Christian Steiner / Warner Classics

Edda Moser

»Allein mit sich und Gott«

von Klaus Kalchschmid

8. August 2021

Ihre Königin der Nacht ließ sie zur lebenden Legende werden. Die Sopranistin Edda Moser war eine von den ganz Großen. Mit resolutem Charme blickt sie plaudernd zurück.

Face­time oder Skype sind ihr nicht geheuer. Also wird tele­fo­niert von München nach Rhein­breit­bach in die Nähe von Bonn: „Wir haben zwei Stunden Zeit – bis der Schorn­stein­feger kommt. Hoffent­lich haben wir bis dahin erschöp­fend über alles gespro­chen!“ Natür­lich kommt das Gespräch gleich auf Mozarts Königin der Nacht. Mosers „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ in der uner­reichten Einspie­lung unter Sawal­lisch wurde auf einer goldenen Schall­platte zusammen mit anderen epochalen Zeug­nissen der mensch­li­chen Kultur per Voyager-Sonde 1977 ins All geschossen.

1972 brauchte es im Studio dafür einen einzigen Take, der nur als Probe gedacht war – und schließ­lich gleich als perfekt befunden wurde. Auch die erste Arie der Königin war nach nur einer Aufnahme „im Kasten“! Legendär ist daneben Edda Mosers Donna Anna an der Seite vieler berühmter Tenor­kol­legen, unsterb­lich und einem breiten Publikum bekannt geworden durch die Verfil­mung des Don Giovanni von Joseph Losey. Aber: „Er hat der Kost­bar­keit von Mozarts Musik nicht vertraut. Viel später lud er mich nach Asolo in das zauber­hafte Hotel in einer Palladio-Villa ein, um sich zu entschul­digen. Dass er zwar von Kiri te Kanawa als Donna Elvira viele, von mir aber keine Groß­auf­nahme im Film gemacht hatte. Ich meinte daraufhin nur: ‚Na, das hätten wir mal früher bespre­chen sollen!‘“

als legen­däre Königin der Nacht

Als drama­ti­scher Kolo­ra­tur­so­pran war Moser die ideale Elettra, Konstanze, Vitellia und auch Fior­di­ligi, heute aber sagt sie: „Ach, wissen Sie, außer Pamina und Ilia sind alle Frau­en­fi­guren bei Mozart trotz all ihrer herr­li­chen Musik doch irgendwo böse – überall sind da Abgründe. Nach jeder Così, die ich so oft unter den größten Diri­genten gesungen habe, war ich zu Hause tief­traurig über die Dumm­heit dieser Menschen!“ Auch zu Beet­ho­vens Fidelio hat sie eine dezi­dierte Meinung: „Die endgül­tige Fassung von 1814 ist viel besser als die Urfas­sung von 1805 unter dem Titel Leonore, und ich habe ja beides gesungen. Aber die Zeit­bremsen der ersten Version halten das span­nende Stück auf, es ist einfach zu lang!“

Auf einen Lieder­abend ange­spro­chen, der 23 Jahre zurück­liegt, rügt sie den Autor und Inter­view­partner, der aus seiner dama­ligen Kritik zitiert: „Nein, Dvořák habe ich nie gesungen, ich kann kein Tsche­chisch! Und als ich einmal auf Russisch gesungen habe, war das die größte Kata­strophe meines Lebens!“ Auch das „okay“, das am anderen Ende der Leitung immer mal wieder raus­rutscht, wird mit einer Mischung aus Schärfe und Charme kommen­tiert: „Haben Sie noch was anderes zu sagen als dieses Wort? Dafür müssen meine Studenten immer einen Euro zahlen!“

Eugen Zymner

»Ach, man verstand sich ohne Worte und fiel sich immer in die Arme vor Glück. Wo ist das geblieben?«

