Anna Prohaska
»Das Paradies ist langweilig«
5. April 2020
Anna Prohaska mag keine Klischees. Ein Gespräch mit der Koloratursopranistin über Frauenbilder, Rollenverteilung, Ignoranz und: das Glück der leisen Töne.
CRESCENDO: Frau Prohaska, in Ideomeno sind Sie die Ilia, eine kriegsgefangene Prinzessin, die sich in den Feind verliebt. Das ist ja in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung…
Anna Prohaska: Absolut. Auf der schauspielerischen Ebene finde ich es spannend, die Ilia nicht als Opfer oder schwächliches Prinzesschen darzustellen, sondern als Frau, die ihren Prinzipien, ihrer Familie und ihrem Land treu bleiben will. Entsprechend versuche ich, diesen Konflikt der Liebe zum Feind aus einer inneren Stärke heraus zu beglaubigen, die vielleicht eher aus der Stimmfarbe kommt – statt zu versuchen, sie durch große schauspielerische Verrenkungen von außen draufzusatteln.
Sie begreifen sich zu gleichen Teilen als Sängerin und Schauspielerin?
Im Idealfall sind Sänger Musiker und Schauspieler zu je 50 Prozent. Viele erklären sich zu Sängern, als wäre das eine Art eigener Spezies. Gerade in Konzerten oder Liederabenden fühle ich mich wie eine Musikerin, nicht wie eine Hülle der Stimme. Die Musik ist etwas viel Größeres als wir, größer als die Persona der Primadonna oder des Primo Uomo.
Achten Sie bei der Rollenwahl auch darauf, welches Frauenbild damit transportiert wird?
Ich habe natürlich an Inszenierungen mitgewirkt, mit deren Frauenbild ich mich nicht identifizieren konnte. Da muss man sich entscheiden, ob man gegen die Regie ankämpft oder versucht, mit Charme, Humor oder Diplomatie den Regisseur vom eigenen Bild zu überzeugen. Zum Beispiel, wenn man in eine extrem sexualisierte Richtung gedrängt werden soll, wenn jede Arie eine neue Spielerei damit ist. Ich bin nicht prüde, aber bei solchen Konzepten bekomme ich schnell das Gefühl, das ist jetzt doch totgetreten.
»Männer sind nicht immer die Chauvis, Frauen nicht automatisch die emanzipierten Vielseitigen.«
Ist das ein Problem der Männerdominanz in Ihrer Branche?
Ich habe bei Regisseuren erlebt, dass sie einen in ein Klischee zu drängen versuchen, genauso aber auch bei Regisseurinnen, die einen benutzen für einen Topos oder eine Repräsentation von etwas total Eindimensionalem. Die Männer sind nicht immer die Chauvis, die Frauen nicht automatisch die emanzipierten Vielseitigen. Es gehen ja auch nicht alle Frauen gern shoppen.
Ist der Klassikbetrieb in Fragen von Repräsentation zurück hinter dem Sprechtheater?
Mittlerweile wird auch in der Oper sehr international besetzt. Noch vor 20, 30 Jahren, das haben mir dunkelhäutige Kollegen erzählt, war Hautfarbe ein selbstverständliches Kriterium für Absagen. Weil es hieß, das passe irgendwie nicht. So was treibt mich zur Weißglut. Nehmen wir Così fan tutte, zwei Schwestern – was spricht dagegen, dass die eine schwarz ist, die andere weiß? Es ist doch viel unrealistischer, dass jemand, der an Tuberkulose stirbt, 15 Minuten eine heldische Arie vorträgt.
Aber das glauben die Leute.
Im Englischen gibt es die schöne Wendung „suspension of disbelieve“, was meint, über das Unglaubhafte hinweg in eine Fantasiewelt, eine andere Realität zu kommen. Das ist doch eigentlich das Tolle an der Oper! In Star Wars schießen die Sturmtruppen auch immer daneben, und die Helden überleben. Ist das etwa realistisch?
