Carl Orff

Lieb­ling der Flim­mer­kammer

von Stefan Sell

5. Juli 2020

Die Musik von Carl Orff fordert dazu heraus, sie im Film einzusetzen – ob freche gelbe Comic-Helden, bitterböser Roadmovie, Mittelalter-Blockbuster oder inklusives Tanzprojekt.

Carl Orffs Musik scheint regel­recht heraus­zu­for­dern, sie an beson­ders bedeu­tenden Passagen in Film und Fern­sehen einzu­setzen.

Plakat des Films Odyssee im Weltraum

2001: Odyssee im Welt­raum

Schade, das wär’s gewesen! , dessen Musik infla­tio­näre Verwen­dung in Werbe­spots, TV-Serien, Openern für Sport- und Musik­ver­an­stal­tungen wie auch als Film­musik fand, hätte beinah selbst Film­musik geschrieben. Stanley Kubrick hatte ange­fragt, ob Orff bereit sei, die Musik zu „2001: Odyssee im Welt­raum“ zu schreiben. Doch Orff lehnte ab. Fühlte er sich schon zu alt? Oder war es seine Alters­weis­heit, die ihn vor dem bewahrte, was Alex North wider­fuhr? Er war es nämlich, der dann den Auftrag von Kubrick erhielt. North machte sich gleich an die Arbeit und lieferte als erfah­rener Holly­wood-Kompo­nist den passenden Sound­track. Der Schock muss groß gewesen sein, als North bei der Première nichts von dem, was er kompo­niert hatte, wieder­fand, sondern statt­dessen , Johann Strauß und zu hören bekam. Der Regis­seur hatte in seiner Plat­ten­samm­lung Passen­deres gefunden. Ligeti wiederum fand „hervor­ra­gend”, was seine Musik im Film bewirkte. Gefragt hatte Kubrick ihn aller­dings nicht. Erst nach Regress­for­de­rungen erhielt Ligeti 3.000 von 190 Millionen einge­spielten Dollar.

Plakat des Films "Badlands"

Badlands

Eigent­lich hat George Tipton die Film­musik zu diesem Film geschrieben, aber wie so oft: Der Knaller, der magi­sche Moment, das Thema schlechthin kam aus bewährter Feder. Carl Orff hatte einen „Gassen­hauer” des Renais­sance-Lauten­spie­lers Hans Neusiedler von der darm­be­sai­teten Laute auf die hölzernen Klang­stäbe eines Xylo­phons über­tragen. Dieses Stück firmiert bei Orff unter dem Titel Musica Poetica und findet sich in seinem Schul­werk, das er gemeinsam mit Gunhild Keetman schuf. Kontrast­rei­cher hätte diese sonnig heitere, fröh­lich beschwingte, perlend spru­delnde Musik in einem Film nicht einge­setzt werden können. Nach einer wahren Bege­ben­heit erzählt der Film die Geschichte von Kit und Holly: Er ein 25-jähriger Müll­mann, sie noch ein Teenie. Die beiden begegnen sich rein zufällig vor ihrem Haus und verlieben sich. Hollys Vater ist gegen diese Bezie­hung, weshalb Kit ihn kurzer­hand umbringt, das Haus zur Musik von Orffs Passion (Musica Poetica II) nieder­brennt, die beiden mit dem Auto flüchten und von da an mordend durch die nord­ame­ri­ka­ni­schen Lande vaga­bun­dieren – ein Road­movie befrem­dender Art. Bilder abso­luter Schön­heit kontras­tieren mit grau­samer Willkür, aus Unschuld wird Schuld und die Musik Orffs scheint parteilos über allem zu schweben.

