KlassikWoche 29/2019
Bayreuths Umbesetzungen, Pavarottis Geheimnisse und Argerich in Hamburg
von Axel Brüggemann
15. Juli 2019
Willkommen in der neuen Klassik-Woche, die Festspiele stehen vor der Tür: erst Bayreuth, dann Salzburg – und es wird turbulent. In Aix-en-Provence ist das meiste bereits über die Bühne gegangen....
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
die Festspiele stehen vor der Tür: erst Bayreuth, dann Salzburg – und es wird turbulent. In Aix-en-Provence ist das meiste bereits über die Bühne gegangen. Lesen Sie, was sonst noch los war in der Welt der Klassik.
WAS IST
FESTSPIELE VOR DEM START
Während Markus Hinterhäuser in der FAZ noch gemütlich mit Jürgen Kesting über die Verführung des Publikums plaudert (Text hinter Bezahlschranke), muss Katharina Wagner in Bayreuth schon hart arbeiten: Zunächst sagte Krassimira Stojanowa die Rolle der Elsa ab und musste durch Camilla Nylund ersetzt werden, und dann stürzte auch noch die Venus der neuen Tannhäuser-Produktion Ekaterina Gubanova in einer Probe und wird zur Festspieleröffnung von Elena Zhidkova ersetzt. Tannhäuser-Regisseur Tobias Kratzer hat Joachim Lange in der NMZ schon ein bisschen über sein Regie-Konzept verraten: „Ohne, dass ich jetzt etwas verrate: aber die Räume werden vielfältiger sein. Ich versuche das Publikum mehr auf eine Reise mitzunehmen. Auch aus musikalischen Gründen, denn bei keinem anderen Stück Wagners klaffen die musikalischen Welten so auseinander wie in den drei Akten Tannhäuser.“ Redebedarf besteht aber durchaus auch in Salzburg: Landeshauptmann Wilfried Haslauer erzählt den Salzburger Nachrichten, dass Sanierungsinvestitionen über 100 Millionen Euro anstehen – derzeit wird geschaut, woher das Geld kommen soll.
KLASSIK IM ZDF
Das Advents-Konzert der Sächsischen Staatskapelle aus der Frauenkirche wird auch dieses Jahr wieder im ZDF übertragen – am Pult steht Alondra de la Parra, die im Fernsehen neuerdings unheimlich gehypt wird. Ob das ZDF auch zum Jahreswechsel wieder in Dresden zu Gast ist, scheint dagegen unsicher – aus den Reihen der Berliner Philharmoniker hört man munkeln, dass ein erneuter Wechsel, zurück von der ARD ins ZDF, durchaus denkbar sei. Wir werden sehen, wer 2020 in unseren Wohnzimmern einläuten wird: Christian Thielemann oder Kirill Petrenko. Und dann ist da bald der Opus Klassik, über den wir an dieser Stelle bereits berichtet haben. Im Bad Blog of Musick macht sich Martin Hufner lustig über die Preisträger-Kandidaten in der neuen Kategorie: Gegenwartskomponist, die er in „Gebimmel“ (Federico Albanese), „Vergangene Musik“ (Philip Glass), „Gebimmel, Eso, Film“ (Max Richter) oder „Arrivierte Neue Musik“ (Jörg Widmann) unterteilt.
TRANSGENDER-SÄNGER
Ein spannender Text in der New York Times: Er verfolgt die Karriere und den Kampf von Menschen, die im Laufe ihrer Karriere ihr Geschlecht gewechselt haben. Einer der Protagonisten ist „Mr. Madagame“, der als Mezzo ausgebildet wurde, dann Testosteron nahm und heute als einer der wenigen Transgender-Sänger auftritt. Neben Mr. Madagame wird auch Lucia Lucas porträtiert, die diese Spielzeit in Tulsa in Oklahoma den Don Giovanni verkörpert. Ein spannendes Feature über Stimmen, Geschlechter und eine neue Offenheit in der Oper.
WAS WAR
ARGERICH IN HAMBURG
Es war ein Scoup, als Daniel Kühnel vor zwei Jahren das Progetto Martha Argerich rettete und die Pianistin von Lugano nach Hamburg holte – zu seinen Symphonikern. Endlich mal wieder Superlative jenseits einer Konzerthaus-Architektur! Christian Wildhagen hat die Auftritte der Argerich, die noch immer von großem Lampenfieber geplagt wird und am liebsten mit ihren Freunden auftritt, für die NZZ besucht und gerät ins Schwärmen: „Die familiäre Atmosphäre kommt nicht von ungefähr, denn viele Freunde von früher sind wieder mit von der Partie“, beispielsweise der Cellist Mischa Maisky, der wunderbare Pianist Nicholas Angelich, der mit dem Geiger Renaud Capuçon eine besonders feinfühlige Wiedergabe der Regenlied-Sonate von Brahms beisteuere, oder die Virtuosa Khatia Buniatishvili, mit der Argerich vierhändig spiele. In Lugano wird man sich ob dieses Erfolges wahrscheinlich in den Allerwertesten beißen.
AFD UND KEIN ENDE
Ausländer an Baden-Württembergischen Theatern sollen gemeldet werden (wir haben berichtet), und die radikalen Forderungen an die Kultur durch die AfD in Sachsen-Anhalt gehen ebenfalls weiter. Der BR hat die aktuellen Stimmungen nun zusammengefasst und Politiker ebenso zu Wort kommen lassen wie Kulturschaffende. Bedrückend sind die Worte von Hans-Thomas Tillschneider, dem kulturpolitischen Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt: Er wetterte öffentlich gegen den Intendanten der Oper in Halle Florian Lutz. „Ich schlage vor: Florian Lutz wird entlassen. Als Nachfolge wird ein Charakterkopf vom Format eines Attila Vidnyánsky gesucht. Dann muss die ganze Willkommenspropaganda aus dem Spielplan…“. Lesenswert der Bericht, in dem die Verbindung der deutschen AfD zu Viktor Orbáns Kulturpolitik in Ungarn gezogen wird. Umso schöner die Nachricht, dass Sachsens Regierung die Förderung beim Instrumentenkauf für Laienensembles weiterhin aufrecht erhalten will.
