Robert Stadlober

Vom Zwei­feln und Hadern

von Dorothea Walchshäusl

5. November 2020

Der Schauspieler Robert Stadlober taucht in der Hörbiographie „die Liebe liebt das Wandern“ tief ein in das Leben von Franz Schubert

Was wäre gewesen, wenn? Was war Zufall, was Fügung, was Glück, was Pech? Es gehört zum Faszi­nie­rendsten des Mensch­seins, dass sich die Auswir­kungen von Ereig­nissen und Begeg­nungen auf das weitere Leben meist erst im Rück­blick erschließen lassen. Beson­ders span­nend ist dieses Phänomen bei der Rezep­tion von Kunst aus längst vergan­genen Tagen zu erleben. Heute als Meis­ter­werk für sich betrachtet, entstand doch auch jedes Stück Musik, jedes Gemälde und jedes Gedicht immer im Kontext seiner Zeit, inspi­riert oder heraus­ge­for­dert durch gesell­schaft­liche und poli­ti­sche Ereig­nisse, als Wider­hall auf persön­liche Schick­sals­schläge und einge­bettet in die indi­vi­du­elle Lebens­si­tua­tion und Gefühls­lage seines Schöp­fers. Die Hörbio­gra­fien, die bereits seit etli­chen Jahren beim Baye­ri­schen Rund­funk erscheinen, setzen genau hier an. Leben und Wirken eines Kompo­nisten werden in diesem Format als Collage aus Musik­werken, Doku­menten, Tage­buch­no­tizen oder Briefen aufbe­reitet, wobei es gerade die Wider­sprüche, Ambi­va­lenzen und Brüche sind, die im Rück­blick aufhor­chen lassen. Nach verschie­denen Veröf­fent­li­chungen, unter anderem zu und Fanny und Felix Mendels­sohn, ist nun eine Edition zu mit dem Titel „Die Liebe liebt das Wandern“ erschienen, gestaltet von und einge­spro­chen von als Erzähler und in der Rolle des Schu­bert.

„Ich durch­wan­dere den Text und leuchte ihn aus“

Für Stadl­ober glich die Erar­bei­tung des Skripts einer span­nenden Entde­ckungs­reise, mitten hinein in die oft schwie­rige und raue Lebens­wirk­lich­keit Franz Schu­berts auf der stetigen Suche nach Aner­ken­nung, künst­le­ri­scher Selbst­ver­wirk­li­chung und gesi­cherter Exis­tenz. Die Aufnahme fand, coro­nabe­dingt, in kleinem Kreis an nur einem Tag in den BR-Studios in statt. Hinter der Scheibe lauschten der Regis­seur und Autor, im komplett abge­dun­kelten Studio saß Robert Stadl­ober mit Skript und Lese­lampe am Mikro­phon und füllte den Text mit Leben. „Wir haben intensiv und sehr frei mit dem Text gespielt und gear­beitet und verschie­dene Formen des Dekla­mie­rens auspro­biert, um den rich­tigen Rhythmus und die rich­tige Melodie für den Text finden“, erzählt Stadl­ober. „Ich durch­wan­dere den Text und leuchte ihn aus“, sagt der Schau­spieler. So könne das Publikum mit ihm gleichsam durch eine Text­land­schaft gehen und begleitet von ausge­wählten Kompo­si­tionen eine tiefer­ge­hende Vorstel­lung vom Menschen und Musiker Schu­bert .

