Johannes Voit
Die perfekte Verschmelzung von Musik, Bewegung und Sprache
von Antoinette Schmelter-Kaiser
5. Juli 2020
Carl Orff revolutionierte die Musikpädagogik. Seine Gedanken zu einer neuen Elementarmusik sind bis heute aktuell.
Von Australien über Argentinien und Island bis Südafrika: Orff-Schulwerk-Gesellschaften gibt es weltweit. 48 sind es derzeit, die von der elementaren Musik- und Tanzpädagogik im Sinne von Carl Orff und Gunild Keetman inspiriert und motiviert sind. In den USA ist der Enthusiasmus besonders groß: „Jedes Jahr treffen sich Delegierte aus allen Bundesstaaten zu einem Kongress“, berichtet Dr. Thomas Rösch von persönlichen Besuchen vor Ort. „Bei ihnen herrscht immer eine Bombenstimmung. Die Teilnehmer füllen große Hotel-Komplexe, tauschen sich aus und erzählen oft, dass Orff ihr Leben verändert hat.“
Man muss Teil der Musik sein!
Für den Direktor des Orff-Zentrums München, das den Nachlass des Multitalents wissenschaftlich erforscht, ist dies ein Beweis der andauernden Strahlkraft von Orffs Konzept. Von 1932 bis 1935 erschien zunächst seine Produktionsreihe Elementare Musikübung nach einer Werkstattphase an der Münchner Günther-Schule für Gymnastik und Tanz. Ab 1948 wurde es als Sendereihe des Bayerischen Rundfunks und fünfbändiges Begleitwerk Musik für Kinder ausgeweitet, das im Schott-Verlag erschien. Sein Erfolgsgeheimnis liegt für Rösch in Orffs Wunsch, die kindliche „Phantasie und Kreativität“ möglichst früh zu fördern.
Ausschlaggebend findet er auch sein ganzheitliches Anliegen, das der Komponist – der sich übrigens selbst nie als Pädagoge bezeichnet habe – so formulierte: „Elementare Musik ist nie Musik allein, sie ist mit Bewegung, Tanz und Sprache verbunden, sie ist eine Musik, die man selbst tun muss, in die man nicht als Hörer, sondern als Mitspieler einbezogen ist.“ Außerdem habe Orff verstanden, dass es nicht um „eine reine Lehre ging, die für ewige Zeiten festgelegt ist“, sondern um ein „lebendiges Konzept, das sich von Generation zu Generation verändert – selbstverständlich unter Wahrung der Grundideen.“
Elementare Musik als lebendiges Konzept
Für Angela Holzschuh bedeutet das, Carl Orffs Schulwerk heute „nicht von A bis Z“ anzuwenden, sich aber Elemente für ihren Unterricht in Musikalischer Früherziehung herauszupicken. „Orff-Instrumente gibt es in vielen Kindergärten“, freut sich die Lehrerin an der Musikschule der Stadt Weilheim. „Xylophone, Trommeln, Glockenspiele und Klanghölzer sind ohne vorherigen Instrumentalunterricht leicht zu spielen. Das begeistert Kinder und führt beim Kennenlernen von Rhythmus, Melodie oder einfacher Notation zu erstaunlichen Ergebnissen.“
Für sie selbst war Orff ein Wegbegleiter: Ihren ersten Kontakt mit ihm hatte sie schon als kleines Mädchen in Form der Langspielplatte „Musik für Kinder“, die sie faszinierte. Während ihres Studiums in den Fächern Elementare Musikpädagogik, Orchestermusik und Musiklehrer für Harfe begegnete sie in Mannheim auch Orffs Schulwerk. Später vertiefte sie ihr Wissen mit Fortbildungen, unter anderem am Orff-Institut in Salzburg. „In der Musikpädagogik hat sich viel entwickelt“, resümiert sie. „Ohne Orff wäre das nicht denkbar gewesen.“
Von Body Percussion bis Urmusik
Seinen Stellenwert bestätigt auch Prof. Dr. Johannes Voit, der seit 2018 eine Musikpädagogische Forschungsstelle an der Universität Bielefeld leitet: „Aus der Luft gegriffen war Orffs Ansatz nicht. Im Ausdruckstanz oder der Reformpädagogik deutete sich bereits nach der Wende zum 20. Jahrhundert ein Umdenken an. Orff ist aber der Erste, der das methodisch aufbereitet hat und dessen Ideen sehr einflussreich waren.“ Unter anderem sei Orff quasi Erfinder der Body Percussion. Was bei ihm „Klanggesten“ hieß, sei heute als Klatschen oder Stampfen Bestandteil des musikpädagogischen Standard-Repertoires.
Gleichzeitig habe Orffs Schulwerk Grenzen. „Kinder sind heute schon in der Grundschule mit komplexerer Musik und multikulturellen Stilen vertraut“, weiß Voit. Es sei eine vertane Chance, ihre offenen Ohren nicht zu nutzen und sich auf die elementare „Urmusik“ Orffs zu beschränken. Auch beim Instrumentarium gebe es eine größere Bandbreite. „Wenn Schüler am Computer mixen oder komponieren, beweist das auch kreatives Potenzial“, so Voit. „Dass sie heute verschiedenste Vorerfahrungen und Fähigkeiten mitbringen, eröffnet der Musikpädagogik neue Möglichkeiten und Herausforderungen.“
Mehr Informationen über die Musikpädagogin Angela Holzschuh und die Musikschule der Stadt Weilheim: www.musikschuleweilheim.de
Mehr Informationen über Johannes Voit, und seine musikpädagogische Forschungsarbeit: www.johannesvoit.de