Elbphilharmonie

Ein Welt­wunder?!

von Alexander Busche

23. Februar 2017

„Elphi“ ist geboren. Selten wurde so viel Wirbel um einen Musik-Neubau gemacht. Zu Recht? Und was wird mit den anderen Konzertsälen der Stadt?

„Elphi“ ist geboren. Selten wurde so viel Wirbel um einen Musik-Neubau gemacht. Zu Recht? Und was wird mit den anderen Konzert­sälen der Stadt?

Nahezu einsam streift der Gast bei unge­müt­li­chem Niesel­regen vom Rathaus­platz über den Rödings­markt entlang der Hocht­rasse der U‑Bahn bis hin zum Baum­wall. Vom neuen Wahr­zei­chen Hamburgs, das in diesen Tagen welt­weit in aller Munde ist, weder etwas zu sehen, geschweige denn etwas zu spüren. Doch das stimmt nicht. Die Aufre­gung ist eine andere als bei einem regu­lären Konzert­be­such in der Laeiszhalle oder in jedem anderen etablierten Konzert­saal dieser Welt. Kurz vor dem Baum­wall dann der erste halb­wegs freie Blick über Teile der Hafen­city auf den Spei­cher­aufbau, der sich fortan als neues Wahr­zei­chen zum Tor der Welt gesellt: die endlich fertig­ge­stellte !

„Man muss das aus ganz unter­schied­li­chen Blick­win­keln betrachten: Natür­lich geht es bei einer solchen Eröff­nung auch um die Akustik, wie klingt es, wie wird es von den Zuschauern ange­nommen? Aber in diesem Fall geht es um ganz etwas anderes. Die Eröff­nung mit 2.100 Besu­chern – 1.100 davon geladen, 1.000 frei vergeben über ein Verlo­sungs­ver­fahren – war ein feier­li­cher Festakt, wie ich ihn in dieser Form selten erlebt habe.“ Per Hauber, Mana­ging Director Sony Clas­sical Inter­na­tional, kommt schnell ins Schwärmen, wenn er von der Elbphil­har­monie-Eröff­nung berichtet. „Allein die Dichte an Promi­nenz war unglaub­lich – wort­wört­lich von A bis Z, von Fatih Akin bis Dieter Zetsche. Ich saß zwischen Berg­doktor und Justus Frantz, vor mir Armin Mueller-Stahl, hinter mir Stefan Aust. Anne Will, Sandra Maisch­berger …“ Über­ra­schend über­schwäng­liche Promi-Begeis­te­rung beim Sony-Manager? Keines­falls. Ihm geht es um etwas anderes: „Mit der Elbphil­har­monie und ihrer Eröff­nung wird ein deut­li­ches und wich­tiges Zeichen für die klas­si­sche Musik gesetzt. feiert sie mit seinem neuen Wahr­zei­chen nun Abend für Abend. Der gest­rige Auftakt war nur der viel beach­tete Anfang.“

„Hier soll Musik­ge­schichte geschrieben werden. Punkt. Wem das nicht passt, der möge gehen oder für immer schweigen“

Ein langer Gang anein­an­der­ge­reihter Container, verein­zelte ausge­sägte Austritte, die den tatsäch­lich beein­dru­ckenden Blick auf das neue Welt­wunder in Hamburg frei­geben, Secu­rity Check am Eingang, über die Tube – die gebo­gene Roll­treppe als intel­li­gent gewähltes Sinn­bild einer unum­gäng­li­chen Zwangs­ent­schleu­ni­gung zu Beginn des Kultur­er­leb­nisses – zur Plaza, dem geschickt gestal­teten Vertei­ler­be­reich in Form eines kaum erfass­baren Spiels zwischen außen und innen, das luftige Polster zwischen altem Spei­cher und gläsernem Aufbau. Welt­wunder, Tube, Plaza … Detail­ver­liebte Selbst­in­sze­nie­rung. Mit dem Betreten der Elbphil­har­monie wird es kühne Realität: Die Kampa­gnen im Vorfeld und beson­ders auf der Ziel­graden zur Eröff­nung kommen einer Art Gehirn­wä­sche gleich. Der Droh­nen­flug durch das Haus, die 360°-Fotografien, Image-Videos, Fotos, Berichte, die Live-Über­tra­gung … Die Dinge scheinen einem auf selt­same Weise schon so vertraut. Die gerade erst zu erobernde Fremde kehrt sich im Hand­um­drehen zum Wohl­be­kannten.