Wir bleiben bei der Acht­sam­keit auf gutes Deutsch und beim deut­schen Lied, das ihr ein großes Anliegen ist. Es doku­men­tiert sich in ihrer Disko­grafie an zahl­rei­chen Reci­tals mit Schu­bert, Schu­mann, Strauss und Pfitzner; darunter Spani­sches Lieder­spiel, Liebes­früh­ling und Minne­spiel an der Seite von Nicolai Gedda, Walter Berry und Hanna Schwarz von 1976: „Ach, man verstand sich ohne Worte, und das waren auch auf der Bühne so wunder­bare Kollegen. Als ich in Berlin studierte, gab es wöchent­lich Lieder­abende: Fischer-Dieskau, Hermann Prey, Elisa­beth Grümmer, Elisa­beth Schwarz­kopf, Irmgard Seefried in einem Saal von 800 Leuten, und man fiel sich immer in die Arme vor Glück. Wo ist das geblieben? Und warum singen die meisten vom Blatt? Da gibt es keinen Kontakt zum Publikum mehr!“

Edda Moser liebt die deut­sche Sprache und ist aller­gisch, was Angli­zismen angeht: „All diese Events und High­lights und Festi­vals und Handys – grau­en­haft! Als ich in Amerika viele Juden traf, die nach Jahr­zehnten fern ihrer Heimat ein so wunder­bares Deutsch spra­chen, sagten sie zu mir: ‚Das ist unser porta­tives Vater­land‘. Deshalb habe ich in Bad Lauch­städt das ‚Fest­spiel der deut­schen Sprache‘ gegründet. Um gegen die Herzens­träg­keit der Deut­schen und den schlam­pigen Umgang mit ihrer Sprache anzu­gehen! Wie jedes Jahr gibt es im dortigen kleinen Goethe-Theater Der Tor und der Tod von meinem so verehrten Hugo von Hofmanns­thal. Und 2021 außerdem Lessings Emilia Galotti mit Johanna Wokalek in der Titel­rolle und Thomas Thieme als Mari­nelli sowie wieder die Weimarer Fassung der Zauber­flöte von Goethe!“

Eugen Zymner

»Ich bin in Weimar aufge­wachsen, habe als kleines Mädchen in Goethes Garten­haus gespielt.«

Um klar­zu­ma­chen, dass ihr das alles beinahe in die Wiege gelegt wurde, holt sie aus: „Wissen Sie, ich bin in Weimar aufge­wachsen, habe als kleines Mädchen in Goethes Garten­haus gespielt. Die über­le­bens­große Gips­büste der Juno Ludo­visi in seinem Haus am Frau­en­plan war meine Spiel­ka­me­radin. Mit der habe ich geredet, während mein Vater, der Musik­wis­sen­schaftler Hans-Joachim Moser, in Goethes Biblio­thek recher­chierte, was man damals noch durfte.“

Als Salome gab Edda Moser ihren Bühnen­ab­schied 1994 in Wien – 1986 hatte sie in dieser Partie unter Kent Nagano in Paris debü­tiert. Der Regis­seur kam nicht damit klar, dass sie „ein mädchen­haftes, zärt­lich freches Gör im Alter von 15, wie’s in der Bibel steht“ darstellen wollte, „die über­haupt nicht wusste, was sie da eigent­lich verlangt“. Erst als Edda Moser den Regis­seur zur Gene­ral­probe fragte, ob sie barfuß singen dürfte, begriff er, was sie wollte, und küsste ihr die Hände. „Es gab ein herr­li­ches Bühnen­bild, das vom Ende der Mensch­heit kündete: Alle hausten mit Fellen in irgend­wel­chen Löchern in der Wüste, da waren kaputte Autos, ein abge­stürztes Flug­zeug lag im Sand. Der einzige Farb­ak­zent war der rote Schal Salomes zum Schluss­ge­sang, unglaub­lich eindrucks­voll!“

Eugen Zymner

»Die Marschallin nimmt Abschied von ihrer jungen Lebens­zeit, sie trauert um sich selbst.«

Edda Moser war auch Marschallin im Rosen­ka­va­lier – „eine herr­liche Partie, unglaub­lich schön zu singen, ich habe das sehr gerne gemacht“. Elf Jahre nach dem Bühnen­ab­schied galt dann ihr letzter öffent­li­cher Auftritt als Sängerin eben der Marschallin im Schluss-Terzett bei der Kölner Aids­gala 2005. Am Ende der feinen Doku­men­ta­tion Edda Moser – Königin der Nacht von Hilla Schulte kann man das bewun­dern und auf YouTube zumin­dest hören: „Die Marschallin nimmt hier Abschied von ihrer jungen Lebens­zeit, sie trauert um sich selbst, nicht um die Kerle. Denn damals, um 1740, als das Stück spielt, war man mit 35 ja schon alt!“