„Schu­bert war immer auf der Suche nach dem Fest“

Stadl­ober selbst hat bei seiner Erkun­dung der Text­frag­mente und Beschrei­bungen von Franz Schu­bert einen Menschen entdeckt, der bei aller Melan­cholie und Trauer in seiner Musik immer auch eine riesige Sehn­sucht hatte „nach Freude und wildem, inten­sivem Leben. Eigent­lich war Schu­bert immer auf der Suche nach dem Fest“, so Stadl­ober, und er habe so viele mutige Pläne gehabt, die dann ein ums andere Mal an den Konven­tionen geschei­tert seien. Dieser stetigen Enttäu­schung habe Schu­bert mit starker Kraft getrotzt. „Schu­bert hat viele Kompro­misse verwei­gert und statt­dessen bedin­gungslos an das geglaubt, was er getan hat“, so Stadl­ober. Das habe ihn sehr beein­druckt. Der öster­rei­chi­sche Schau­spieler und Synchron­spre­cher hat schon sehr früh damit begonnen, parallel zu seiner Arbeit vor der Kamera oder auf der Bühne auch Hörbü­cher einzu­lesen. „Diese Verbin­dung von Musik und Lite­ratur finde ich unglaub­lich span­nend“, sagt Stadl­ober, und in gewisser Weise seien die konzen­trierte Text­ar­beit und das Vorlesen „die purste Form“ seines Hand­werks. „Ich erlebe das Körper­spiel immer als sehr anstren­gend. Letzt­lich geht bei mir immer alles erst mal vom Kopf aus, dann setze ich das um“.

„Schu­bert hat mich bestärkt, dass der Weg jenseits der Konven­tionen auf lange Sicht der rich­tige ist“

Mit Schu­bert hatte sich der 38-Jährige bislang nicht inten­siver ausein­an­der­ge­setzt, die Musik jedoch spielte im Leben von Stadl­ober spätes­tens seit seiner Jugend eine wich­tige Rolle. Mit 12 bekam er seinen ersten CD-Player, danach hörte er „wie im Rausch“, wie er erzählt, und verbrachte Stunden im Plat­ten­laden. Als Waldorf-Schüler lernte er zudem Geige, schwenkte später um auf Gitarre und brachte sich selbst auto­di­dak­tisch das Klavier- und Trom­pe­te­spielen bei. „Musik ist für mich die barrie­re­frei­este Kunst über­haupt“, sagt Stadl­ober, und diese beglü­ckende Frei­heit zele­briert er bis heute in seinen eigenen Rock­bands. Bei Schu­bert sind es die Lieder, die ihn am meisten berühren. „Wenn Musik mit Text verbunden wird, ist mir das am nächsten. Ich gehe auch lieber in die Oper als ins Konzert und werde gern inhalt­lich an der Hand genommen“, sagt Stadl­ober. Bei seiner Annä­he­rung an Schu­bert ist der viel­sei­tige Darsteller auf über­ra­schend viel Vertrautes gestoßen. „Schu­bert war ein großer Zweifler und Haderer – das ist mir sehr nahe“, so Stadl­ober, und auch das roman­ti­sche Gedan­kengut faszi­niere ihn sehr. „Ich habe eine große Sehn­sucht danach, Texte zu finden, die nicht vom deut­schen Über­men­schentum berichten und frei sind vom Brustton der abso­luten Über­zeu­gung“, sagt der Künstler. Viel eher finde er sich in Werken und Texten wieder, die von „Verletz­lich­keit, Nach­denk­lich­keit und Zwei­feln“ geprägt sind. Von eben dieser Größe und Brüchig­keit zugleich zeugen auch die Werke Franz Schu­berts, der Zeit seines Lebens hin- und herge­rissen war zwischen der Suche nach neuen Wegen und dem Bedienen der konven­tio­nellen gesell­schaft­li­chen Erwar­tungen. „Dieser innere Zwie­spalt ist mir sehr vertraut“, sagt Stadl­ober, und es sei tröst­lich gewesen zu sehen, dass sich in mancherlei Hinsicht wenig verän­dert hat. Die Beschäf­ti­gung mit dem Ringen und Wirken Franz Schu­berts war für Stadl­ober dabei nicht zuletzt auch eine inspi­rie­rende und Mut machende Arbeit für sein eigenes Leben: „Schu­bert hat mich darin bestärkt, dass der sture Weg jenseits der Konven­tionen zwar viel­leicht nicht immer der glück­li­chere, aber auf lange Sicht der rich­ti­gere ist. Heute sind alle begeis­tert von Schu­berts Musik. Ich denke, man darf die Menschen nicht unter­schätzen. Man kann ihnen viel zumuten. Ein Publikum möchte Neues erfahren und kann wachsen am Inhalt.“

Fotos: Guido Werner