Valer Sabadus
Der Womanizer vom Sopran
27. April 2022
Raus aus der Barockschublade, stattdessen Freiheit für den Kopf: Der Countertenor Valer Sabadus über Krieg und Kontrolle, Grenzgänger und Heimatlosigkeit!
CRESCENDO: Herr Sabadus, niemand kommt derzeit daran vorbei: Es ist Krieg. Wie geht es Ihnen mit der Situation, wo doch auch Ihre Familie als Spätaussiedler aus Rumänien, einem Land des früheren Ostblocks, nach Deutschland gekommen ist?
Valer Sabadus: Sie rückt mir sehr nahe. Und natürlich erschüttern mich die Fluchtschicksale. 2017 habe ich in Genf mit einem ukrainischen Bassisten gesungen. Er war dort am Theater engagiert und ging später in die Ukraine zurück. Nun ist seine Familie von dort geflohen, er aber musste bleiben wie alle erwachsenen Männer. Meine Frau stammt aus Moldawien und hat dort für seine Familie eine Unterkunft vermittelt. Es ist absolut grauenhaft, was die Menschen jetzt erleben.
Sie waren erst drei Jahre alt, als Nicolae Ceaușescus Régime in Rumänien endete. Würden Sie dennoch sagen, die Diktatur hat Sie geprägt?
Ich glaube schon. Die bleierne Atmosphäre, die Niedergeschlagenheit, die Angst vor dem Bespitzeltwerden durch die Securitate, das war irgendwie noch da. So klein ich damals war, ich kann mich noch erinnern, wie Ceaușescu vor laufenden Kameras hingerichtet wurde. Und wie die Großen alle vor dem Fernseher standen und feierten.
»Der kulturelle Schmelztiegel der Familie hat mich geprägt«
Haben Sie noch Erinnerungen an das Leben in der Diktatur?
Meine Eltern waren beide Musiker. Sie mussten sehr viel arbeiten, deshalb haben sich tagsüber meine Großeltern um mich gekümmert. Wenn ich dann abends nach Hause kam, gab es manchmal keinen Strom.
Welche Rolle spielte denn die Musik?
Sie war für mich in Arad, wo wir lebten, das Schönste! Die Konzerte, die ich hören konnte. Und wenn die Familie beisammen war, wurde gesungen und in drei Sprachen durcheinandergesprochen – Ungarisch, Rumänisch und Deutsch. Dieser kulturelle Schmelztiegel hat mich geprägt.
Sind Sie so zum Singen gekommen?
Nicht zum beruflichen Singen. Daran hat damals keiner gedacht. Ich habe in Landau an der Isar, wo ich nach der Emigration aufgewachsen bin, im Kinderchor und im Kirchenchor gesungen, da konnte ich mich musikalisch austoben. Das war viel lustiger, als für mich allein Klavier und Geige zu üben. Fürs Singen musste ich nicht üben – ich sang so, wie mir der Schnabel gewachsen war. Ohne Drill, den wollte ich nicht. Und schon gar nicht wollte ich zu den Regensburger Domspatzen.
»Irgendwann habe ich einfach bei den Frauenstimmen mitgesungen«
Und wie sind Sie ans Falsett geraten?
Ich hatte immer Sopran gesungen. Als ich in den Stimmbruch kam, hatte ich keine Registerbrüche, sondern habe einfach allmählich die Tiefe dazugewonnen. Meine Bruststimme ist eigentlich Baritonlage. Aber im Chor Bass zu singen, wäre sehr mühsam für mich gewesen, das gab immer so einen Druck auf die Brust. Als Tenor wiederum fehlte mir die Höhe. Ich habe dann bei den Tenören falsettiert, das fiel gar nicht auf und mischte sich gut. Ich habe mir gar nichts dabei gedacht. Und als ich dann im Oberstufenchor war, habe ich irgendwann bei den Frauenstimmen mitgesungen.
Wie mutig! Hatten Sie nicht Angst, von den anderen ausgelacht zu werden?
Überhaupt nicht. Ich war sowieso immer hinter den Mädels her. Da war schon ein bisschen Imponiergehabe dabei.
Klingt noch nicht wirklich nach einem Berufsplan.
Meine Mutter wurde irgendwann aufmerksam, als wir mal Andreas Scholl im Fernsehen singen hörten und ich ihn nachmachte. Sie hatte das vorher nicht so wahrgenommen, aber dann begleitete sie mich bei ein paar Stücken auf dem Klavier und sagte: „Ich glaube, du bist wirklich ein Countertenor.“ Das war die Initialzündung.
Countertenöre singen ja nicht einfach nur mit der Kopfstimme, sie mischen auch Bruststimme mit hinein. Wie macht man das?