Elbphilharmonie Hamburg, Mai 2011, Dacharbeiten

Foto: Oliver Heissner

„Man fühlt sich sofort geborgen und aufge­hoben in den Foyers“, bekennt Hauber. „Der Konzert­saal an sich ist nicht über­di­men­sio­niert, man ist so nah dran am Geschehen wie sonst in kaum einem anderen Saal dieser Größe. Publikum und Musiker werden zu einer Einheit. Alles ist sehr frei, sehr offen, sehr demo­kra­tisch.“ Das führe auch zu einem einzig­ar­tigen Klang­er­lebnis – zumin­dest auf dem dem Sony-Manager zuge­wie­senen Platz in Block K. Die Bedin­gungen für Aufnahmen im Saal seien fantas­tisch, die erste Aufnahme mit dem unter hat Sony Clas­sical in der Woche der Eröff­nung veröf­fent­licht. Andere, darunter namhafte Kritiker, waren offenbar etwas weniger glück­lich plat­ziert und haben die Akustik dementspre­chend nicht nur anders erlebt, sondern auch entspre­chend anders beschrieben. „Welt­klasse geht leider anders“, „Mehr Pils als “, „Dieser Saal klingt gnadenlos über­akus­tisch“, kann man der Presse entnehmen. Das alles hat keinen klaren Grund­tenor und wider­spricht sich mitunter in der jeweils eigenen Beschrei­bung der Akustik selbst. Aber es gibt auch andere Stimmen, die die nahezu krampf­haft herauf­be­schwo­rene Welt­klasse-Akustik in den höchsten Himmel loben – darunter vor allen Dingen gerne die jetzt so stolzen Hamburger. Vergessen all das, was war. Man blickt mehr als nur zuver­sicht­lich und über­op­ti­mis­tisch in die Zukunft. Hier soll Musik­ge­schichte geschrieben werden. Punkt. Wem das nicht passt, der möge gehen oder für immer schweigen. Am besten beides.

„Wer hoch hinaus will, braucht einen langen Atem“

Gläser klirren. Leider nicht aus Gesel­lig­keit und nicht zum ersten Mal an diesem Abend. Der rote Fleck von Rotwein auf dem hellen Holz­boden, er breitet sich aus, erste Tropfen finden ihren Weg vom 15. in den 13. Stock. Es tropft. Und es schmerzt den Gast, der selbst im eigent­li­chen Leben Thea­ter­ma­nager ist – und mit eben solchen Dingen tagtäg­lich zu tun hat. Der Boden: schon nach dem ersten Tag deut­lich mitge­nommen. Die Garde­roben? Recht kühn auf nur einer Etage für alle Besu­cher plat­ziert – ohne größeren Vorraum. Schlangen und Staus über die der einzig­ar­tigen Höhe des Saales geschul­deten unge­wöhn­lich steilen Treppen. Ohnehin sollte man fit sein, wenn man die Höhen des Hauses erklimmen will. Wer hoch hinaus will, braucht einen langen Atem.

Das bezieht sich nicht nur auf die Erklim­mung der einzelnen Etagen und Sitz­plätze. „Alle sind nun aufge­for­dert, an der Zukunft der neuen Elbphil­har­monie zu arbeiten“, weiß Hauber. „Hamburg ist eine Stadt mit zwei Millionen Einwoh­nern und einem enga­gierten Bürgertum. In Kombi­na­tion mit einem starken Tourismus bildet dieses die Basis der gesamten Arbeit an einem erfolg­rei­chen Klas­sik­zen­trum Elbphil­har­monie.“ Nun sei aber die Führung des Hauses gefragt, dem Haus mit inno­va­tiven Konzepten ein nach­hal­tiges Profil zu geben. Das Haus­or­chester hat jetzt mit der durch die Eröff­nung entstan­denen hohen Moti­va­tion und durch den neuen Arbeits­platz Elbphil­har­monie mit dessen wunder­barer Akustik die Chance, auf aller­höchstem Niveau zu musi­zieren.“

„Ein wunder­barer Blick auf eine Raum­kon­stel­la­tion, die keinerlei Symme­trie gehorcht“

Durch die Wand, durch die weiße Haut in den Saal … Ein wunder­barer Blick auf eine Raum­kon­stel­la­tion, die keinerlei Symme­trie gehorcht. Womög­lich ist er leer schöner, weil klarer und ruhiger? Orches­ter­auf­tritt – Applaus! Spür­bare Erleich­te­rung, dass es nun endlich losgeht, der lange gehegte und gepflegte Traum der Elbphil­har­monie – zum Greifen nah … Dann die erste entschei­dende Erfah­rung mit der Akustik. Still harrt das Publikum des Diri­genten. Er kommt aber zunächst nicht. Statt­dessen ein Murmeln, das Mitbe­su­cher mit einem zischenden „Psss­ssst!“ abzu­wehren suchen. Vergeb­lich. Es ist die Mode­ra­torin des drei Blöcke über uns. Man hört hier wirk­lich alles. Nicht nur die Musiker, auch alle Geräu­sche der Gäste. Huster schießen wie Pfeile durch die von Musik erfüllte Luft. Beet­hoven klingt hier wunderbar, Zeit­ge­nös­si­sches und Barock auch. Wagner und Romantik dürfte hier ein wenig der Zauber abgehen, weil es an Nach­hall fehlt. Puristen werden den Klang lieben, der sich somit wunderbar in das gegen die Über­in­sze­nie­rung der Eröff­nung mit seinen klaren Formen stets ankämp­fende archi­tek­to­ni­sche Gesamt­kunst­werk einfügt. Dieser Saal wird sein ganz eigenes Publikum kreieren und finden.

