Ein Anruf bei Regisseur Andreas Wiedermann

Oper in Hitlers Heiz­kraft­werk

von Maria Goeth

27. Oktober 2017

Oper im Zirkus, im Jugendstil-Schwimmbad, in einer ehemaligen Reithalle oder einem Uni-Hörsaal. crescendo im Gespräch mit Regisseur Andreas Wiedermann.

Oper im Zirkus, im Jugend­stil-Schwimmbad, in einer ehema­ligen Reit­halle oder einem Uni-Hörsaal. crescendo im Gespräch mit Regis­seur Andreas Wieder­mann, der für seine Produk­tionen mit Opera Inco­gnita gerne Räume mit sehr beson­derer Patina wählt.

crescendo: Herr Wieder­mann, gerade erar­beiten Sie Carmen in Hitlers ehema­ligem Münchner Heiz­kraft­werk. Warum?

: Unsere erste Asso­zia­tion bei dieser Oper war eine Indus­trie­halle. Ein Raum, der eine gewisse Bruta­lität und Nackt­heit ausstrahlt, in dem man die Figuren auch völlig vonein­ander isolieren kann. Nach einigen Fehl­ver­su­chen sind wir auf diesen Raum gestoßen und haben uns sofort verliebt: Er ist karg und doch lebendig, hat Chaos­faktor und Ruhe zugleich.

Greifen Sie die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Vergan­gen­heit des Raumes auf?

In erster Linie fanden wir den Raum an sich richtig und span­nend. Bezug zu seiner NS-Vergan­gen­heit schafft jedoch, dass wir eine Art Lager behaupten: Unsere Carmen spielt in einem fiktiven und nicht näher veror­teten Textil-Sweat­shop, aus der die Nähe­rinnen nicht entfliehen können. Sie müssen dort leben, , schlafen und zu unmög­li­chen Zeiten und Kondi­tonen arbeiten. Die Soldaten wurden zu para­mi­li­tä­ri­schen Aufse­hern umfunk­tio­niert. Also eine Art Arbeits­lager.

Wie treffen Sie allge­mein Ihre Raum­aus­wahl?

Die Idee zu raum­spe­zi­fi­schen Opern­pro­jekten kam uns vor über zehn Jahren aus der Not: Wir hatten zu wenig Budget für eigene Bühnen­bauten. Glucks Armide spielten wir in der Münchner Reak­tor­halle. Das Projekt lief so gut, dass wir das Provi­so­rium zum Konzept erhoben haben: Seitdem suchen wir Räume, die eine Geschichte erzählen, Leben in sich , Spuren haben. Für Wagners selten gespielten, tabui­sierten Rienzi haben wir zum Beispiel einen Raum gesucht, der uns einen Bruch erlaubt. Den fanden wir in einem Uni-Hörsaal.

Absei­tige Räume schön und gut, aber wie sieht es dort mit der Akustik aus?

Die akus­ti­schen Schwie­rig­keiten muss man einfach benutzen, sie spielen mit!

Ihr Raum-Werk-Wunsch­traum?

Vor einigen Jahren war ich in . In Orchha gab es einen völlig verwun­schenen, verfal­lenen Raja-Palast. Ich könnte mir wunderbar vorstellen, vor dem dortigen spiri­tu­ellen Hinter­grund mittel­eu­ro­päi­sche Oper mit magi­schen Momenten aufzu­führen, zum Beispiel Händels Alcina. Dort hat man einen ganz anderen, viel konkre­teren Bezug zu Zauberei und Magie. Das wäre eine komplette Durch­mi­schung der Kulturen!

www​.opera​-inco​gnita​.de

Fotos: privat