Regula Mühlemann
Endlich Pamina!
30. September 2020
Auch eine Stimme will erwachsen werden. Und ihre Facetten entwickeln. Die Sopranistin Regula Mühlemann hat gewartet – und fühlt sich jetzt reif genug für Rollen wie Ilia, Susanna und ja, eben Pamina. Eine weise Entscheidung, wie ihr zweites Mozart-Arien-Album beweist.
Regula Mühlemann hätte heuer bei den Salzburger Festspielen die Pamina in der Zauberflöte singen sollen, doch die wurde virusbedingt ins nächste Jahr verschoben. Aber die junge Schweizerin verkörpert sie im Herbst in Basel in einer Neuproduktion und im Frühjahr nächsten Jahres an der Wiener Staatsoper, wo sie im September schon Blonde in der Entführung aus dem Seraildarstellt. Anfang September erscheint ihr zweites Mozart-Album – mit Paminas berühmter Arie im Zentrum. Auch das Interview findet nicht live in einem Café an der Salzach statt, sondern per Facetime zwischen München und Luzern, wo die Sopranistin geboren wurde, musikalisch sozialisiert wurde, studierte und heute noch lebt.
CRESCENDO: Frau Mühlemann, wie kommt man mit gerade mal 22 zu einem Engagement als Ännchen an der Seite von Juliane Banse als Agathe in einer Verfilmung des Freischütz?
Regula Mühlemann: Erst einmal habe ich nur für eine der Brautjungfern vorgesungen. Aber dann fragte man mich, ob ich auch Ännchen singen könnte. Leider hatte ich nur eine der beiden Arien drauf. Mist, dachte ich, da hast Du jetzt vielleicht eine große Chance verpasst. Aber ein paar Tage später bekam ich einen Anruf mit der Bitte, ich möge doch die ganze Partie lernen und noch mal vorsingen. Dann ging alles sehr schnell und schon eine Woche später fanden die musikalischen Aufnahmen unter Daniel Harding in London statt.
Diese Einspielung vor dem eigentlichen Dreh in der Sächsischen Schweiz waren für eine Sängerin am Beginn ihrer Karriere sicher doppelt ungewöhnlich. Schildern Sie doch, wie es Ihnen da ergangen ist …
Ja, das war schon sehr speziell. Jeder saß in einer eigenen kleinen Tonkabine, sah den Dirigenten nur auf einem Monitor oder durch ein großes Fenster weit weg in einem anderen Raum. Aber man war eben nicht mit dem Orchester zusammen. So konnte ich mich nicht über die Umgebung wahrnehmen. Die anderen hörte ich nur über Kopfhörer, die ich mir dann so halb aufsetzte, um meinen Gesang besser kontrollieren zu können. Auch später bei den Filmaufnahmen, wo der Ton eigentlich keine Rolle mehr spielte, haben wir ausgesungen, damit Ausdruck und Intensität des Singens sichtbar waren.
Bei einem anderen Filmprojekt – als Amor in Glucks Orfeo mit Bejun Mehta – war das aber anders?
Ja, in diesem schönen kleinen Barocktheater in Krumau haben wir alles live gesungen. Das ist schon sehr anstrengend, weil immer irgendwas nicht passt. Wenn der Ton okay ist, stimmt die Kamerafahrt nicht oder das Licht, manchmal ist es auch umgekehrt.
Es gibt noch einen dritten Film mit Ihnen: Der Klang der Stimme, in denen es um die verschiedensten Phänomene des Singens geht. Sie waren das Beispiel für den klassischen Gesang, und man erlebt sie an der Seite von Ramon Vargas. Aber es ist auch dokumentiert, dass es mal nicht so rund laufen könnte.
Oh, ich dachte lange darüber nach, ob ich diese Szene im Film drin haben will, wo ich bei der Einspielung meiner ersten CD, also dem ersten Mozart-Album vor fünf Jahren, in einem Moment so angespannt war, dass gar nix mehr ging. Ich habe mich dann bewusst dafür entschieden, diese Szene nicht rausschneiden zu lassen. Das Erleben dieser Situation und vor allem zu dieser vermeintlichen Schwäche zu stehen, hat mich stark gemacht und dazu gebracht, bei Aufnahmen oder auch auf der Bühne weniger Druck aufzubauen – oder ihn besser auszuhalten (lacht). Aber damals war einfach wenig Zeit und ich wusste, jede Minute zählt! Außerdem habe ich mir selber ziemlich viel Stress gemacht bei diesem Debüt-Album. Dass diese Umstände im Film nicht erklärt werden, sondern man einfach meine Ohnmacht in dieser Situation spürt, fand ich irgendwie gut. Heute habe ich da natürlich mehr Erfahrung und so etwas passiert mir sicher so nicht mehr.