Konzertsaal Elbphilharmonie

Foto: Iwan Baan

Daniel Kühnel, Inten­dant der und somit als Manager des Resi­denz­or­ches­ters der Laeiszhalle nicht zu unter­schät­zender Bestand­teil des Gesamt­kon­strukts Elbphil­har­monie, hätte am heutigen Abend dabei sein sollen. Aber sein Orchester hat selbst Konzert – in der Laeiszhalle. Oh ja, es gibt sie noch. Von manch namhaftem Kritiker bereits zu Grabe getragen, wird auch sie sich auf Dauer halten können, wenn nicht gar durch­setzen. Hier werden Konzerte gespielt wie eh und je. In einem Rahmen, den vor allem der ältere, weniger mobile Besu­cher kennt und wo ihm die span­nenden, oft hoch gelobten Programme der Sympho­niker Hamburg nicht selten unter dem soeben von der Queen zum Sir ernannten Chef­di­ri­genten Jeffrey Tate kredenzt werden. Nichts­des­to­trotz, gibt es die Angst vor einer Abwan­de­rung des Publi­kums? „Wir bemerken von der Eröff­nung der neuen Spiel­stätte bisher rein gar nichts. Unsere Konzerte in der Laeiszhalle sind genau so gut gebucht und besucht wie bisher auch“, beru­higt Kühnel. Ohnehin werde die Elbphil­har­monie auch viel neues, anderes, womög­lich auch jüngeres Publikum anziehen. Unab­hängig davon sollte im Endef­fekt ohnehin die Program­matik über den Besuch der einen oder der anderen Spiel­stätte entscheiden. Per Hauber vergleicht diese natür­li­chen Publi­kums­ver­schie­bungen mit der Frage danach, ob man den A380 lieber mag oder doch die ältere Boing 747 präfe­riert.

„Das Herz der Hafen­city, es schlägt plötz­lich“

Pause. Leichte Kost klingt anders. Nach ein wenig Erho­lung – und zwei weiteren laut klir­renden Gläser­ta­bletts irgendwo auf einer der vielen Ebenen am Boden – erneut ein Über­ra­schungs­er­lebnis: die Besu­cher­toi­letten. Nach all dem Weiß und den hellen Holz­fuß­böden eine kurz­fris­tige opti­sche Über­rei­zung. Oran­ge­far­bene Kabi­nen­in­nen­wände, in den unter­schied­lichsten Gelb- und Braun­tönen gespren­kelte graue Wasch­be­ton­böden und ‑wände. Wow! Was für ein Kontrast. Leicht zu pflegen, weil unemp­find­lich, denkt da der Thea­ter­ma­nager.

Bei der Pflege – und vor allem dem noch anhal­tenden Aufbau – einer Marke „Musik­stadt Hamburg“ sieht Daniel Kühnel noch viel Arbeit auf die Kultur­schaf­fenden dieser Stadt zukommen: „Musik­stadt zu sein, das bedeutet weit mehr, als nur zwei der besten Konzert­säle der Welt zu besitzen. Eine Musik­stadt ist eine Stadt, in der Musik gelebt wird.“ Kühnel kämpft für diese Idee erfolg­reich mit seinem Orchester und seiner Program­matik. Er geht mit den Musi­kern raus aus der Laeiszhalle an die Orte, an denen man mit allem, aber sicher nicht mit klas­si­scher Musik rechnet. Da werden Instru­men­ta­listen im besten Sinne zu musi­ka­li­schen Street­wor­kern, wird Musik im städ­ti­schen Raum lebendig und erlebbar gemacht. „Wir müssen Musik machen – von allen und an so vielen Orten wie möglich“, glaubt Kühnel. „Zudem müssen Politik und Kunst­schaf­fende klar defi­nieren, was sie mit den beiden Konzert­häu­sern jetzt konkret anfangen wollen. Die Antworten müssen aufre­gend und anders sein, sie müssen deut­lich machen, was uns die urei­gene Musik dieser Stadt im Kern bedeutet – das betrifft alle Orchester und Chöre, Laien und Profis. Sie alle sind ein ganz großes Glück, das man jeden Tag erneut entde­cken muss.“

Viel­falt. Die gab es zur Eröff­nung. Im Programm, im Publikum und vor allem im Gesamt­erlebnis. Über­ra­schungen, Neues, Unbe­kanntes, Einzig­ar­tiges, Unge­wohntes. Der Gast findet sich schließ­lich wieder im Contai­ner­gang. Auf dem Heimweg durch die Hafen­city im ersten Taxi einer schier unend­lich schei­nenden Kette von gelb beleuch­teten Autos dann die ganz persön­liche Erleuch­tung: Diese wird Hamburg tatsäch­lich nach­haltig verän­dern. Selbst, wenn sie es musi­ka­lisch nicht schaffen sollte, so wird sie städ­te­pla­ne­risch schon jetzt ihrem Auftrag mehr als nur gerecht. Das Herz der Hafen­city, es schlägt plötz­lich. Und mit ihm ein bisher nahezu unbe­lebtes, gar nicht mehr so neues Stadt­viertel.

Fotos: Thies Raetzke