Um zu den Frauen zurückzukommen – auf Ihrer neuen CD „Paradise Lost“, die nach dem gleichnamigen Versepos von John Milton betitelt ist, widmen Sie sich unter anderem der biblischen Eva. Wodurch ist dieses Projekt inspiriert?
Ursprünglich wollte ich mich mit griechischen Sagen beschäftigen. Über den Garten der Hesperiden bin ich dann auf dieses Motiv des ewigen Lebens und der ewigen Jugend gekommen, das ja in fast allen Mythologien und Kulturen existiert. Es hat mich gereizt, mir den monotheistischen Kreis der abrahamitischen Religionen, die ja sämtlich in Mesopotamien wurzeln, darauf näher anzuschauen und zu hinterfragen, welche Sehnsüchte sich in diesen Jungbrunnen-Bildern eigentlich formulieren. Ähnlich wie der Olymp der Griechen war der Garten Eden für die Menschen eine Art, sich ihre Herkunft zu erklären.
»Es ist Eva, die mit der Schlange, also Satan, in Kontakt tritt.«
Okay, aber hätte das nicht charmanter geschehen können als mit einer Frau, die der Rippe des Mannes entstammt?
Klar, die Frau als Ebenbild des Mannes hat keine Alleinstellung. Aber ich finde es spannend, dass Eva diejenige ist, die mit der Schlange, also Satan, in Kontakt tritt, die sich aktiv entscheidet, den Apfel zu probieren und an Adam weiterzureichen. Sie hat die Handlungsmacht. Ist Eva nicht vielleicht sogar ein weiblicher Prometheus? Sicher, sie hat sehr viel negative Presse erlebt in den vergangenen Jahrtausenden, sie ist der Ursprung der Erbsünde, verantwortlich für die Schmerzen bei der Arbeit, der Geburt, kurzum, des irdischen Lebens…
Ein echtes Imageproblem.
Wenn man daran glaubt, sind wir Menschen dadurch aber auch unabhängig geworden. Wir haben uns für den schweren Weg entschieden. Wenn ich mir die gegenwärtige politische Situation anschaue, ist es vielleicht sogar sinnvoller, die schmerzhafte Wahrheit zu wählen als die simplen Illusionen und Lügen. Vielleicht war Eva diejenige, die uns herausgerissen hat aus diesem „zugedrogten“ benebelten Paradieszustand.
»Ich beschäftige mich gern mit konfliktgeladenen Stoffen.«
Hatten Sie vor der Beschäftigung ein bestimmtes Bild vom Paradies, einen konkreten Begriff?
Ich fand das Paradies vorher eher langweilig. Ich beschäftige mich gern mit konfliktgeladenen Stoffen.
Wie dem Ersten Weltkrieg, auf Ihrer CD „Behind the Lines“?
Ja, oder auf „Serpent & Fire“ mit Dido und Kleopatra, zwei Königinnen, die sich umgebracht haben für Liebe und Politik. Aber in der Recherche zu „Paradise Lost“ habe ich realisiert, wie viele Einflüsse aus verschiedenen Kulturkreisen das Paradies birgt. Dabei war Eva längst auch nicht immer die negative Figur, sie wurde beispielsweise auch als Spiegelbild der Gottesmutter Maria gesehen. Es gibt einen gregorianischen Gesang, Ave Maris Stella. Ave, heil dir, was man umdrehen kann zu Eva.
Wie sind Sie dramaturgisch bei „Paradise Lost“ vorgegangen?
Ich habe die Stücke in verschiedene Gruppen gefasst, angefangen mit Ein Morgen im Paradies: Die Sonne geht auf, Gott gibt Eva einen Auftrag wie Orpheus, nämlich jedem Tier und jeder Pflanze einen Namen zu verleihen. Das steckt in Faurés Paradis. Dann folgen Die Erschaffung der Eva, Vertreibung, Exodus, Erinnerung und schließlich Das irdische Leben.