Ange­spro­chen auf den größten Skandal in ihrem Leben, die verhin­derte Hamburger Urauf­füh­rung von Hans Werner Henzes Orato­rium Das Floß der Medusa, von der heute immerhin der Mitschnitt der Gene­ral­probe auf CD exis­tiert, die eine traum­haft schön singende 29-Jährige offen­bart, lacht Moser herz­lich: „Ach, der Henze! Seine Musik wird bleiben, die habe ich immer gerne gesungen! Aber, wissen Sie, einer­seits lebte er wie ein Fürst in seinem Schloss in Castel Gandolfo mit Hunden auf kost­baren Seiden­tep­pi­chen. Gegessen wurde auf goldenen Tellern, und als ich mich beim Koch auf Italie­nisch bedankte, sagte er: ‚Man spricht nicht mit dem Personal!‘ Und der wollte Kommu­nist im Sinne von Che Guevara sein? Dabei waren wir so gut vorbe­reitet in Hamburg, und es klang so schön, aber der Rias-Kammer­chor wollte zu Recht unter keiner roten Flagge singen, die Demons­tranten auf der Bühne plat­ziert hatten, also wurden wir alle nach Hause geschickt. Henze kam mit Ernst Schnabel, der den Text geschrieben hatte, für diese Nacht sogar ins Gefängnis.“

Edda Moser und Nicolai Gedda
Edda Moser als Donna Anna in Mozarts Don Giovanni mit Nicolai Gedda
Metro­po­litan Opera Archive

Edda Moser hat mit vielen großen Tenören gesungen: Pava­rotti, Domingo, Alfredo Kraus oder Nicolai Gedda. Letz­teren hat sie geliebt und „er hat mir mein Enga­ge­ment für die EMI gerettet, als ich für Lucia Popp als Franzi im Walz­ert­raum einsprang“. Da traf Moser auf eine eifrige Dialog-Regis­seurin, der die Sängerin genervt entgeg­nete: „Jetzt lassen Sie mich doch erst mal reden, erst mal machen!“ Daraufhin musste Gedda den Satz sagen: „Franzi, Franzi, wo bleibst du?“ Moser erzählt weiter: „Er nahm seine dicke Horn­brille ab, schaute von der Seite streng zu mir hin und fragte zuckersüß die Regis­seurin: ‚Wie soll ich es anlegen?‘ Da wusste ich, wie so was läuft, und hatte zwei Tage später den Vertrag bei der EMI für meine Solo­platten. Ohne ihn wäre das viel­leicht nichts geworden.“

Und dann war da Franco Corelli. Neben ihm als Calaf sang sie Liù in Turandot: „Ach, ich lag vor ihm auf den Knien – so ein wunder­barer Sänger, so ein schöner Mann. Aber am Ende seiner Karriere war er sehr nervös. Seine Frau ließ immer das Wasser für ihn in der Kirche weihen; einmal bekam ich sogar was davon ab! Auch Gösta Winbergh – mein wunder­barer Ottavio – war ein sehr guter Freund.“ Mit Alfredo Kraus sang sie an der Wiener Staats­oper die Traviata: „Er kam zur Probe, hatte immer seine Sonnen­brille auf, würdigte mich keines Blickes, hat mich nie gegrüßt – was für ein Schnösel, was für ein Fatzke! Dann sangen wir sehr harmo­nisch zusammen, aber ange­schaut hat er mich immer noch nicht. Nach der Vorstel­lung über­mit­telte man mir von ihm, so schön hätte seit der Callas niemand die ‚Addio‘-Arie gesungen. Ein paar Wochen später bekam ich seine Einla­dung zu einem Wett­be­werb nach Madrid, und dann haben wir uns regel­mäßig geschrieben.“

