Edda Moser
»Allein mit sich und Gott«
8. August 2021
Ihre Königin der Nacht ließ sie zur lebenden Legende werden. Die Sopranistin Edda Moser war eine von den ganz Großen. Mit resolutem Charme blickt sie plaudernd zurück.
Facetime oder Skype sind ihr nicht geheuer. Also wird telefoniert von München nach Rheinbreitbach in die Nähe von Bonn: „Wir haben zwei Stunden Zeit – bis der Schornsteinfeger kommt. Hoffentlich haben wir bis dahin erschöpfend über alles gesprochen!“ Natürlich kommt das Gespräch gleich auf Mozarts Königin der Nacht. Mosers „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ in der unerreichten Einspielung unter Sawallisch wurde auf einer goldenen Schallplatte zusammen mit anderen epochalen Zeugnissen der menschlichen Kultur per Voyager-Sonde 1977 ins All geschossen.
1972 brauchte es im Studio dafür einen einzigen Take, der nur als Probe gedacht war – und schließlich gleich als perfekt befunden wurde. Auch die erste Arie der Königin war nach nur einer Aufnahme „im Kasten“! Legendär ist daneben Edda Mosers Donna Anna an der Seite vieler berühmter Tenorkollegen, unsterblich und einem breiten Publikum bekannt geworden durch die Verfilmung des Don Giovanni von Joseph Losey. Aber: „Er hat der Kostbarkeit von Mozarts Musik nicht vertraut. Viel später lud er mich nach Asolo in das zauberhafte Hotel in einer Palladio-Villa ein, um sich zu entschuldigen. Dass er zwar von Kiri te Kanawa als Donna Elvira viele, von mir aber keine Großaufnahme im Film gemacht hatte. Ich meinte daraufhin nur: ‚Na, das hätten wir mal früher besprechen sollen!‘“
Als dramatischer Koloratursopran war Moser die ideale Elettra, Konstanze, Vitellia und auch Fiordiligi, heute aber sagt sie: „Ach, wissen Sie, außer Pamina und Ilia sind alle Frauenfiguren bei Mozart trotz all ihrer herrlichen Musik doch irgendwo böse – überall sind da Abgründe. Nach jeder Così, die ich so oft unter den größten Dirigenten gesungen habe, war ich zu Hause tieftraurig über die Dummheit dieser Menschen!“ Auch zu Beethovens Fidelio hat sie eine dezidierte Meinung: „Die endgültige Fassung von 1814 ist viel besser als die Urfassung von 1805 unter dem Titel Leonore, und ich habe ja beides gesungen. Aber die Zeitbremsen der ersten Version halten das spannende Stück auf, es ist einfach zu lang!“
Auf einen Liederabend angesprochen, der 23 Jahre zurückliegt, rügt sie den Autor und Interviewpartner, der aus seiner damaligen Kritik zitiert: „Nein, Dvořák habe ich nie gesungen, ich kann kein Tschechisch! Und als ich einmal auf Russisch gesungen habe, war das die größte Katastrophe meines Lebens!“ Auch das „okay“, das am anderen Ende der Leitung immer mal wieder rausrutscht, wird mit einer Mischung aus Schärfe und Charme kommentiert: „Haben Sie noch was anderes zu sagen als dieses Wort? Dafür müssen meine Studenten immer einen Euro zahlen!“
»Ach, man verstand sich ohne Worte und fiel sich immer in die Arme vor Glück. Wo ist das geblieben?«
Wir bleiben bei der Achtsamkeit auf gutes Deutsch und beim deutschen Lied, das ihr ein großes Anliegen ist. Es dokumentiert sich in ihrer Diskografie an zahlreichen Recitals mit Schubert, Schumann, Strauss und Pfitzner; darunter Spanisches Liederspiel, Liebesfrühling und Minnespiel an der Seite von Nicolai Gedda, Walter Berry und Hanna Schwarz von 1976: „Ach, man verstand sich ohne Worte, und das waren auch auf der Bühne so wunderbare Kollegen. Als ich in Berlin studierte, gab es wöchentlich Liederabende: Fischer-Dieskau, Hermann Prey, Elisabeth Grümmer, Elisabeth Schwarzkopf, Irmgard Seefried in einem Saal von 800 Leuten, und man fiel sich immer in die Arme vor Glück. Wo ist das geblieben? Und warum singen die meisten vom Blatt? Da gibt es keinen Kontakt zum Publikum mehr!“
Edda Moser liebt die deutsche Sprache und ist allergisch, was Anglizismen angeht: „All diese Events und Highlights und Festivals und Handys – grauenhaft! Als ich in Amerika viele Juden traf, die nach Jahrzehnten fern ihrer Heimat ein so wunderbares Deutsch sprachen, sagten sie zu mir: ‚Das ist unser portatives Vaterland‘. Deshalb habe ich in Bad Lauchstädt das ‚Festspiel der deutschen Sprache‘ gegründet. Um gegen die Herzensträgkeit der Deutschen und den schlampigen Umgang mit ihrer Sprache anzugehen! Wie jedes Jahr gibt es im dortigen kleinen Goethe-Theater Der Tor und der Tod von meinem so verehrten Hugo von Hofmannsthal. Und 2021 außerdem Lessings Emilia Galotti mit Johanna Wokalek in der Titelrolle und Thomas Thieme als Marinelli sowie wieder die Weimarer Fassung der Zauberflöte von Goethe!“