Den Ton setzen Sie eingangs mit Ravels Trois beaux oiseaux du paradis…
Ravel beschreibt eine Art Rückblick. Eine Frau wartet auf ihren Mann, der aus dem Ersten Weltkrieg wiederkehren soll. Stattdessen landen aber drei Vögel in verschiedenen Farben – Blau, Weiß und Rot bezeichnenderweise –, die ihr die Todesnachricht überbringen. Das geht über in Bernsteins Silhouette, das auf einem libanesischen Volkslied basiert und uns nach Mesopotamien führt, in den heutigen Mittleren Osten. Für mich öffnet sich da wiederum eine Parallele zu Schumanns Das Paradies und die Peri, das Syrien als Land beschreibt, in dem Milch und Honig fließen, während wir damit heute den Horror des Krieges verbinden.
»Es gibt keine Grenzen, wir haben eine Welt.«
Schließt für Sie auch das Motiv der Vertreibung daran?
Natürlich, die Flucht zieht sich ja durch die Jahrhunderte, von der Völkerwanderung bis zu den Migrationswellen, die wir heute erleben und die uns klarmachen, dass sich eine Weltordnung ändern muss. Es ist doch absurd, irgendwelche Zäune hochzuziehen. Es gibt keine Grenzen, wir haben eine Welt. Mit dem Begriff von Nationalstaaten, mit neuen Mauern kommen wir nicht weiter. Ich hatte gehofft, nach 1989⁄90 hätte sich das alles erledigt. Aber ganz im Gegenteil.
Sie haben sich gelegentlich über Kollegen gewundert, die in der Kantine nur über Probenzeiten und andere Problemchen reden. Ändert sich das, wird es politischer?
Auf jeden Fall. Der Pianist Igor Levit zum Beispiel, ein sehr guter Freund von mir, engagiert sich stark politisch und hält auch seinen Kopf dafür hin, trotz der anonymen Anfeindungen, die auf Twitter und anderswo überschießen. Meine Kollegin Elsa Dreisig, mit der ich in Violetter Schnee gespielt habe, tritt für den Umweltschutz ein. Es gibt auch im klassischen Bereich immer mehr Menschen, die nicht mehr im Elfenbeinturm verharren wollen.
Nervt Sie dennoch etwas am Betrieb?
Wir haben an der Staatsoper das Glück, dass der Castingdirektor ein ehemaliger Sänger ist und sich wirklich auskennt. Das ist leider die Ausnahme. Es gibt so viele Castingdirektoren, bei denen man sich fragt, wie sie in diese Position gelangt sind. Die nach YouTube besetzen, ohne zu wissen, wie die Stimme überhaupt im Raum klingt. Oder die Menschen aufgrund ihres Aussehens besetzen, weil sie vermeintlich passen für eine Lulu oder einen Othello.
Wehret den Äußerlichkeiten… Immerhin haben Sie alle Vergleiche mit Anna Netrebko im Keim erstickt!
Weil sie peinlich und unangenehm für mich waren. Anna Netrebko hat eine ganz andere stimmliche Entwicklung als ich genommen, in Richtung Verdi, jetzt auch Wagner. Da sehe ich mich überhaupt nicht. Leute ohne Ahnung erwarten nach solchen Vergleichen doch, dass ich mit einer Riesenstimme auf die Bühne komme und das Publikum wegföhne. Das ist übrigens noch eine Sache, die mich am Business ärgert: dass laut automatisch als gut gilt.
Das ist ja in vielen Lebensbereichen so.
Anna Prohaska: Deswegen liebe ich die Barockszene. Dort hat sich längst die Gewissheit durchgesetzt, dass es nicht immer der Ferrari sein muss. Der etwas langsamere Oldtimer mit dem offen Verdeck kann viel mehr Genuss bieten.
„Paradise Lost“, Anna Prohaska, Julius Drake (Alpha)
Zu beziehen u.a.: www.jpc.de
Informationen zu geplanten Auftritten von Anna Prohaska auf ihrer Website: www.annaprohaska.com