Wir singen mit den Stimmbandrändern. Die müssen sich vollkommen schließen, sodass der Ton weder gepresst noch gehaucht klingt. Und dann gibt es Übergänge, wo man von der Brust- zur Kopfstimme wechselt oder auch von der Kopfstimme mit Bruststimmenanteil zum reinen Falsett. Diese Bereiche nennt man Passaggio. Da hängt alles vom Atemdruck ab. Wenn man zu viel drückt, führt das zu Brüchen im Klang.
»Aus der Poetik des Wunderbaren darf kein Kasperletheater werden«
Wenn man längere Zeit in einer Passaggio-Lage singt, ist das nicht sehr anstrengend?
Wenn man im Alt singt, ist das oft so. Ich war früher eher Sopranlage. Heute bin ich Mezzo. Meine Stimme hat sich verändert – das tut sie ja lebenslang. Sie ist dunkler und voller geworden.
Dann müssen Sie also auch Ihr Repertoire anpassen? Wie ist das überhaupt, wenn man so erfolgreich ist und so viele Händel-Opern singt? Hat man dann auch mal Lust auf Anderes?
Wir Countertenöre müssen ja aufpassen, dass wir nicht als Epigonen der Kastraten abgestempelt werden. Die Barockzeit, das war die Welt der hohen Stimmen – die Poetik des Wunderbaren, die Ambiguität der Geschlechterrollen. Das gehört auch heute noch dazu. Es darf nur kein Kasperletheater draus werden. Ja, ich interessiere mich durchaus und sogar sehr für anderes Repertoire. Es ist aber andererseits so, dass wir für Barock nun einmal am meisten gefragt werden.
Sie haben schon Grenzgänge unternommen.
Für das Album „Händel goes wild“ habe ich Brücken zum Jazz geschlagen und über einer Basslinie frei improvisiert. Das ist etwas anderes, als das verzierte Da capo einer Arie vorzutragen. Neue Musik habe ich noch nicht so viel gemacht, aber an der Berliner Staatsoper habe ich The Last Desire von Luca Ronchetti gesungen, ein Werk von 2004. Das hat mich fasziniert.
»Ich war früher ein wirklich großer Heavy-Metal-Fan«
Ende April 2022 erschien das Album „Closer to Paradise“, das Sie mit der Gruppe Spark aufgenommen haben. Da sind Stücke von Vivaldi bis Weill drauf und auch welche aus der Feder der Bandmitglieder. Die Mitglieder der Gruppe verstehen sich als Pioniere eines neuen Verständnisses klassischer Musik. Wie ist das gemeint?
Ich glaube, das Hauptbestreben der Band ist, klassische Musik besonders jungen Menschen oder auch Konzertgängern mit wenig klassischer Hörerfahrung zugänglich zu machen. Das erreicht sie, indem sie den Feinsinn eines klassischen Kammermusikensembles mit der Energie einer Rockband verbindet. Die Art und Weise, wie lustvoll und kühn die Genres und Stile vermischt und dabei die Grenzen ausgelotet werden, finde ich sehr inspirierend.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie In der Fremde von Schumann aus dem Liederkreis op. 39. Das hat der Pianist Christian Fritz mit Mitteln der Minimal Music aufgebrochen.
… also durchaus auch den Notentext verändert.
Ja, genau. Das Lied erzählt von einem Gefühl, das gerade heute hochaktuell ist: Heimatlosigkeit. Da gibt es durchlaufende, verzerrte Arpeggien, beständig kreisende Cellofiguren, jedes Instrument scheint seinem eigenen Drehimpuls zu folgen, man kennt sich gar nicht mehr aus, und zum Schluss sehnt man sich nach letzter Ruhe in der „schönen Waldeinsamkeit“. Mein größter Wunsch war Der Seemann von Rammstein. Es gibt den Song in einer Bearbeitung der finnischen Cellisten-Band Apocalyptica mit der Punk-Sängerin Nina Hagen. Ich war früher ein wirklich großer Heavy-Metal-Fan, besonders von dieser Band. Wenn die Musiker zwei Stunden lang auf der Bühne sitzen und mit der Mähne wedeln, ohne Frontmann, fast ohne Gesang, nur mit einem Schlagzeuger, und sich dabei auf der Bühne austoben, dann ist das unglaublich stark. Und dasselbe Feeling habe ich bei meinen Konzerten mit Spark.
Da können Sie mal raus aus der barocken Schublade.
Ja, da kann ich abheben. Am wichtigsten ist mir, dass der Kopf frei bleibt. In der Kunst wie im Leben.