Ulrich Matthes
„Ich war der Schrecken des Werkunterrichts“
von Alexander Rapp
18. September 2018
Wir trafen Ulrich Matthes auf einen Kaffee. Der Schauspieler und Synchronsprecher erzählt von Morddrohungen, weil er seine politische Meinung geäußert hat.
Ulrich Matthes (*1959) ist ein deutscher Schauspieler und Synchronsprecher. Seit 2004 ist er Ensemblemitglied am Deutschen Theater Berlin.
Dem Fernsehpublikum wurde er unter anderem in der Rolle des Joseph Goebbels im Spielfilm „Der Untergang“ bekannt. Gerade war er an der Gesamtaufnahme der Werke Conrad Ferdinand Meyers als Hörbuch beteiligt.
crescendo: Herr Matthes, wie ging es bei Ihnen los mit der Schauspielerei?
Ulrich Matthes: Ich habe schon als Kind zwei, drei große Rollen im Fernsehen gespielt und wollte bis zu meiner Pubertät Schauspieler werden. Dann ist allmählich mein politisches Bewusstsein erwacht, und ich habe fünf Semester Germanistik und Anglistik auf Lehramt studiert. Es hat sich aber dann doch meine kreative Ader durchgesetzt.
Ihr politisches Bewusstsein ist Ihnen geblieben.
Ich halte das für selbstverständlich angesichts der Situation weltweit und in Deutschland, im Besonderen durch die AfD, die ich für gefährlich halte. Eine harmlose Äußerung in einer Talkshow, dass ich die AfD nicht so toll finde und sehr an Europa glaube, war übrigens für ein paar Leute schon Grund genug, mir eine Morddrohung ins Haus zu schicken.
Wie ist es, einer gesichtslosen Feindschaft gegenüberzustehen?
Das Internet ermöglicht durch die Anonymität wahnsinnige Exzesse der Aggression, der Wut. Jeder ist heutzutage in der Lage, einen Shitstorm auszulösen, der zumindest virtuell Menschen bedroht. Die Demokratie erscheint uns allen als stabil und unzerstörbar. Etliche Beispiele in Europa – wie Polen und Ungarn – und der ganzen Welt zeigen aber, wie fragil sie letztlich ist. Jeder Bürger müsste sich, selbst mit bescheidensten Mitteln, dafür einsetzen, sie zu stärken. Man muss dazu nicht gleich in eine Partei eintreten, ein Gespräch mit den Nachbarn reicht schon.
Sie spielen komplexe Persönlichkeiten, die oft auf der dunklen Seite des Spektrums stehen. Wie gehen Sie an eine Rolle heran?
Ich habe große Freude am Spiel mit der Sprache, das ist für mich ein wesentlicher Impuls. Ich entwickle die Rolle aus der Sprache heraus so genau, so konzentriert, so intensiv wie möglich. Die körperlichen Impulse entwickeln sich daraus. Bei vielen ist das umgekehrt, dass sie sich am Anfang sehr schnell eine Körperlichkeit für eine Rolle zulegen, eine Figur von außen nach innen erarbeiten. Bei mir geht das eindeutig von innen nach außen. Übrigens ist mir der musikalische Umgang mit Sprache extrem wichtig.
Spielen Sie auch ein Instrument oder singen Sie?
Ich singe ausschließlich! Ich bin ein eher ungeschickter Mensch, Basteln und sämtliche Tätigkeiten mit den Fingern habe ich schon als Kind genervt abgelehnt. Ich war der Schrecken des Werkunterrichts. Linolschnitt, furchtbar! Diese blöden Weihnachtssterne aus blauem, rotem, grünem Stanniolpapier, die man für die Eltern basteln musste, habe ich auch verabscheut.
Ich habe ein Dreivierteljahr versucht, Klavier zu lernen, weil das an sich hochmusikalische Kind gefördert werden sollte. Gesungen habe ich dafür immer wie ein Irrer. Später habe ich dann mit großer Leidenschaft Gesangsunterricht genommen, klassisch wie auch Jazz.
Ich pfeife auch sehr gern. Wenn Sie mir eine Sinfonie von Brahms oder Schumann, Beethoven oder Mozart vorspielen, kann ich das Thema mitpfeifen. Bruckner ist schon schwieriger. Wenn ich zu Hause Musik höre, dann höre ich eher selten wirklich hin, sondern singe oder pfeife wie eine Rohrammel mit. Gibt es das Tier überhaupt? Aber dann: In jeder Sinfonie gibt es Stellen, an denen die Stimmung blitzartig umschlägt. Entweder es tut sich ein existenzieller Abgrund auf, oder es erhebt sich aus einer dunklen Grundstimmung ein Hoffnungsschimmer für die Menschheit oder das kleine Menschlein, das die Sinfonie gerade hört. Für diese Umschlagmomente habe ich ein stark empfindendes Ohr. Ich höre sofort auf zu singen und vertiefe mich in den Moment.
Gehen Sie in die Oper?
Klar! Aber wenn ich die Wahl habe zwischen einem geglückten Opernabend und einem geglückten Konzertabend, würde ich Letzteren oft vorziehen. Eine Art Vereinigung mit der Musik erlebe ich bei sinfonischen Konzerten eher als in der Oper, in der ich als Theatermensch oft abgelenkt bin durch eine holprige szenische Umsetzung oder das manchmal mangelhafte schauspielerische Können der meist herausragenden Sänger. Die Überwältigung bis zu Tränen und Seligkeit habe ich eher Konzerten zu verdanken als Opernabenden.
Woran liegt das?
Es ist in der Oper der Eindruck des Hergestellten, des Probierten, die Möglichkeit des Ausrutschens auf der Bananenschale. Ich habe mal erlebt, wie Birgit Nilsson als Tosca von der Bühne nicht mehr hochkam, weil sie sich in ihrem Kleid verhakt hatte und dann wie eine Eidechse immer hochmolchte. Darüber fing sie selbst hysterisch zu lachen an, und dann natürlich das Publikum. Das steht für mich symbolisch dafür, was in der hochheiligen Oper passieren kann. Dieser gemachte Rahmen, in dem man in die Seitenkulisse abrauscht, nachdem man eine große Todesarie gesungen hat, und dann zum Regieassistenten zischt: „Scheiße, das blöde Kleid“, ist mir als Idee immer ein bisschen präsent, sodass ich das selbst bei der geglücktesten Opernaufführung nicht ganz loswerden kann. Ich suche in der Musik und überhaupt in den Künsten große Momente der Emphase, auch wenn ich selber spiele. Deshalb waren die 90er-Jahre, in denen die Ironie im Theater überhandgenommen hat, eine schwierige Phase. So lustig ich Ironie sonst finde, ist sie im Theater oft ein Umweg, eine Distanzierung von dem, worum es eigentlich geht.
Das Leben selbst ist oft ironisch.
In der Tat. Neulich zum Beispiel lag in meiner Küche eine tote Maus. Einfach mitten in der Küche. Herzinfarkt. Spitzmäuse kriegen durch den geringsten Schrecken einen Herzinfarkt und fallen tot um. Da bin ich wahrscheinlich gerade in die Küche gekommen …
… und die Maus dachte: „Oh, der Herr Matthes!“
Ein schöner Tod …