Plakat des Films "Excalibur"

Exca­libur

Die Ritter der Tafel­runde auf der Suche dem heiligen Gral. Das magisch Mythi­sche hat Orff immer wieder gesucht und im Rad der Fortuna als ewigem Kreis­lauf gefunden. So erreicht seine Musik ihre Reso­nanz oft da, wo Mythen zum Leben erweckt werden. Der Film Exca­libur ist wohl einer der ersten, der den rhyth­mi­schen Chor­ge­sang der Anru­fung der Schick­sals­göttin zentral einsetzt. Viele folgten in Film, Perfor­mance, Video­spielen oder mit sugges­tiven Werbe­clips. Immer geht es um die Sinnes­rei­zung des Archai­schen. Auf dem Höhe­punkt der alles entschei­denden Schlacht wird in dem Lein­wan­d­epos Exca­libur aus dem Jahre 1981 der Ruf nach Fortuna wach. Orffs Carmina Burana geben den drama­ti­schen Sound­track. Meint Film­kri­tiker Georg Seeßlen über die Musik im Film: „Viel Wagner und ein wenig Orff“, muss man entgegnen, Orff ist hier an promi­nenter Stelle zu hören, ja, film­prä­gend! Wenn Artus mit seinen Mannen gegen Mordred ins Feld zieht, ist Orff zur Stelle! Orffs Beschäf­ti­gung mit Repe­ti­tionen scheint ihre Reso­nanz auch in der häufig wieder­holten Verwen­dung seiner Musik gefunden zu haben.

Plakat der Serie "Die Simpsons"

Orff bei den Simpsons

Bei den „Simpsons“ finden alle ein zu Hause. Voller Zitate und Anspie­lungen verste­cken sich in jeder Episode Details des gesell­schaft­li­chen wie kultu­rellen Lebens. Auch Orff hat einen Platz bei den „Simpsons“, in Folge 13 von Staffel 20, mit dem Titel „Gone Maggie Gone“. Maggie findet sich plötz­lich in einem Kloster wieder, was ihr Vater Homer leicht­fertig veran­lasst hat. Als Maggies jüngere Schwester Lisa sie dort wieder heraus­holen will, hören wir das „O Fortuna” des Non-nenchors. Im weiteren Verlauf stößt Lisa auf ein myste­riöses Juwel, weshalb die Folge im Deut­schen „Auf der Jagd nach dem Juwel von Spring­field” heißt und ein Finger­zeig in Rich­tung Vermächtnis der Tempel­ritter und Da Vinci Code ist. Eine der Nonnen ist Sister Marylin, ihr parodis­ti­scher „Sister Act“ ist eine Spitze auf Marylin Monroes berühmte Kleid­be­lüf­tung über dem U‑Bahn-Schacht. In der darauf­fol­genden Staffel taucht Orff in Folge zwei auf. Dort gibt es einen Werbe­clip für das Buch The Answer, eine Persi­flage auf den Esote­rik­best­seller The Secret, der sowohl als Buch als auch als Film seiner­zeit ein Hype war. Nun, was singt der Nonnen­chor hier: „O Fortuna!” – und, weil’s so schön war: im Abspann gleich noch mal.

Plakat des Films "Carmina - Es lebe der Unterschied"

Carmina – Es lebe der Unter­schied

„… und ohne den Unter­schied wäre das Leben lang­weilig!”, sagt Wolf­gang Stange, einer der drei Choreo­grafen, der an diesem Projekt mitge­wirkt hat. Stange leitet die AMICI Dance Company. 1980 in London gegründet, hat er mit ihr viele inklu­sive Tanz­pro­jekte initi­iert. ist vielen als Choreo­graf aus dem Projekt Rhythm is it! bekannt, doch sein Wirken ist weit umfang­rei­cher, die Carmina hat er zuvor mit äthio­pi­schen Stra­ßen­kin­dern eingeübt und ihnen mit der Auffüh­rung den verlo­renen Stolz wieder­ge­geben. Auch der Choreo­graf Volker fokus­siert seine Aufmerk­sam­keit darauf, den Tanz denen nahe­zu­bringen, denen der Zugang dazu meist verwehrt bleibt. Einst Schüler von Royston Maldoom, wirkte auch er schon bei Rhythm is it! mit und ist heute künst­le­ri­scher Leiter und Mitbe­gründer der Faster-Than-Light-Dance-Company Berlin. Orffs Einheit aus Musik, Bewe­gung, Sprache und Tanz wird hier zur inklu­siven Offen­ba­rung. In diesem Film wird Orffs Musik nicht verwendet, um einen Effekt zu erzielen, in diesem Film ist sie gelebte Inklu­sion. Der Film von Sebas­tian Heinzel zeigt „ein einzig­ar­tiges inter­na­tio­nales Tanz­pro­jekt.“ Über 300 behin­derte und nicht-behin­derte Akteure, Real- und Förder­schüler, profes­sio­nelle Tänzer und Laien erwe­cken die Carmina Burana zu einer Vision gelebter Möglich­keiten, zu einem Tanz­wunder der Viel­far­big­keit.

