Elisabeth Kulman

Die wunder­same Leich­tig­keit des Seins

von Walter Weidringer

29. November 2018

Mezzosopranistin Elisabeth Kulman übt das Loslassen. Ein charmantes Bekenntnis zur Unvollkommenheit überwindet künstlerische Grenzen.

Perfek­tio­nistin Elisa­beth Kulman übt das Loslassen: keine Kostüme mehr, in denen sie sich nicht wohl­fühlt. Dafür klare Grenzen und ein char­mantes Bekenntnis zur Unvoll­kom­men­heit.

Ihr Koffer wird immer leichter. Vor Jahren schon hat damit begonnen, von all dem Abschied zu nehmen, was anderen als erstre­bens­werter Besitz gelten mag, für sie selbst jedoch längst zum Über­flüs­sigen, Beschwer­li­chen, ja Störenden zählt. Es ist dies das stets noch weiter­ent­wi­ckelte Ergebnis eines souve­ränen Selbst­fin­dungs­pro­zesses, den die welt­weit gefei­erte Mezzo­so­pra­nistin gewagt hat – wagen musste. „Die Reduk­tion auf das Wesent­liche ist für mich ein Schlüssel zum Glück: zur Befreiung, zur Leich­tig­keit, zur Flexi­bi­lität“, sagt sie.

Betrachtet man das Leben als das Schreiben einer Partitur, dann wird Elisa­beth Kulman immer besser in dem, was das Kompo­nieren wirk­lich ausmacht – und zugleich das Schwie­rigste daran ist: das Weglassen des Unnö­tigen. Falsche Töne heraus­strei­chen. Oder besser noch: gar nicht erst setzen. Darum geht es ihr. Als sie 2015 ihren Rückzug von der Opern­bühne bekanntgab, um sich künftig nur mehr Lied, Orato­rium, konzer­tanten Auffüh­rungen und Spezi­al­pro­jekten zu widmen, war das ein Schock für die Musik­welt.

„Aber ich weiß jetzt, was ich brauche, welche Menschen, welche Musik, welche Texte mir guttun“

Ausge­rechnet sie, die über uner­schöpf­liche Ener­gie­re­serven zu verfügen schien, wollte auf dem Höhe­punkt leiser­treten? Sie, die nach erfolg­rei­chen So­pranjahren die eigent­liche Natur ihrer Stimme in tieferen Regionen entdeckte und damit statt eines befürch­teten Karrie­re­knicks erst recht durch­starten konnte, die einen schweren Bühnen­un­fall mit einem Schlag auf den Kehl­kopf durch eine Zwangs­pause spurlos zu über­winden wusste, die mit der Initia­tive „art but fair“ uner­schro­cken für bessere Bedin­gungen von Künst­le­rinnen und Künst­lern kämpft? Ja. „Andere lieben das, aber für mich wurde es zuneh­mend schwie­riger, mich zu verkleiden, in Kostüme zu schlüpfen, die ich nicht aussu­chen konnte, die manchmal sogar den Ausdruck erschwerten, Texte oder Botschaften wieder­zu­geben, hinter denen ich nicht stehen wollte“, erklärt Elisa­beth Kulman. „In unserer Zeit der Über­rei­zung auf allen Ebenen werden wir von überall her zuge­müllt. Wir müssen lernen zu entscheiden, was für uns rele­vant ist, was uns guttut und was nicht. Andere haben höhere Tole­ranz­grenzen, ich bin sensi­bler und muss mich früher und klarer abgrenzen. Ich musste lernen, Nein zu sagen. Ich stand kurz vor einem Burn-out, spüre bis heute jede Irri­ta­tion sofort im Körper. Aber ich weiß jetzt, was ich brauche, welche Menschen, welche Musik, welche Texte mir guttun, was mich stärkt.“

So hat sie sich eine der gesün­desten, wohl­tu­endsten Stimmen der Gegen­wart erhalten, pflegt sie weiter und setzt sie so ein, dass man von intui­tiver Weis­heit, von klugem Gefühl spre­chen möchte. Nach­zu­hören ist das nicht zuletzt auf einem neuen Album mit dem Mitschnitt eines Lieder­abends von der Schu­ber­tiade 2017 – mit Werken von Schu­mann, Schu­bert und dem 1941 gebo­renen Kompo­nisten Herwig Reiter, gemeinsam gestaltet mit ihrem bevor­zugten Lied­partner, dem Pianisten Eduard Kutro­watz. Dass dabei nur Einzel­lieder aus Schu­manns Frau­en­liebe und ‑leben vorkommen und mit anderen Liedern verknüpft werden, hat seinen Grund in der schon erwähnten Abkehr von Aussagen, hinter denen sie nicht vorbe­haltlos stehen kann.