Kommen wir zu ihren beiden Mozart-Platten. Nach welchen Kriterien haben Sie das Repertoire ausgesucht?
Für die erste CD habe ich die gesamte Sopran-Literatur von Mozart durchgehört und meine Lieblingsarien ausgewählt. Ich wählte bewusst fröhliche, heitere, also „positive“ Arien. Das war gar nicht so einfach, weil es viel mehr Ernstes, Schwermütiges und Tiefsinniges gibt.
Deshalb auch Exsultate, jubilate am Ende!
Ja genau! An einige dieser Lieblingsarien habe ich mich damals noch nicht ganz herangetraut. Ich wollte mit einer Ilia, Susanna und Pamina warten, bis sich meine Stimme ändert und noch andere Farben dazugewinnt. Nun war die Zeit dafür reif, zumal ich viele dieser Mozart-Partien jetzt auf der Bühne singe oder bald singen werde.
„Egal wie groß oder klein eine Rolle ist: Mozart lässt immer einen Charakter durchscheinen“
Was war ihre erste Mozart-Partie?
Barbarina im Januar 2010 in meiner ersten Spielzeit am Luzerner Theater, als ich noch studierte. Figaro war auch meine erste Oper, die ich in Zürich als Zuschauerin erlebte. Damals war ich als junges Mädchen nicht so sehr fasziniert von Susanna, sondern eben von Barbarina. Ich sehe die Sängerin immer noch vor mir, wie sie da allein in einem Spot auf der Bühne mit einem Picknick-Korb steht und das kleine Rezitativ singt, das so oft gestrichen wird – und dann diese wunderbare Cavatina! Egal wie groß oder klein eine Rolle ist: Mozart lässt immer einen Charakter durchscheinen, gibt selbst einer Nebenfigur noch ein reiches Persönlichkeitsprofil. Das eröffnet in jedem Fall eine Welt. Die Barbarina war also mein Initiationserlebnis – und dann meine erste Rolle auf einer großen Bühne!
Was ist dran an dem Gerücht, Sie wären eigentlich gerne Popsängerin geworden?
Na ja, ich wollte nicht professionelle Popsängerin werden, sondern habe einfach viel Popmusik gesungen, es war ein großes Hobby. Ich hab mich dazu am Klavier begleitet, was mir später beim Studium des klassischen Gesangs durchaus zugutekam. Ich tourte auch mit Kinder-Musicals. Meine Mutter hat mich mit jeder Art von Musik aufwachsen lassen, die es in ihrer Plattensammlung gab – von Bach bis zu den Beatles! Auch das Singen von Kirchenmusik in einer Kantorei war für mich etwas ganz Selbstverständliches. Aber viele Singer-Songwriter haben schöne Stimmen, können aber eben ihre Songs auch selber schreiben; da hat’s bei mir dann schon gehapert! Bei dem, was ich geschrieben habe, dachte ich mir immer: Na, ein Hit wird das nicht! (lacht) Außerdem hatte und habe ich diese hohe, helle und klare Stimme – die ist im Pop nicht ideal. Ich merkte außerdem, dass für mich das klassische Singen viel angenehmer ist und weniger müde macht.
Wann haben Sie sich entschieden, das Singen zum Beruf zu machen?
Lange Zeit war das ein schönes Hobby, aber ich habe eher daran gedacht, Biologie zu studieren. Kurz vor dem Abi fragte mich mein Gesangslehrer, was ich mal werden wolle. Ich zuckte nur mit den Schultern, und da sagte er: „Na, mach doch das, was Du am besten kannst!“ Und da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Er kannte die Professoren hier in Luzern und hat mich zu Barbara Locher geschickt. Das war die perfekte Gesangslehrerin für mich, und noch heute gehe ich gerne zu ihr.
Wie erlebten Sie die letzten Monate ohne Live-Auftritte?
Ich bin schon ein wenig erschrocken, als ich merkte, dass ich vieles machen konnte, wozu ich sonst keine Zeit habe, mir aber das Singen überhaupt nicht fehlte. Und damit verbringe ich ja sonst so viel Zeit! Da machte ich mir etwas Sorgen. Aber als ich für eine Sendung des Schweizer Fernsehens darüber reflektieren musste, kam mir: Das Üben zu Hause fehlt mir nicht, das mache ich auch nicht besonders gerne, das ist Arbeit, wenn auch manchmal schöne Arbeit. Aber was mir sehr wohl abgeht, ist das Musizieren mit anderen. Und ich habe neue Hobbys entdeckt: Sauerteigbrot backen und Tennis spielen!
Die Website von Regula Mühlemann