Corinne Winters
Die Hepburn der Oper
1. Dezember 2022
Sie war eine der Sensationen der Salzburger Festspiele 2022, weil sie alle Facetten des emotionalen wie stimmlichen Registers beherrscht. Sie ist fragil und sensibel, dabei stark und voller Leidenschaft: die amerikanische Sopranistin Corinne Winters.
Noch hat sie keinen Ton gesungen, rennt über die riesige Bühne der Felsenreitschule, vorbei an Dutzenden Menschen, die ihr den Rücken kehren (später wird sich zeigen, es sind Puppen!), kommt am linken Rand des Orchestergrabens zum Stehen und – kippt fast hinein: Das Vorspiel ist zu Ende, die Tragödie nimmt ihren Lauf. Am Ende wird diese zunächst rätselhafte Szene klar, denn die Wolga, die mit Vokalisen aus dem Orchestergraben tönt, zieht Katja in die Tiefe und in den Tod.
„Das Herz und der Brustkorb bilden zusammen das Zentrum dessen, was wir sind und tun!“
Corinne Winters, die Darstellerin der Katja in Leoš Janáčeks Káťa Kabanová bei den Salzburger Festspielen 2022, ist begeistert: „In der Ouvertüre zeigt Barrie Kosky alle Seiten dieser jungen Frau: wie sie ganz bezaubert Vögel singen hört, dann ihre Furcht, das Ausbrechenwollen und schließlich ihre Psychose, als sich ihr Geist verwirrt unter dem Druck, dem sie ausgesetzt ist.“ Und sie schwärmt weiter: „Und das alles – all das Physische und Psychische kommt aus meiner Brust. Das Herz und der Brustkorb bilden zusammen das Zentrum dessen, was wir sind und tun! Wenn die Mittellage nicht gut ist, dann ist das, als würde ein Gebäude nur aus Backsteinen ohne Mörtel dazwischen gebaut. Aber nur Steine und nichts dazwischen machen das Ganze instabil.“
Trotz der gewaltigen Dimensionen der Bühne gibt es auch intime Szenen, die man vor allem in der Fernsehaufzeichnung sehen kann, etwa, wenn die Hände Katjas bei ihrer letzten Begegnung mit ihrem heimlichen Geliebten Boris auf seinem Rücken zusammenfinden. „Oh ja, Barrie nannte es ‚das Hände-Ballett‘ – wie schön, dass man das auf der DVD in Großaufnahme wird sehen können.“
Es war ihre dritte Produktion von Janáčeks Káťa Kabanová, drei weitere in Genf, Stuttgart und Lyon werden folgen, aber es war auch die bislang spektakulärste, nicht zuletzt, weil Katja mehrfach über die ganze Bühne rennen und danach singen muss. „Das war das Herausforderndste der ganzen Produktion, aber Barrie wusste, dass ich joggen gehe, dass ich sehr athletisch bin – und das hat er schamlos ausgenutzt, um immer wieder Katjas Bedürfnis nach Flucht zeigen zu können! Das war für mich als Sängerin nicht einfach, aber um die Geschichte zu erzählen, einfach genial! In der Inszenierung in Seattle im Jahr 2017 spielte das Ganze in einer spießigen US-Familie der 1950er, die Regie von Richard Jones in Rom Anfang 2022 war mehr stilisiert und zeigte die Traumwelt, in der die Hauptfigur lebt – man konnte also in ihre Seele und ihre Gedanken schauen.“
„Die Hepburn ist mein absolutes Vorbild, was meinen Style angeht!“
Corinne Winters hat ukrainische Wurzeln: „Meine Großeltern kamen als Juden um die Jahrhundertwende aus Kiew, sie sprachen jiddisch und ein bisschen russisch, aber ich habe wohl das slawische Repertoire, ob russisch, polnisch oder tschechisch, in meiner DNA. Die so wichtigen Betonungen im Tschechischen habe ich jetzt jedenfalls mehr als verinnerlicht. Und ich freue mich sehr, dass ich Janáček mit so wunderbaren tschechischen Dirigenten wie Jakob Hrůša hier in Salzburg, Tomáš Hanuš oder Tomáš Netopil in Genf machen darf. Aber ich singe in der nächsten Saison nicht nur Katja, sondern auch Butterfly und Dialogues
des Carmélites, sonst würde ich ja komplett depressiv.“ (lacht)
Schockverliebt könnte man den Zustand nennen, wenn man Corinne Winters auf der Presseterrasse der Salzburger Festspiele mit wunderbarem Blick auf die Altstadt Salzburgs gegenübersitzt und sie ungemein charmant in feinem, so gar nicht amerikanischem Englisch parliert und strahlt. Unwillkürlich denkt man an ihre Fiordiligi 2016 in der Londoner Così fan tutte zurück. Und plötzlich wird alles klar, glaubt man zu wissen, was man sieht, hier wie dort: Audrey Hepburn! Winters lacht: „Oh ja, die Hepburn, das ist mein absolutes Vorbild, was meinen Style angeht!“
Dass sie neben Dorabella trotz höherer Töne fast genauso samten dunkel klingt, bestätigt sie ebenfalls:„Ich begann ja als Mezzosopran, aber noch bevor ich das Studium abschloss, war ich dann Sopran! (lacht) Das hilft mir bei Butterfly, bei Jenůfa, Halka oder Katja – das alles sind dramatische Partien, was die Erdung angeht, den Charakter der Rolle, aber wohlgemerkt nicht das Stimmfach.“ Das gilt auch für die Fiordiligi, auch die muss in jeder Hinsicht eine gute Tiefe haben! Und selbst für eine Traviata braucht man, wie Corinne Winters sagt, „Chest Connection“, also die Verbindung zum Zentrum des Körpers. Und sie weiß: „Eine schöne Stimme ist eine ausgeglichene Stimme, eine, die ganz natürlich aufblühen kann“
„Eine schöne Stimme ist eine ausgeglichene Stimme“
Corinne Winters liebt das italienische Repertoire – Puccini, Leoncavallo und Verdi: „Italienisch ist die einzige Sprache, die ich außer meiner Muttersprache Englisch wirklich gut spreche!“ So hat Corinne Winters unzählige Male Verdis Violetta in La Traviata gesungen. Ihre erste professionelle Partie in den USA unter der Regie von David Alden war freilich Mélisande, noch lange vor der aufregenden, auch auf DVD festgehaltenen Produktion in Zürich von Pelléas et Mélisande unter der Regie von Dmitri Tcherniakov 2016. Da spielt und singt sie ein autistisches Mädchen, das sich im schwarzen Kapuzenpulli versteckt und von Golaud, ihrem Therapeuten, der vorgibt, sie heilen zu wollen, genauso (vor allem) seelisch missbraucht wird wie von seinem jüngeren Halbbruder Pelléas, bei dem ihre Verletzbarkeit und Unnahbarkeit sowohl Beschützerinstinkt wie erotische Faszination auslösen – mit fatalen, ja letalen Folgen. Die perfekte Partie also für Corinne Winters, die – und auch da ist sie mit Audrey Hepburn verwandt mit ihrem ebenso zarten wie zähen Körper – oft scheinbar hilflose junge Frauen, die dann doch unglaublich stark sein können, verkörpert. Selbst wenn sie letztlich, wie das Frauen in der Oper oft geschieht, sterben müssen.