Apps zum Komponieren

Kompo­nieren für jeder­mann

von Carlotta Rabea Joachim

9. November 2020

Apps, die versprechen, dass auch der musikalische Laie damit komponieren könne, schießen wie Pilze aus dem Boden. CRESCENDO hat einige dieser Künstlichen Intelligenzen getestet.

AIVA – Arti­fi­cial Intel­li­gence Virtual Artist

AIVA kompo­niert Sound­tracks und ist darin erschre­ckend gut. Jeder kann das Programm extrem schnell und einfach bedienen, musi­ka­li­sche Vorbil­dung ist nicht notwendig. Perfekt für Menschen der Unter­hal­tungs­branche, die beson­ders schnell, beson­ders viel und beson­ders kosten­günstig Musik zur Unter­ma­lung benö­tigen – und schade für „echte“ Kompo­nisten der Mittel­klasse, die sich ganz bald einen neuen Job suchen müssen. AIVA kann verschie­dene Stile und verschie­dene Beset­zungen. Beein­dru­ckend ist die Möglich­keit, ein bestimmtes Stück als Vorbild hoch­zu­laden, an dem AIVA sich orien­tiert. Seine künst­le­ri­sche Aussa­ge­kraft beschränkt sich derzeit zwar auf Plagiate – nichts Anderes wird von mensch­li­chen Film­kom­po­nisten meist auch verlangt –, aber was, wenn AIVA eines Tages kreativ wird? Diese KI schläft nicht.

Meine Kompo­si­tionen mit AIVA

Ich habe drei Stücke mit AIVA kompo­niert. Die Bear­bei­tungs­mög­lich­keiten im Programm waren mir aller­dings zu beschränkt, sodass ich aufgrund meiner Ände­rungs­wün­sche die von AIVA gene­rierten Werke herun­ter­ge­laden und in der Digital Audio Work­sta­tion (DAW) bear­beitet habe.

Meine Kompo­si­tionen mit AIVA zum Anhören: Modern Cine­matic
Meine Kompo­si­tionen mit AIVA zum Anhören: Modern Cine­matic 2
Meine Kompo­si­tionen mit AIVA zum Anhören: Chinese

Weitere Infor­ma­tionen zu AIVA unter: aiva​.ai

ALYSIA – Auto­mated LYrical Song­wrI­ting Appli­ca­tion

Das klas­si­sche Tage­buch, dem man seine Sorgen und Gefühle anver­traut, bekommt musi­ka­li­sche Konkur­renz: Alysia hilft auch Nicht-Noten­le­sern und Sing­ver­wei­ge­rern, Songs auf der Grund­lage emotio­naler Schlag­wörter zu kreieren, sie baukas­ten­artig zusam­men­zu­setzen und von der App singen zu lassen. Oder seine eigene Stimme so sehr zu bear­beiten, dass sie nicht mehr pein­lich klingt. Zu selbst verfassten oder – falls man einmal nicht weiß, was man seinem Tage­buch erzählen möchte – von Alysia vorge­schla­genen Texten werden verschie­dene melo­di­sche Möglich­keiten gene­riert, die nicht origi­nell, aber auch nicht unge­nießbar klingen. Auf jeden Fall lässt sich mit Alysia ein Lied kompo­nieren, über das Oma sich zu ihrem 80. Geburtstag freut.

Mit ALYSIA habe ich einen Song geschrieben, den das Programm shark with tooth decay genannt hat. ALYSIA hat vorab von mir Gute-Laune-Schlag­wörter wie „cele­bra­tion“ und „happy“ bekommen, woraufhin das Programm unter Einfluss dieser Infor­ma­tionen Melo­dien und Text erfunden hat. Die von ihm vorge­schla­genen Tonhöhen des „Gesangs“ waren mir zu gefällig, sodass ich sie etwas verän­dert habe. Viel Spiel­raum hatte ich hierbei leider nicht, vor allem in Bezug auf den Rhythmus der Melodie. Es bleibt ein ziellos umher­wan­dernder Eindruck zurück, der typisch für das Programm ist, wenn es selbst singt, oder man sich beim Karaōke genau an die vorge­ge­benen Tonhöhen hält. Beein­dru­ckend sind Beispiele von ALYSIA-Songs im Netz nur, wenn sich die Sänger nicht an die Vorschläge des Programms halten und dieses nur den Back­ground liefert. Der unsin­nige und hoffent­lich lustige Text ist durch das Zusam­men­spiel zwischen den Text­vor­schlägen des Programms und meiner Fantasie entstanden:

this is a happy song
so be happy, too
otherwise there is a risk of sanctions
and tooth decay
the sun is shining pink
a fish swims in the sink
oh no, it is a shark
with tooth decay
the sun is shining dark
the shark starts to bark
this is a happy song
tears of joy drip down one thousand rivers
all we have is happiness
and tooth decay
and a shark
in the sink
all we can do is sing
and bark like the shark
there is no tomorrow
only tooth decay
so come closer
and smell the breath of the fish
love is everything
so come even closer

