"Die Lage" in München

Gnaden­loses Casting

von Antoinette Schmelter-Kaiser

13. Februar 2025

Katja Wachter bringt mit Studierenden Tobias Melles Stück„Die Lage“ als „Bewegungsprojekt“ auf die Bühne des Münchner Akademietheaters. Seine Botschaft: Wer hierzulande eine Wohnung sucht, muss viel von sich preisgeben und hart im Nehmen sein.

Hinsetzen, zurück­lehnen, zuschauen: Auf diese Komfort­zone hat das Publikum von „Die Lage“ keine Chance. Schon beim Einnehmen der Plätze im Akade­mie­theater wird es von einer Bade­man­tel­trä­gerin auf der Bühne mit Fragen befeuert: „Bist Du vegan? Hast Du eine Freundin? Wie oft über­nachtet sie bei Dir? Kommst Du mit sozialem Druck klar?“ Kein Zweifel: Wer hier­zu­lande eine Wohnung sucht, muss viel von sich preis­geben und hart im Nehmen sein.
Das wird auch im weiteren Verlauf der Insze­nie­rung von Katja Wachter durch­ex­er­ziert. Wieder­holt mutieren Besich­ti­gungs­ter­mine auf dem hart umkämpften Münchner Wohnungs­markt zum Casting, bei dem Makle­rinnen oder Makler in Signalrot inter­es­sierte Paare – von Einkom­mens­nach­weis bis Sex- und Streit­laut­stärke – gnadenlos unter die Lupe nehmen. Gele­gent­lich erlauben sich die Bewer­be­rinnen und Bewerber verhal­tene Kritik oder Nach­fragen. Letzt­end­lich biedern sich aber fast alle unter­würfig an, um den Zuschlag zu bekommen – einer­seits Teil einer Masse von Wohnungs­su­chenden, die alle im glei­chen Boot sitzen, ande­rer­seits indi­vi­du­elle Charak­tere in verschie­densten Bezie­hungs­kon­stel­la­tionen und ‑stadien.
Da Katja Wachter Tobias Melles Theaterstück„Die Lage“ als „Bewe­gungs­pro­jekt“ auf die Bühne bringt, spre­chen neun Studie­rende des Bache­lor­stu­di­en­gangs Schau­spiel an der Baye­ri­schen Thea­ter­aka­demie nicht nur Texte. Parallel folgen sie mit leeren Kartons als einzigen, multi­funk­tio­nalen Acces­soires ausge­klü­gelten Choreo­gra­phien – mal als Gruppe, mal allein, mal mit ihren Part­nern. Außerdem bauen sie live gespielte und gesun­gene Songs ein. Je schwie­riger sich die Wohnungs­suche gestaltet, desto aggres­siver und lauter wird deren Ton. Höhe­punkt ist ein entfes­seltes Punk­stück, in dem sich das junge Ensemble seinen Wohnungs­such-Frust ener­gie­ge­laden von der Seele tanzt und den anar­chis­ti­schen Aufstand probt.
Wohnungs­suche entpuppt sich dabei immer mehr als exis­ten­zi­elle Frage, bei der auch die derzei­tige Erben­ge­nera­tion nicht unge­schoren davon kommt. Sati­risch zuge­spitzt und über­zeichnet, sorgt „Die Lage“ in Wach­ters Insze­nie­rung zwar immer wieder für Lacher. Die bleiben ange­sichts der aktu­ellen Lage aber letzt­end­lich im Hals stecken. Jeder im Publikum dürfte jemanden kennen, der sich mit dem Suchen und Finden einer bezahl­baren Immo­bilie plagt, oder ist selbst davon betroffen. Also auch im echten Leben keine Chance auf Komfort­zone.

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Weitere Aufführungen am 12./13./14./15.2.
https://www.theaterakademie.de/theater-erleben/stueckinfo/die-lage

Fotos: Cordula Treml