Plakat des Films "The Doors"

The Doors

Die Präsenz dieser Band ist bis heute unan­tastbar. Ihr legen­därer Sänger Jim Morrison starb 1971 in Paris in einer Bade­wanne. Sein Grab auf dem Friedhof Père Lachaise ist zur ewigen Pilger­stätte geworden. Was das mit Carl Orff zu tun hat? Zunächst nichts. Doch! Im Film The Doors von erklingen – einmal mehr! – die Carmina Burana. So weit, so gut. Wäre da nicht die Bear­bei­tung der Carmina Burana des inzwi­schen eben­falls verstor­benen Keyboar­ders Ray Manzarek. Er war das musi­ka­li­sche Gehirn der Doors. Ein Jahr nach Orffs Tod, 1983, veröf­fent­lichte er seine Carmina Burana, eine Art Recom­po­sing in Zusam­men­ar­beit mit , dessen Minimal Music das zyklisch-repe­ti­tive Moment in Orffs Musik fort­setzt. Manzarek und Glass verbannten das Orchester aus ihrer Bear­bei­tung und setzten den Synthe­sizer in den Mittel­punkt. Es lohnt sich, diesen Pfaden zu folgen, The Doors ebenso zu hören wie Orff und sich mit ihrer Geschichte ausein­an­der­zu­setzen, um die Einheit in der Viel­falt wie die Viel­falt in der Einheit, die für Orff sehr bedeu­tend war, für sich zu entde­cken. Philip Glass hat sich damals gefragt, „was Orff getan hätte, wenn er dabei gewesen wäre und Synthe­sizer zur Verfü­gung gehabt hätte?“

Plakat des Films "Kapitalismus - eine Liebesgeschichte"

Kapi­ta­lismus – eine Liebes­ge­schichte

Der alles fres­sende Kapi­ta­lismus, euphe­mis­tisch „Neoli­be­ra­lismus“ genannt, hat den Filme­ma­cher Michael Moore Ende der Nuller­jahre während der ameri­ka­ni­schen Finanz­krise dazu inspi­riert, den provo­kanten Film „Kapi­ta­lismus – eine Liebes­ge­schichte“ zu drehen. Dem Thema entspre­chend vermit­telt Moore seine Botschaft völlig suggestiv, plakativ und mani­pu­lativ. So setzte er auch seine Musik ein. Orffs Schick­salrad aus den Carmina Burana dreht sich hier, um die Zuschauer im Zusam­men­hang mit den bewegten wie bewe­genden Bildern aufzu­wühlen, die Musik stell­ver­tre­tend für Furcht und Schre­cken zu nutzen. Zu Ausschnitten aus Film­ma­te­ria­lien der „Ency­clo­pedia Britan­nica“ dräut das „O Fortuna“. Es sind Bilder, die die Situa­tion mit dem Nieder­gang des alten verglei­chen, das Volk wird mit Brot und Spielen dumm und dumpf gehalten, damit der Kapi­ta­lismus auf der Basis von Kriegen und Kata­stro­phen unbe­hel­ligt wachsen und gedeihen kann – ein Mecha­nismus, den die kana­di­sche Jour­na­listin Naomi Klein „die Schock-Stra­tegie“ nannte.

Fotos: Gerd Altmann, Pixaby