»Ich bin in Weimar aufgewachsen, habe als kleines Mädchen in Goethes Gartenhaus gespielt.«
Um klarzumachen, dass ihr das alles beinahe in die Wiege gelegt wurde, holt sie aus: „Wissen Sie, ich bin in Weimar aufgewachsen, habe als kleines Mädchen in Goethes Gartenhaus gespielt. Die überlebensgroße Gipsbüste der Juno Ludovisi in seinem Haus am Frauenplan war meine Spielkameradin. Mit der habe ich geredet, während mein Vater, der Musikwissenschaftler Hans-Joachim Moser, in Goethes Bibliothek recherchierte, was man damals noch durfte.“
Als Salome gab Edda Moser ihren Bühnenabschied 1994 in Wien – 1986 hatte sie in dieser Partie unter Kent Nagano in Paris debütiert. Der Regisseur kam nicht damit klar, dass sie „ein mädchenhaftes, zärtlich freches Gör im Alter von 15, wie’s in der Bibel steht“ darstellen wollte, „die überhaupt nicht wusste, was sie da eigentlich verlangt“. Erst als Edda Moser den Regisseur zur Generalprobe fragte, ob sie barfuß singen dürfte, begriff er, was sie wollte, und küsste ihr die Hände. „Es gab ein herrliches Bühnenbild, das vom Ende der Menschheit kündete: Alle hausten mit Fellen in irgendwelchen Löchern in der Wüste, da waren kaputte Autos, ein abgestürztes Flugzeug lag im Sand. Der einzige Farbakzent war der rote Schal Salomes zum Schlussgesang, unglaublich eindrucksvoll!“
»Die Marschallin nimmt Abschied von ihrer jungen Lebenszeit, sie trauert um sich selbst.«
Edda Moser war auch Marschallin im Rosenkavalier – „eine herrliche Partie, unglaublich schön zu singen, ich habe das sehr gerne gemacht“. Elf Jahre nach dem Bühnenabschied galt dann ihr letzter öffentlicher Auftritt als Sängerin eben der Marschallin im Schluss-Terzett bei der Kölner Aidsgala 2005. Am Ende der feinen Dokumentation Edda Moser – Königin der Nacht von Hilla Schulte kann man das bewundern und auf YouTube zumindest hören: „Die Marschallin nimmt hier Abschied von ihrer jungen Lebenszeit, sie trauert um sich selbst, nicht um die Kerle. Denn damals, um 1740, als das Stück spielt, war man mit 35 ja schon alt!“
Angesprochen auf den größten Skandal in ihrem Leben, die verhinderte Hamburger Uraufführung von Hans Werner Henzes Oratorium Das Floß der Medusa, von der heute immerhin der Mitschnitt der Generalprobe auf CD existiert, die eine traumhaft schön singende 29-Jährige offenbart, lacht Moser herzlich: „Ach, der Henze! Seine Musik wird bleiben, die habe ich immer gerne gesungen! Aber, wissen Sie, einerseits lebte er wie ein Fürst in seinem Schloss in Castel Gandolfo mit Hunden auf kostbaren Seidenteppichen. Gegessen wurde auf goldenen Tellern, und als ich mich beim Koch auf Italienisch bedankte, sagte er: ‚Man spricht nicht mit dem Personal!‘ Und der wollte Kommunist im Sinne von Che Guevara sein? Dabei waren wir so gut vorbereitet in Hamburg, und es klang so schön, aber der Rias-Kammerchor wollte zu Recht unter keiner roten Flagge singen, die Demonstranten auf der Bühne platziert hatten, also wurden wir alle nach Hause geschickt. Henze kam mit Ernst Schnabel, der den Text geschrieben hatte, für diese Nacht sogar ins Gefängnis.“
Edda Moser hat mit vielen großen Tenören gesungen: Pavarotti, Domingo, Alfredo Kraus oder Nicolai Gedda. Letzteren hat sie geliebt und „er hat mir mein Engagement für die EMI gerettet, als ich für Lucia Popp als Franzi im Walzertraum einsprang“. Da traf Moser auf eine eifrige Dialog-Regisseurin, der die Sängerin genervt entgegnete: „Jetzt lassen Sie mich doch erst mal reden, erst mal machen!“ Daraufhin musste Gedda den Satz sagen: „Franzi, Franzi, wo bleibst du?“ Moser erzählt weiter: „Er nahm seine dicke Hornbrille ab, schaute von der Seite streng zu mir hin und fragte zuckersüß die Regisseurin: ‚Wie soll ich es anlegen?‘ Da wusste ich, wie so was läuft, und hatte zwei Tage später den Vertrag bei der EMI für meine Soloplatten. Ohne ihn wäre das vielleicht nichts geworden.“
