Woher kommt eigentlich ...

Der Sound­track zum Bauhaus?

von Stefan Sell

5. Februar 2019

»Wonne, Erlebnis, Ekstase und Erhebung« – die Luft der Bauhausepoche war geschwängert von Musik.

Ob Brecht vertonte oder Operetten wie Leo Falls Die Stra­ßen­sän­gerin Première hatten, die Berliner Luft vor 100 Jahren war musik­ge­schwän­gert. Der Jazz­pio­nier Eric Borchard war allge­gen­wärtig, in Falls Operette von 1921 ebenso wie in Fritz Langs Dr. Mabuse. Hinde­mith, Schön­berg, Busoni und Schreier lehrten in Berlin. Klaus Mann charak­te­ri­siert Deutsch­land zu Beginn der Bauhau­sepoche als „zugleich erschöpft und hektisch aufge­kratzt“.

Der Erste Welt­krieg war eben erst vorbei, und die Menschen sehnten sich nach „Wonne, Erlebnis, Ekstase und Erhe­bung“, wie Harry Haller alias Hermann Hesse im Roman Der Step­pen­wolf beschreibt. Harry kommt zum Tanz auf dem Vulkan in die „Hölle“, das Keller­ge­schoss eines Tanz­pa­lastes. „Von der Menge geschoben, gelangte ich in diesen und jenen Raum, Treppen hinauf, Treppen hinunter; ein Gang im Keller­ge­schoß war von den Künst­lern als Hölle ausge­stattet, und eine Musik­bande von Teufeln paukte darin wie rasend.“ Klaus Mann im Rück­blick: „Das Berliner Nacht­leben, Junge-Junge, so was hat die Welt noch nicht gesehen!“

Form- und Farborgel
Die Form- und Farb­orgel von Kurt Schmidt aus dem Jahr 1923

„The Roaring Twen­ties“, die „Goldenen 20er“, waren eine Zeit­spanne zwischen Wirt­schafts­auf­schwung und Welt­wirt­schafts­krise, ein rauschendes Fest für die Kunst. Überall in der Musik, im Film, in der Lite­ratur, der Kunst und Archi­tektur blühten neue Formen auf. Es war eine Ära des Jazz, der Operette, des Schla­gers und der Neuen Musik. Der Sound­track zum Bauhaus: ein Remix aus all dem. Paul Klee trat mit seiner Geige auf, zeich­nete eine Tran­skrip­tion der ersten Takte aus Bachs Sechster Sonate für Violine und Cembalo, und Feininger kompo­nierte Fugen. Musik verwan­delte sich in Bauhaus­kunst, Grenzen wurden über­schritten. Kurt Schmidt schuf 1923 die „Form- und Farb­orgel“, expe­ri­men­tierte mit dem Tria­di­schen Ballett, Johann Itten baute den Turm des Feuers, László Moholy-Nagy entwarf die Parti­tur­skizze zur Mecha­ni­schen Exzen­trik, Kandinsky tauschte sich mit Schön­berg aus und schöpfte den „gelben Klang“, tanzte Boogie-Woogie und brachte ihn auf Lein­wand. Gab es eine Bauhaus-Versamm­lung, hieß es: „Musiker, bitte Instru­mente und Noten mitbringen!“ Das Gleiche galt für Wochen­end­aus­flüge: „Musik geht mit!“

Der Rausch der Fest­ge­mein­schaft

Im Hexen­kessel der „Hölle“ hört Harry Haller das Stück Year­ning von den Cali­for­niacs: „Ein neuer Tanz, ein Foxtrott, eroberte sich in jenem Winter die Welt, mit dem Titel Year­ning. Year­ning wurde eins ums andre Mal gespielt und immer neu begehrt, alle waren wir von ihm durch­tränkt und berauscht, alle summten wir seine Melodie mit. Ich tanzte unun­ter­bro­chen“. Weiter heißt es: „Ein Erlebnis wurde mir in dieser Ball­nacht zuteil: das Erlebnis des Festes, der Rausch der Fest­ge­mein­schaft, das Geheimnis vom Unter­gang der Person in der Menge, von der Unio mystica der Freude.“ Hesse fängt das Lebens­ge­fühl ein, das suchende Künstler beflü­gelt haben muss. Das Bauhaus hat vieles unter seinem Dach vereint, der inspi­rie­rende Sound­track war stets präsent.

1924 wurde eine eigene Bauhaus­ka­pelle ins Leben gerufen, darin spielten Andor Weininger Klavier, Hanns Hoff­mann-Lederer Schlag­zeug, Hein­rich Koch Teufels­geige und Rudolf Paris Schlag­zeug. Am liebsten konzer­tierten sie auf selbst gebauten Instru­menten. Später kamen weitere Musiker und Instru­mente hinzu, die Bauhaus-Jazz-Kapelle war in den 20er-Jahren eine der belieb­testen Bands. Dabei waren unter anderem Lux Feininger, Lyonel Feinin­gers jüngster Sohn, der Banjo und Klari­nette spielte, und – als einzige Frau – die dama­lige Bauhaus­stu­dentin, spätere Foto­grafin und Archi­tektin mit ihrem Saxofon.

365 Grad. Span­nungs­ma­ximum.

Lux erin­nert sich: „Ein hinrei­ßender Tanz des Namens Der Chro­ma­ti­sche muss aus dem Reper­toire einer längst verschol­lenen Mili­tär­ka­pelle entnommen sein, so wie die bekann­teste aller Bauhaus­me­lo­dien, der Bauhaus Marsch, dessen Anfang zu den Worten ‚Itten-Muche-Mazdaznan‘ gesungen werden konnte und als ‚Bauhaus­pfiff‘ inter­na­tional bekannt war.“ Lux Feininger, der das bibli­sche Alter von 101 erreichte, schwärmte von der Ekstase, mit der die Kapelle spielte, die einem „Veits­tanz“ gleichkam. Harry Haller wusste, es gibt kein Entkommen: „Als die Musik abbrach, blieben wir umschlungen stehen, alle die entzün­deten Paare rings um uns klatschten, stampften, schrien, peitschten die erschöpfte Kapelle zur Wieder­ho­lung des Year­ning auf.“ In der Erin­ne­rung des Bauhaus­stu­denten Farkas Molnár klingt das so: „Der Tanz nimmt kein Ende. Die Jazz-Kapelle zerbricht ihre Instru­mente. Der Kneiper verliert seine Geduld… jetzt ist der Höhe­punkt erreicht. Baro­meter 365 Grad. Span­nungs­ma­ximum. Zapfen­streich, der Henker erscheint. Roter Pfeil. Notaus­gang.“

Fotos: Museum Gera