Im Film von Hilla Schulte kann man sehen, wie plas­tisch Edda Moser einer jungen Sängerin erklärt, was bei der Königin der Nacht wichtig ist. Sie versi­chert: „Ich habe gerne meine Erfah­rungen weiter­ge­geben, obwohl jeder ja seine Erfah­rungen selber machen muss. Aber die Arbeit mit dem Atem und die Arbeit mit der Sprache war immer essen­ziell für mich beim Unter­richt, auch das Psycho­lo­gi­sche! Zu lehren, was man alles ertragen muss in diesem Beruf, wie man die Einsam­keit auf der Bühne aushält. Ab der Bühnentür hört jede Form von Bezie­hung auf. Da steht man allein mit sich und Gott!“

Eugen Zymner

»Wagner hat viel besser für Sänger geschrieben als Verdi. Wagner lässt die Stimme fliegen.«

Die große Mozart-Sängerin wäre gerne Wagner-Sängerin geworden. Über sechs Vorstel­lungen als Senta im Flie­genden Holländer an der Deut­schen Oper schwärmt sie heute noch: „Ach, ich war wie im Himmel, es hat sich herr­lich gesungen.“ Von Isoldes Liebestod und dem Schluss­ge­sang gibt es einen auf CD erschie­nenen Mitschnitt aus einem Konzert von 1989. Er zeigt, welche klang­volle Fülle in allen Lagen dieser drama­ti­sche Kolo­ra­tur­so­pran doch auch besaß. Darauf war Edda Moser schon immer stolz, denn: „Die Königin ist eine Mezzo-Partie mit ein paar hohen Tönen.“ Aber sie erin­nert sich auch: „Was bin ich erschro­cken, als ich damals die 120 Mann im Orchester sitzen sah! Ich dachte, da komm ich nie drüber. Doch nach ein paar Takten flog meine Stimme wie ein Vogel. Wagner hat viel besser für Sänger geschrieben als Verdi, weil bei ihm das Orchester immer mitspielt und die Sänger manchmal zudeckt. Wagner lässt die Stimme fliegen. Da wusste ich: Ich bin eine Wagner-Sängerin.“ Leider wurde aus dieser zweiten Karriere nichts, aber mit einem großen Wagner-Sänger stand sie immer wieder auf der Bühne: „Hans Beirer spielte und sang in der Fleder­maus als Alfred in seiner ganzen Atti­tüde eine wunder­bare Leo-Slezak-Parodie – samt großem Schal und Hut. Als Rosa­linde war ich seine Geliebte auf der Bühne. Das zu spielen, hat uns irrsinnig viel Spaß gemacht.“

Am Ende des Gesprächs erzählt Edda Moser dann noch „die beste Geschichte meiner ganzen Karriere“. Als sie einmal in New York sang, rief eines Abends Thea, die Frau von Karl Böhm, an und fragte: „‚Na wie geht’s Ihnen denn so? Wollen’S nicht zum Nacht­mahl kommen?‘ Darauf ich: ‚Aber gerne‘, und ‚Soll ich was mitbringen?‘, was freudig bejaht wurde. Also ging ich zu einem deut­schen Selcher mit wunder­barer Leber­wurst, hab ein Pfund davon gekauft und bin an einem bitter­kalten Febru­artag in meinem warmen roten Hosen­anzug zu ihr. In der Küche mache ich das Licht an – und alles war voll mit Kaker­laken. Ich bin sofort wieder raus, wir unter­hielten uns andert­halb Stunden und aßen unsere Leber­wurst – mit Wasser und ohne Brot. Thea plötz­lich: ‚Also Sie ha’m da einen schönen Anzug an, der steht ihnen so gut. Würd« mir so ein Hosen­anzug auch stehen?‘ Rote Haare hatte sie ja, aber ein ganz anderes Rot. Sie kam immer wieder darauf zurück, und ich sagte schließ­lich: ‚Wissen’s was, ich schenk Ihnen den!‘ Sie darauf gerührt: ‚Ah, wie schön! Aber Kinderl, wie wollen’s denn dann nach Hause kommen?‘ Ist das nicht süß?“

Fotos: Christian Steiner / Warner Classics