Und dann war da Franco Corelli. Neben ihm als Calaf sang sie Liù in Turandot: „Ach, ich lag vor ihm auf den Knien – so ein wunderbarer Sänger, so ein schöner Mann. Aber am Ende seiner Karriere war er sehr nervös. Seine Frau ließ immer das Wasser für ihn in der Kirche weihen; einmal bekam ich sogar was davon ab! Auch Gösta Winbergh – mein wunderbarer Ottavio – war ein sehr guter Freund.“ Mit Alfredo Kraus sang sie an der Wiener Staatsoper die Traviata: „Er kam zur Probe, hatte immer seine Sonnenbrille auf, würdigte mich keines Blickes, hat mich nie gegrüßt – was für ein Schnösel, was für ein Fatzke! Dann sangen wir sehr harmonisch zusammen, aber angeschaut hat er mich immer noch nicht. Nach der Vorstellung übermittelte man mir von ihm, so schön hätte seit der Callas niemand die ‚Addio‘-Arie gesungen. Ein paar Wochen später bekam ich seine Einladung zu einem Wettbewerb nach Madrid, und dann haben wir uns regelmäßig geschrieben.“
Im Film von Hilla Schulte kann man sehen, wie plastisch Edda Moser einer jungen Sängerin erklärt, was bei der Königin der Nacht wichtig ist. Sie versichert: „Ich habe gerne meine Erfahrungen weitergegeben, obwohl jeder ja seine Erfahrungen selber machen muss. Aber die Arbeit mit dem Atem und die Arbeit mit der Sprache war immer essenziell für mich beim Unterricht, auch das Psychologische! Zu lehren, was man alles ertragen muss in diesem Beruf, wie man die Einsamkeit auf der Bühne aushält. Ab der Bühnentür hört jede Form von Beziehung auf. Da steht man allein mit sich und Gott!“
»Wagner hat viel besser für Sänger geschrieben als Verdi. Wagner lässt die Stimme fliegen.«
Die große Mozart-Sängerin wäre gerne Wagner-Sängerin geworden. Über sechs Vorstellungen als Senta im Fliegenden Holländer an der Deutschen Oper schwärmt sie heute noch: „Ach, ich war wie im Himmel, es hat sich herrlich gesungen.“ Von Isoldes Liebestod und dem Schlussgesang gibt es einen auf CD erschienenen Mitschnitt aus einem Konzert von 1989. Er zeigt, welche klangvolle Fülle in allen Lagen dieser dramatische Koloratursopran doch auch besaß. Darauf war Edda Moser schon immer stolz, denn: „Die Königin ist eine Mezzo-Partie mit ein paar hohen Tönen.“ Aber sie erinnert sich auch: „Was bin ich erschrocken, als ich damals die 120 Mann im Orchester sitzen sah! Ich dachte, da komm ich nie drüber. Doch nach ein paar Takten flog meine Stimme wie ein Vogel. Wagner hat viel besser für Sänger geschrieben als Verdi, weil bei ihm das Orchester immer mitspielt und die Sänger manchmal zudeckt. Wagner lässt die Stimme fliegen. Da wusste ich: Ich bin eine Wagner-Sängerin.“ Leider wurde aus dieser zweiten Karriere nichts, aber mit einem großen Wagner-Sänger stand sie immer wieder auf der Bühne: „Hans Beirer spielte und sang in der Fledermaus als Alfred in seiner ganzen Attitüde eine wunderbare Leo-Slezak-Parodie – samt großem Schal und Hut. Als Rosalinde war ich seine Geliebte auf der Bühne. Das zu spielen, hat uns irrsinnig viel Spaß gemacht.“
Am Ende des Gesprächs erzählt Edda Moser dann noch „die beste Geschichte meiner ganzen Karriere“. Als sie einmal in New York sang, rief eines Abends Thea, die Frau von Karl Böhm, an und fragte: „‚Na wie geht’s Ihnen denn so? Wollen’S nicht zum Nachtmahl kommen?‘ Darauf ich: ‚Aber gerne‘, und ‚Soll ich was mitbringen?‘, was freudig bejaht wurde. Also ging ich zu einem deutschen Selcher mit wunderbarer Leberwurst, hab ein Pfund davon gekauft und bin an einem bitterkalten Februartag in meinem warmen roten Hosenanzug zu ihr. In der Küche mache ich das Licht an – und alles war voll mit Kakerlaken. Ich bin sofort wieder raus, wir unterhielten uns anderthalb Stunden und aßen unsere Leberwurst – mit Wasser und ohne Brot. Thea plötzlich: ‚Also Sie ha’m da einen schönen Anzug an, der steht ihnen so gut. Würd« mir so ein Hosenanzug auch stehen?‘ Rote Haare hatte sie ja, aber ein ganz anderes Rot. Sie kam immer wieder darauf zurück, und ich sagte schließlich: ‚Wissen’s was, ich schenk Ihnen den!‘ Sie darauf gerührt: ‚Ah, wie schön! Aber Kinderl, wie wollen’s denn dann nach Hause kommen?‘ Ist das nicht süß?“