Meine Kompo­si­tion mit ALYSIA

Mein mit ALYSIA kompo­nierter Song anzu­hören unter: shark with tooth decay

Weitere Infor­ma­tionen zu ALYSIA unter: www​.witha​lysia​.com

Ludwig

Dieses Programm muss nur mit einer Melodie gefüt­tert werden, die Beglei­tungen kompo­niert es selbst. Verschie­dene Stile und Beset­zungen sind möglich. Profes­sio­nelle Kompo­nisten verstehen viel­leicht nicht, wozu so eine „Kompo­nier-Back­mi­schung“ gut sein soll – Laien und Schü­lern aber ermög­licht Ludwig, in verein­fachter Form einen Kompo­si­ti­ons­pro­zess zu erleben. Durch das Zusam­men­spiel der fertigen Anteile mit den mögli­chen „Zutaten“ entsteht ein Lern­ef­fekt. Somit könnte Ludwig für den Musik­un­ter­richt in Schulen eine Berei­che­rung sein. Noten­lesen sollte man für die Noten­ein­gabe können, zur Not greift man auf Ludwigs Daten­bank zurück. Schön ist, dass Ludwig die Begleit­stimmen direkt ausschreibt, sodass sie ausge­druckt und mit echten Instru­menten und Gesang reali­siert werden können.

Meine Kompo­si­tion mit Ludwig

Mein Ludwig-Stück heißt Czech Albino, da Ludwig auch Titel gene­rieren kann – vermut­lich zufällig. Das Stück ist „für RB 68 Band“ (Rhythm and Blues, ’68 ist eine Noise-Punk-Band) und von Ludwig selbst geschrieben.

Meine Kompo­si­tionen mit Ludwig zum Anhören: Czech Albino

Weitere Infor­ma­tionen zu Ludwig unter: www​.write​-music​.com

Impro AI

Diese App ist ein kleines Impro­vi­sa­tions-Spie­le­pa­ra­dies für Rhythmus- und Effekt­fans. Vorkennt­nisse sind nicht nötig, da die Bedie­nung intuitiv erfolgt. Die Ergeb­nisse klingen sehr gut, lassen sich aber nicht für die Ewig­keit einfangen. Auch können keine eingän­gigen Herz­schmerz­songs kreiert werden, was nicht unbe­dingt ein Nach­teil sein muss. Einen groß­ar­tigen Lern­ef­fekt gibt es nicht, Lange­weile kommt aber auch nicht auf – das sind gute Voraus­set­zungen für ein künst­le­ri­sches Flow-Erlebnis.

Weitere Infor­ma­tionen zu IMPRO AI unter: www​.musi​-co​.com

A.I. Duet

Hier kann jeder auf seiner Compu­ter­tas­tatur mit einem künst­li­chen Impro­vi­sa­ti­ons­partner kommu­ni­zieren. Der Mensch fängt an, der Computer antwortet musi­ka­lisch eini­ger­maßen sinn­voll. Damit das klin­gende Google-Expe­ri­ment aber nicht frus­triert, sollte man dem Computer unbe­dingt nur kleine Häpp­chen vorwerfen und versu­chen, auf seine Antworten wiederum entspre­chend selbst zu reagieren. Mit A.I. Duet lässt sich zwar nicht kompo­nieren, doch dieje­nigen, die sich für Impro­vi­sa­tion inter­es­sieren oder impro­vi­sieren lernen, sich auf alle Fälle nicht blamieren wollen, können prima damit üben.

Weitere Infor­ma­tionen zu A.I. DUET unter: expe​ri​ments​.with​google​.com

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Ein Porträt von David Cope, dem Pionier im Experimentieren mit Künstlicher musikalischer Intelligenz 

Fotos: deepart.io