„Man hört, wozu ein Künstler fähig ist und wozu nicht, wo Grenzen sind, wo ein Zauber entstehen kann“

„Ich habe ja sogar den kompletten Zyklus aufge­nommen, und das Ergebnis wurde kontro­vers disku­tiert, weil ich’s eben komplett anders ange­gangen bin – angehen musste. Im Laufe meiner wach­senden Erfah­rung mit dem Stück habe ich dann jene Lieder heraus­ge­nommen, mit denen ich eine Geschichte erzählen kann – nicht unbe­dingt meine eigene, aber eine Geschichte. Ich muss mich ja gar nicht ständig selber darstellen, darum geht es über­haupt nicht. Aber es muss bis zu einem gewissen Grad etwas sein, mit dem ich glaub­würdig sein kann. So haben sich andere Lieder dazwi­schen­ge­schoben, die dann gemeinsam die Geschichte ergeben, die ich erzählen wollte. Es ist keine beson­dere Botschaft oder gar ein Mani­fest, aber ein spie­le­ri­scher Ausdruck der eigenen Krea­ti­vität.“

Zum ersten Mal hat Elisa­beth Kulman dabei der Veröf­fent­li­chung einer unge­schnit­tenen, reinen Live-Aufnahme zuge­stimmt: ein Riesen­sprung für eine erklärte Perfek­tio­nistin, ein kleiner Schritt für eine gelas­sene Frau. Über­flüssig zu erwähnen, dass Publikum und Kritik in hinge­rissen waren. Doch muss man sich diese Tatsache verge­gen­wär­tigen, wenn Kulman selbst bescheiden reagiert – wobei man ihr diese Beschei­den­heit ebenso glaubt wie die Tatsache, „dass sie die Lieder ‚durch­lebt‘ und dabei ganz bei sich selbst ist“, wie es in einer Kritik heißt. „Diese CD doku­men­tiert einen heraus­ge­grif­fenen Abend und ist für mich auch ein Bekenntnis zur Unvoll­kom­men­heit“, sagt sie also. „Man hört, wozu ein Künstler fähig ist und wozu nicht, wo Grenzen sind, wo ein Zauber entstehen kann, wo man mit Wasser kocht. Viel­leicht kann es für andere sogar eine Ermu­ti­gung sein.“

„Ich möchte alle dazu inspi­rieren, Unrecht nicht einfach hinzu­nehmen“

Die Ermu­ti­gung anderer hat sie in den letzten Jahren mit beson­derer Hingabe betrieben: Dass sie die Kolle­ginnen von Erl in der Causa Gustav Kuhn im Hinter­grund betreut hat und ihnen weiter mit Rat und Tat beistehen will, ist Ehren­sache für sie; dass ihre gemein­samen Bemü­hungen nach langer Zeit erheb­li­chen Gegen­winds nun sogar Erfolg zeitigen, dass die Betrof­fenen die Kraft aufbringen konnten, ihren Protest durch­zu­ziehen und sich zur Wehr zu setzen, erfüllt sie mit Freude und Stolz. „Ich möchte alle dazu inspi­rieren, Unrecht nicht einfach hinzu­nehmen, sondern Miss­stände aufzu­zeigen, für sich selbst einzu­stehen. Wenn ich da meinen Beitrag leisten konnte, bin ich glück­lich. Das würde aber alles nicht gehen, wäre mein Kalender gesteckt voll mit Auftritten.“

Das im Vergleich zur Oper ruhi­gere Konzert­fach lässt ihr dazu Gele­gen­heit – und sie genießt den Vorteil, dass nicht so weit voraus­ge­plant wird wie in der Oper, wo Enga­ge­ments bis zu fünf Jahre in die Zukunft reichen. Manche Verträge kommen erst ein Jahr oder fall­weise sechs Monate vorher. Das lässt ihr neben dem Enga­ge­ment für andere auch die Flexi­bi­lität für spon­tane Wohl­taten zum eigenen Vorteil, die in der Regel als Auszeiten unter südli­cher Sonne Gestalt annehmen. Außerdem kann sie es sich leisten, bei ihren Enga­ge­ments immer wähle­ri­scher zu werden. „Das Reper­toire ist natur­gemäß Krite­rium, dann die Menschen, also Diri­genten, Orchester, Kollegen. Wenn ich jemanden nicht kenne, dann recher­chiere ich sehr genau – und ist meine Neugierde geweckt, probiere ich die Zusam­men­ar­beit aus. Drit­tens: die Orte. Erst an vierter Stelle steht die Gage.“

„Mir wird immer wieder attes­tiert, ich sei ein Bühnen­mensch oder gar eine Rampensau!“

Das alles hat ihr nicht etwa den Ruf einer Schwie­rigen einge­tragen und zu schwin­denden Anfragen geführt – ganz im Gegen­teil: Elisa­beth Kulman wird größter Respekt entge­gen­ge­bracht, sie ist an den besten Adressen und von den bedeu­tendsten Part­nern begehrt wie eh und je. Und mit ihrem atem­be­rau­benden, nebenbei auch die Grenzen von Genres, Stimm­fä­chern und Gender über­win­denden Programm „La femme c’est moi“, das sie mit einer Hand­voll erle­sener Musiker darbringt, kann sie auch nach eigener Fasson thea­ter­selig werden. „Mir wird immer wieder attes­tiert, ich sei ein Bühnen­mensch oder gar eine Rampensau! Ich mache einfach das, was mir Spaß macht, Insze­nie­rung und Drama­turgie folgen meinen Ideen, Tscho Theis­sings Arran­ge­ments sind genau auf mich zuge­schnitten. Als Opern­sän­gerin war so etwas völlig undenkbar – und genau darunter habe ich gelitten.“ Doch auch ans Danach denkt ­Elisa­beth Kulman: „Ich möchte mich zuneh­mend zurück­ziehen und sehe mich künftig noch stärker in der Rolle, Kolle­ginnen und Kollegen zu stärken, ihnen meine Erfah­rungen mitzu­geben und letzt­lich den Klas­sik­be­trieb irgendwo etwas besser zu machen.“