Ein interdisziplinäres Bühnenstück
Liebesfragmente
von Sina Kleinedler
20. Dezember 2018
Der Cellist Alban Gerhadt, die Geigerin Gergana Gergova, der Bildhauer und Maler Alexander Polzin und die Regisseurin und Choreografin Sommer Ulrickson entwickeln ein Bühnenstück über die Liebe.
»Liebeserklärung: Neigung des Liebenden, das geliebte Wesen mit verhaltener Erregung und ausgiebig über seine Liebe, es selbst, ihn selbst und sie beide ins Bild zu setzen.« (Roland Barthes)
Roland Barthes
Von A wie Abhängigkeit bis Z wie Zugrundegehen beleuchtet der Philosoph Roland Barthes in seinem 1977 erschienenen Werk Fragmente einer Sprache der Liebe lexikalisch Aspekte der vielleicht größten Macht der Welt. Das Buch wurde nun zum Ausgangspunkt eines ungewöhnlichen Projekts zweier Künstlerpaare: Der Cellist Alban Gerhardt und die Violinistin Gergana Gergova, der Bildhauer und Maler Alexander Polzin und die Regisseurin und Choreografin Sommer Ulrickson entwickelten love in fragments, ein interdisziplinäres Bühnenstück über die Liebe.
Die Kooperation entstand aus der Freundschaft der Paare. Gerhardt erinnert sich: „Ich lernte Alexander Polzin kennen und war sofort begeistert von seiner Kunst. Irgendwann waren wir dann zu einer Aufführung des Stückes Fear To Go seiner Partnerin Sommer Ulrickson eingeladen, und es war mit das Beste, was ich je an Theater gesehen habe. Da die beiden mich und meine Frau ebenfalls gehört hatten, beschlossen wir, zusammen etwas zu kreieren.“ In Fear To Go thematisierte Ulrickson verschiedene Aspekte der Angst, für das gemeinsame Projekt musste ein neues Thema gefunden werden. Es wurde die Liebe: „Das bietet sich an bei zwei Paaren!“
Alexander Polzin war es, der Roland Barthes« Werk mit ins Spiel brachte: „Fragmente einer Sprache der Liebe befindet sich im Graubereich zwischen Literatur und Philosophie, es ist im Grunde ein Plädoyer für eine romantische Vorstellung von Liebe. Und was könnte besser geeignet sein, um diese romantischen Vorstellungen zu untersuchen, als unterschiedliche Kunstmedien wie Musik, Bildhauerei, Tanz, Literatur und Theater? Dass diese Künste sich auf Augenhöhe begegnen, nicht einander illustrierend, sondern beflügelnd, ist das große Abenteuer, auf das wir uns einlassen.“
Im visuellen Fokus steht Polzins Bühnenskulptur a sight for sore eyes. Die 2,40 Meter große Skulptur zeigt zwei nackte, sich umarmende Körper und stellte den Bildhauer vor besondere Schwierigkeiten: „Sie besteht aus transparentem Gießharz, aus dem man sonst Dinge macht, die maximal 30 bis 40 Zentimeter groß sind.“
Für Polzin ist die Verschmelzung von bildender Kunst und Musik kein Neuland, er arbeitete bereits mit großen Komponisten wie György Kurtág und Helmut Lachenmann zusammen und entwarf Bühnenbilder, unter anderem für den Parsifal der Salzburger Osterfestspiele: „Meine autonome Arbeit als Bildhauer und Maler befindet sich in einem ständigen imaginären oder auch konkreten Austausch mit anderen Künsten, vor allen Dingen mit Musik. Seit ich denken kann, war Musik bei der Arbeit und im Atelier präsent.“