PERSONALIEN DER WOCHE
Nike Wagner hatte erklärt, das Beethovenfest zu verlassen, weil das Bonner Publikum zu konservativ sei. Nun antwortet Bernhard Hartmann vom Bonner Generalanzeiger ihr, dass sie längst nicht so progressiv war, wie sie meint: „Vielleicht werden im nächsten Jahr, wenn alle Kompositionen zu Beethovens 250. Geburtstag noch einmal beim Beethovenfest erklingen, einige kritische Geister fragen: Wann wird das Festival endlich im 21. Jahrhundert ankommen? Und dabei dann weniger das Publikum als die Intendanz im Blick haben.“ +++ Der Dirigent und Organist Timo Handschuh wird nicht nur das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim, sondern nach 2021 auch das Theater Ulm als GMD verlassen. +++ Nachdem wir in diesem Newsletter bereits vor einigen Wochen auf das Projekt von Hilary Hahn aufmerksam gemacht haben, in dem sie jeden Tag eine Minute ihrer Geigenübungen zeigt, feiert nun auch der Spiegel ihr Social-Media-Unterfangen. +++ In einem exklusiven Interview mit ClassicFM zum neuen Luciano-Pavarotti-Film von Ron Howard erzählt seine Frau, Nicoletta Mantovani, über die Geheimnisse des Tenors: seine Menschenliebe, seine Liebe zur Malerei und die Hingabe seines Lebens für die Kunst.
AUF UNSEREN BÜHNEN
In der Wiener Zeitung feiert Rainer Elstner die neue Zauberflöte in St. Margarethen: Carolin Pienkos und ihr Ehemann, der Schauspieler Cornelius Obonya, zeigen einen Kampf der Geschlechter und ein „Coming of Age-Drama“. In der Kritik: Der Schauspieler Max Simonischek als eher sprechender denn singender Papageno. +++ Schier abgefeiert hat Michael Bastian Weiß Mozarts Entführung in der Pasinger Fabrik: Besonders Regisseur Stefan Kastner habe sich mit seiner Geschichte um Bassa Selim, der bei ihm Erwin heißt und aus Weilheim stammt, für Höheres qualifiziert. +++ Zwei Millionen Euro erhält die Dortmunder Akademie für Theater und Digitalität von der EU für die Entwicklungen digitaler Kultur-Möglichkeiten – davon profitieren unter anderem auch das Linzer Landestheater und acht weitere Kulturinstitutionen. +++ Anja-Rosa Thömming berichtet in der FAZ über die Premieren in Aix-en-Provence: „The Sleeping Thousand greift den Nahost-Konflikt zwischen Realität und Fantasy auf – Tosca hingegen kämpft mit einem dekonstruktivistischen Regiekonzept.
WAS LOHNT
Die Salzburger Festspiele und Festspiele in ganz Europa – wir sagen, wo sie im Wohnzimmer zu empfangen sind.
So viel wir an dieser Stelle über das ausgedünnte Musik-Angebot im Fernsehen geklagt haben – im Sommer sind zum Glück alle wieder an Bord! Festspiele im Wohnzimmer, das macht vor allen Dingen 3sat möglich. Der gesamte Fernsehplan hier, unter anderem werden am 17.7. die Eröffnung der Bregenzer Festspiele, die Eröffnung der Salzburger Festspiele (27.7.), Simon Boccanegra aus Salzburg (31.8.) und die Sommernachtsgala aus Grafenegg (17.8.) gezeigt, aus Bayreuth wird der Tannhäuser am 27.7. zeitversetzt gezeigt – am Premierentag, dem 25.7., ist die Aufführung bereits in den Kinos zu sehen, und ich freue mich, Sie auch dieses Jahr wieder hinter die Kulissen zu führen zu dürfen. Etwas blasser ist arte aufgestellt, das bereits aus Aix-en-Provence gesendet hat (gerade hat der Sender wohl auch „Stars von Morgen“ mit Rolando Villazón auf Eis gelegt). Unvergleichlich dagegen das Programm des ORF, der leider in Deutschland schwer zu empfangen ist: 500 Stunden Festspiel-Musik unter dem Titel Kultursommer. Unter anderem ist hier auch der Orpheus aus Salzburg zu sehen (17.8.). Und dann ist da noch das ambitionierte Programm von ServusTV: Hier läuft der Salzburger Idomeneo (15.8.) und regelmäßig der Festspiel-Talk mit Ioan Holender, am 25.7. sind Markus Hinterhäuser und Katharina Wagner zu Gast, und ich freue mich, am 22.8. hier gemeinsam mit Karlheinz Roschitz den Festspielsommer debattieren zu dürfen.
Lesenswert auch der Kommentar im aktuellen CRESCENDO von Ioan Holender zur Lage unserer Stadttheater. „Ein von einem kundigen Leiter geführtes Opernhaus – das gibt es noch, wenn auch selten – wird ein Ensemblemitglied nach dem Repertoirevorhaben engagieren oder den Spielplan danach ausrichten, welche Sänger zur Verfügung stehen.“ Holender wird übrigens bei der 100. Geburtstagsfeier für Wolfgang Wagner am 24.7. in Bayreuth die offizielle Rede halten.
In diesem Sinne, genießen Sie den Festspielsommer und halten Sie die Ohren steif.
Ihr