Carl Orff 1964 im SOS-Kinderdorf Dießen (c) Fred Lindinger, Archiv Carl-Orff-Stiftung

Johannes Voit

Die perfekte Verschmel­zung von Musik, Bewe­gung und Sprache

von Antoinette Schmelter-Kaiser

5. Juli 2020

Carl Orff revolutionierte die Musikpädagogik. Seine Gedanken zu einer neuen Elementarmusik sind bis heute aktuell.

Von über Argen­ti­nien und Island bis Südafrika: Orff-Schul­werk-Gesell­schaften gibt es welt­weit. 48 sind es derzeit, die von der elemen­taren Musik- und Tanz­päd­agogik im Sinne von und Gunild Keetman inspi­riert und moti­viert sind. In den ist der Enthu­si­asmus beson­ders groß: „Jedes Jahr treffen sich Dele­gierte aus allen Bundes­staaten zu einem Kongress“, berichtet Dr. Thomas Rösch von persön­li­chen Besu­chen vor Ort. „Bei ihnen herrscht immer eine Bomben­stim­mung. Die Teil­nehmer füllen große Hotel-Komplexe, tauschen sich aus und erzählen oft, dass Orff ihr Leben verän­dert hat.“

Man muss Teil der Musik sein!

Für den Direktor des Orff-Zentrums , das den Nach­lass des Multi­ta­lents wissen­schaft­lich erforscht, ist dies ein Beweis der andau­ernden Strahl­kraft von Orffs Konzept. Von 1932 bis 1935 erschien zunächst seine Produk­ti­ons­reihe Elemen­tare Musik­übung nach einer Werk­statt­phase an der Münchner Günther-Schule für Gymnastik und Tanz. Ab 1948 wurde es als Sende­reihe des Baye­ri­schen Rund­funks und fünf­bän­diges Begleit­werk Musik für Kinder ausge­weitet, das im Schott-Verlag erschien. Sein Erfolgs­ge­heimnis liegt für Rösch in Orffs Wunsch, die kind­liche „Phan­tasie und Krea­ti­vität“ möglichst früh zu fördern.

Ausschlag­ge­bend findet er auch sein ganz­heit­li­ches Anliegen, das der Kompo­nist – der sich übri­gens selbst nie als Pädagoge bezeichnet habe – so formu­lierte: „Elemen­tare Musik ist nie Musik allein, sie ist mit Bewe­gung, Tanz und Sprache verbunden, sie ist eine Musik, die man selbst tun muss, in die man nicht als Hörer, sondern als Mitspieler einbe­zogen ist.“ Außerdem habe Orff verstanden, dass es nicht um „eine reine Lehre ging, die für ewige Zeiten fest­ge­legt ist“, sondern um ein „leben­diges Konzept, das sich von Gene­ra­tion zu Gene­ra­tion verän­dert – selbst­ver­ständ­lich unter Wahrung der Grund­ideen.“

Elemen­tare Musik als leben­diges Konzept

Für Angela Holz­schuh bedeutet das, Carl Orffs Schul­werk heute „nicht von A bis Z“ anzu­wenden, sich aber Elemente für ihren Unter­richt in Musi­ka­li­scher Früh­erzie­hung heraus­zu­pi­cken. „Orff-Instru­mente gibt es in vielen Kinder­gärten“, freut sich die Lehrerin an der Musik­schule der Stadt Weil­heim. „Xylo­phone, Trom­meln, Glocken­spiele und Klang­hölzer sind ohne vorhe­rigen Instru­men­tal­un­ter­richt leicht zu spielen. Das begeis­tert Kinder und führt beim Kennen­lernen von Rhythmus, Melodie oder einfa­cher Nota­tion zu erstaun­li­chen Ergeb­nissen.“

Eine Langspielplatte mit Orffs Schulwerk
Eine Lang­spiel­platte mit Orffs Schul­werk © privat

Für sie selbst war Orff ein Wegbe­gleiter: Ihren ersten Kontakt mit ihm hatte sie schon als kleines Mädchen in Form der Lang­spiel­platte „Musik für Kinder“, die sie faszi­nierte. Während ihres Studiums in den Fächern Elemen­tare Musik­päd­agogik, Orches­ter­musik und Musik­lehrer für Harfe begeg­nete sie in auch Orffs Schul­werk. Später vertiefte sie ihr Wissen mit Fort­bil­dungen, unter anderem am Orff-Institut in Salz­burg. „In der Musik­päd­agogik hat sich viel entwi­ckelt“, resü­miert sie. „Ohne Orff wäre das nicht denkbar gewesen.“

Von Body Percus­sion bis Urmusik

Seinen Stel­len­wert bestä­tigt auch Prof. Dr. Johannes Voit, der seit 2018 eine Musik­päd­ago­gi­sche Forschungs­stelle an der Univer­sität Biele­feld leitet: „Aus der Luft gegriffen war Orffs Ansatz nicht. Im Ausdrucks­tanz oder der Reform­päd­agogik deutete sich bereits nach der Wende zum 20. Jahr­hun­dert ein Umdenken an. Orff ist aber der Erste, der das metho­disch aufbe­reitet hat und dessen Ideen sehr einfluss­reich waren.“ Unter anderem sei Orff quasi Erfinder der Body Percus­sion. Was bei ihm „Klang­gesten“ hieß, sei heute als Klat­schen oder Stampfen Bestand­teil des musik­päd­ago­gi­schen Stan­dard-Reper­toires.

Gleich­zeitig habe Orffs Schul­werk Grenzen. „Kinder sind heute schon in der Grund­schule mit komple­xerer Musik und multi­kul­tu­rellen Stilen vertraut“, weiß Voit. Es sei eine vertane Chance, ihre offenen Ohren nicht zu nutzen und sich auf die elemen­tare „Urmusik“ Orffs zu beschränken. Auch beim Instru­men­ta­rium gebe es eine größere Band­breite. „Wenn Schüler am Computer mixen oder kompo­nieren, beweist das auch krea­tives Poten­zial“, so Voit. „Dass sie heute verschie­denste Vorer­fah­rungen und Fähig­keiten mitbringen, eröffnet der Musik­päd­agogik neue Möglich­keiten und Heraus­for­de­rungen.“



>

Mehr Informationen über die Musikpädagogin Angela Holzschuh und die Musikschule der Stadt Weilheim: www.musikschuleweilheim.de

Mehr Informationen über Johannes Voit, und seine musikpädagogische Forschungsarbeit: www.johannesvoit.de

Fotos: (c) Fred Lindinger, Archiv Carl-Orff-Stiftung