Die musikalische Auswahl trafen Alban Gerhardt und Gergana Gergova. Jörg Widmanns Duos für Geige und Cello, Auszüge aus Bachs Solostücken für beide Instrumente, Transkriptionen seiner zweistimmigen Inventionen, aber auch von den Schauspielern gesungene Popsongs sind Teil des Programms. love in fragments bringt die Musiker in ungewohnte Spielsituationen. Haben Sie schon einmal eine im Liegen spielende Violinistin gesehen? Oder einen Cellisten, der mit einer Dame auf dem Schoß eine Bach-Suite interpretiert? Gergova und Gerhardt stehen, gehen, liegen und werden von den Choreografen bewegt, während sie nicht nur die Musik, sondern auch die Bühne (be-)spielen. Diesen Herausforderungen stellt sich Alban Gerhardt mit Humor: „Es ist auf jeden Fall nicht schlecht, auch mal im Liegen oder Stehen aufgetreten zu sein, da weiß man, dass nichts passieren kann, auch wenn mal ein Stachel wegrutscht oder ein Stuhl zusammenbricht. Aus seiner eigenen Komfortzone herauszugehen ist wichtig.“
Im Mai trafen sich die Künstler zu einer ersten intensiven Probenphase in Snape Maltings, der alten Malzfabrik, die Benjamin Britten im englischen Städtchen Aldeburgh für sein Festival zum Konzertsaal umbauen ließ. „Es ist wie in einem Chemielabor“, setzt Polzin zu einem ungewöhnlichen Vergleich an: „Bis man anfängt zu proben, ist alles Theorie. Man hat auf einem großen Tisch Barthes« Text und viele Ergebnisse von Untersuchungen und Forschung zum Thema Liebe. Erst wenn das Experiment beginnt, schüttet man all diese unterschiedlichen Zutaten zusammen und schaut, welche Reaktionen passieren, welche neuen Stoffe entstehen.“ Für Polzin endet sein Anteil am Experiment nicht mit der „Ablieferung“ der Skulptur: „Es handelt sich bei der Bühnenskulptur nicht um eine normale Form des Bühnenbildes, sondern um eine Skulptur, die auch unabhängig ihre eigene Wertigkeit hat. So wie die Musikstücke, die auch autonom in einem Konzert vorgetragen werden können, kann meine Skulptur auch autonom ausgestellt werden, hat aber einen Mehrwert im Kontext der Aufführung. Ich habe verschiedene Möglichkeiten, mit ihr umzugehen, sie zu behandeln und einzubeziehen, in sie hineingedacht. Die lege ich aber nicht sofort offen. Ich bin selbst neugierig, was die Performer und Musiker auf der Bühne damit machen.“
Dass die Skulptur mehr als ein Bühnenbild ist, spürt auch Alban Gerhardt deutlich: „Neben so einer Statue zu sitzen, ist sehr berührend. Sie ist wunderschön, auch ihre Haptik und die verschiedenen Beleuchtungen. In diesem Moment spielt man anders. Das ist die Idee des Ganzen: Dass die Kunstformen sich gegenseitig inspirieren und das Gesamtwerk vom Publikum so noch besser verstanden und aufgesogen werden kann. Man versteht die Musik teilweise besser, wenn man nicht nur die ganze Zeit Musik hört, und man versteht die teilweise philosophischen Texte deutlicher, wenn sich das Gehirn bei Musik entspannen kann oder neu herausgefordert wird.“
Der nächste Schritt vor der offiziellen Uraufführung im März 2019 in New York – und bevor das Stück hoffentlich auch bald in Deutschland zu erleben sein wird – ist eine zweite intensive Probenphase, in der die verschiedenen Fragmente in der Symbiose weiter fokussiert werden. Polzin hat das Wunschziel der Künstler klar vor Augen: „Künstlerische Medien können in der Lage sein, Denkprozesse anzuschieben, die sonst nicht ohne Weiteres stattfinden würden. Diese Prozesse sind bei einer künstlerischen Umsetzung untrennbar mit emotionalen Vorgängen verbunden. In einer Aufführung kommt im besten Fall nicht nur das Hirn in Bewegung, sondern auch das Herz. Das ist es, was wir uns wünschen.“