im Restau­rant Lloyd dinieren oder im Scârț Loc Lejer in Elisa­betin bei Timișo­araer-Bier und einer Tüte Pufu­leti (Mais-Snack) abhängen. Im Ober­ge­schoss hat das freie Theater Auăleu seine Spiel­stätte. Im Unter­ge­schoss befindet sich das Museum des Kommu­nis­ti­schen Verbrau­chers mit Hunderten von Expo­naten aus dem Alltag vor der Wende. Vom Sky aus, der Dach­ter­rasse des sechs­stö­ckigen City Busi­ness Centre, hat man einen Ausblick über die ganze Stadt.

Hotels in Timișoara

Das Hotel Savoy liegt, elegant in modernem Art-déco-Stil errichtet, an der Bega in der Nähe des Alpinet-Parks. Die Zimmer wurden jüngst reno­viert.

Das Hotel Timișoara liegt im Herzen der Stadt auf dem Opern­platz, in einem eleganten Gebäude von 1933 mit wunder­barer Aussicht auf die Cate­drala Mitro­po­li­tană.

Fotos: Stefan Z auf Pixabay, https://commons.wikimedia.org/wiki/User:LuminitaM , https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Eli.P , https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Roland_Puskaric